Sachsens Innenminister Ulbig will der Polizei mehr Befugnisse bei der Handy-Ortung und Videoüberwachung einräumen.
In Terrorzeiten braucht es zwingend die Polizei. Nun hört man aus Sachsen, die Beamten könnten viel effektiver agieren, wenn sie mehr Befugnisse hätten. Heißt das, unser aktuelles Polizeigesetz sorgt für unnötige Sicherheitsrisiken?
Das ist natürlich nicht der Fall. Aber es gibt durchaus Änderungsbedarf. Wir müssen das sächsische Polizeigesetz dringend an die vielen technischen und taktischen Veränderungen, die heute im Sicherheitsbereich eine wichtige Rolle spielen, anpassen. Zurzeit gibt es sicherheitspolitisch immer noch einen bundesweiten Flickenteppich. Die Eingriffsregelungen für die Beamten sind in den einzelnen Ländern sehr unterschiedlich. Auch wir müssen jetzt dazu beitragen, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen bei der Polizei so weit wie möglich vereinheitlicht werden. Nur so können wir unseren Bürgern nachhaltig ein Maximum an Schutz bieten.
Haben Sie für die Flickschusterei ein konkretes Beispiel?
Nehmen wir einfach das aktuelle Thema der geplanten elektronischen Fußfesseln für erkannte Gefährder. Hier drängen jetzt auch der Bundesinnenminister und der Bundesjustizminister auf ein einheitliches Vorgehen. So teilen sich die 550 in Deutschland erkannten Gefährder etwa zur Hälfte in Ausländer und Deutsche. Für Ausländer wird es zunächst Regelungen im Aufenthaltsgesetz geben, weil es dabei auch um mögliche Abschiebungen geht. Für inländische Gefährder, die nicht abgeschoben werden können, greift dagegen allein das Polizeirecht – und das ist in allen 16 Bundesländern zum Teil sehr verschieden. Solange wir das nicht angleichen, ist es an manchen Orten leichter, vom Radar der Sicherheitsbehörden zu verschwinden als anderswo. Damit besteht die Gefahr, dass sich diese Leute künftig ihren Aufenthaltsort danach aussuchen, wo der Druck und die Beobachtung am geringsten sind.
Gibt es aus sächsischer Sicht noch mehr solcher Lücken?
Regelungsbedarf sehe ich auch bei der Telekommunikationsüberwachung. Und das nicht nur beim Thema Terrorabwehr, sondern auch im wichtigen Bereich der Prävention, also quasi bei der täglichen Polizeiarbeit. Wenn zum Beispiel in Brandenburg nach einem vermissten Kind mithilfe der Telekommunikationsüberwachung gesucht wird – was dort bereits möglich ist – , können wir in Sachsen nicht helfen. Auch nicht, wenn sich das Kind bei uns aufhält. Eine solche Maßnahme ist im Freistaat in diesem Fall derzeit nicht erlaubt, sondern nur wenn es um Ermittlungen in einem Strafverfahren geht. Nötig sind deshalb weitere Tatbestände und Kriterien, bei denen wir technische Hilfsmittel der Telekommunikationsüberwachung präventiv und im Interesse von mehr Sicherheit einsetzen können.
Das wäre eine gravierende Ausweitung der Befugnisse der sächsischen Polizei. Rechtfertigt das der erwähnte Fall?
Allein nur dieser Fall sicherlich nicht. Helfen würde uns das tatsächlich auch bei vielen anderen Gefahrensituationen. Weil ich das jetzt nicht nur am Fall des geflüchteten Terrorverdächtigen al-Bakr erläutern will, verweise ich hier auf die wichtige Verfolgung von verdächtigen Fahrzeugen. Präventiv können wir da in Sachsen mit einer solchen technischen Überwachung bisher kaum zum Zuge kommen – auch hier erschwert uns die immer noch unterschiedliche Gesetzeslage in den einzelnen Bundesländern die Arbeit. Während man mit dem Auto überall hinfahren kann, sind unseren Sicherheitsbehörden noch zu stark die Hände gebunden. Andere Bundesländer sind da schon weiter, sie verfügen über mehr Möglichkeiten – neben Brandenburg auch Thüringen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein.
Hat die Polizei im Freistaat nicht schon ausreichend Zugriff auf Telekommunikationsdaten?
Es gibt auch da nach wie vor Probleme, diese wirklich vernünftig und effektiv zu nutzen. Aufgrund der unterschiedlichen Technikentwicklung gelten für Daten von Telefonen, für SMS und für Messenger-Dienste verschiedene Gesetze. So ist es derzeit für die praktische Polizeiarbeit ein Unterschied, ob man eine WhatsApp-Nachricht nutzen will oder eine SMS. Das ist doch unsinnig. Auch hier müssen die polizeilichen Eingriffsbefugnisse schnell angeglichen werden – natürlich immer mit gesetzlich ganz klar festgelegten Tatbeständen, die solche Eingriffe tatsächlich rechtfertigen.
Damit wären dann alle Möglichkeiten ausgeschöpft, mit technischen Hilfsmitteln für mehr Sicherheit zu sorgen?
Es gibt noch einen weiteren wichtigen Bereich, der auch schon umfänglich diskutiert wird: Die intelligente Videoüberwachung. Die könnte uns im Kampf gegen die allgemeine Kriminalität helfen. In Görlitz arbeiten wir dazu bereits an einem Pilotprojekt. Durch hochauflösende Kameras soll dort aufbauend auf dem bei Straftätern typischen Verhaltensmuster das bessere Erkennen von Gesichtern getestet werden. Ganz gezielt an Orten, die häufig für kriminelle Aktivitäten genutzt werden. Das lässt das bisherige Polizeigesetz auch zu.
Perspektivisch könnte dieses Projekt aber auch dazu führen, dass wir solche Kontrollstellen landesweit an neuralgischen Punkten aufbauen – eventuell zusammen mit dem AKES-System zur automatischen Überwachung von Kfz-Kennzeichen.
Weil das aber – völlig nachvollziehbar – eine Vielzahl von rechtlichen Fragen aufwirft, arbeiten wir bereits bei dem Görlitzer Projekt sehr eng mit dem Datenschutzbeauftragten des Landes zusammen. Noch sind nicht alle Punkte geklärt, wir kommen aber gut voran.
Wie wollen Sie alle Skeptiker überzeugen, welche dahinter sofort eine staatliche Bürger-Überwachung in Sachsen befürchten?
Da kann ich alle beruhigen. Eine Bürger-Überwachung wird es auch mit dem neuen Polizeigesetz definitiv nicht geben – dafür aber mehr Sicherheit. Wie ist denn die aktuelle Situation: Jeder Polizist und jeder Innenminister wird immer gleich an den Haken gehängt, wenn etwas nicht klappt. Dann heißt es doch sofort: Warum wart ihr nicht schnell genug? Warum habt ihr dieses und warum jenes nicht gemacht? Letztlich muss doch die Polizei auch das rechtliche Rüstzeug bekommen, um Verbrechen konsequent und möglichst vorbeugend bekämpfen zu können. Uns geht es bei solchen Maßnahmen allein darum, die oft skrupellosen und hoch spezialisierten Täter zu stellen. Dafür müssen wir alle rechtlichen und technischen Möglichkeiten nutzen. Verbrecher machen sich heute problemlos jede moderne Technik zu eigen, da kann die Polizei nicht zurückstecken. Alle rechtstreuen Bürger brauchen keine Einschnitte in ihre Freiheit und bei ihren Persönlichkeitsrechten befürchten.
Was sagen Sie jenen Bürgern – aber auch dem eigenen Koalitionspartner SPD – , die die von Ihnen jetzt befürworteten Gesetzesänderungen trotzdem nicht so einfach akzeptieren wollen?
Gerade die Ereignisse in den vergangenen zwei Jahren haben doch klar gezeigt, dass eine freiheitliche Gesellschaft nur funktionieren kann, wenn wir auch ihre Sicherheit gewähren können. An erster Stelle gehört auch für mich eine Polizei in ausreichender Mannstärke, also mehr Personal. Das haben wir im Freistaat bereits beschlossen. Dann brauchen die Beamten unbedingt eine den Einsätzen angepasste gute Ausrüstung. Auch hier sind wir in Sachsen bereits auf einem guten Weg und haben unsere Polizisten mit neuen Schutzwesten, Waffen und gepanzerten Fahrzeugen ausgestattet. Als dritte Säule in unserer Sicherheitsarchitektur ist jetzt auch eine Anpassung der Rechtslage erforderlich.
Noch einmal: Damit geben wir der Polizei keine übergebührlichen Rechte gegen unbescholtene Bürger in die Hand . Es geht allein um den besseren Schutz des Bürgers, der darauf einen Anspruch hat. Das ist doch eine Selbstverständlichkeit und deshalb für mich als Innenminister Ansporn für diese Gesetzesänderungen. Sachsen braucht ein moderneres Polizeigesetz. Ich bin überzeugt davon, dass wir das nach einer langen, intensiven und sicherlich auch kontroversen Diskussion erhalten werden.
Wann genau fällt der offizielle Startschuss für diese Debatte?
Mein Haus wird dem Kabinett noch im ersten Halbjahr 2017 einen entsprechenden Gesetzesentwurf vorlegen.
Das Gespräch führte Gunnar Saft.