Eine Ausstellung über die Polizei im NS-Staat zeigt: Die Nationalsozialisten mussten den republikanischen Staatsapparat nicht zerschlagen. Er bot sich ihnen an.
Gehen bei der Polizei die Uhren der sogenannten Vergangenheitsbewältigung besonders langsam? Oder womit ist es zu erklären, dass erst jetzt, 66 Jahre nach Kriegsende, ihre Rolle im NS-Staat und beim nationalsozialistischen Völkermord zum Thema groß angelegter historischer Selbstaufklärung wird?
Vor drei Jahren beschloss die Innenministerkonferenz, dieses Projekt auf den Weg zu bringen, das nicht nur die temporäre Ausstellung "Ordnung und Vernichtung. Die Polizei im NS-Staat“ im Deutschen Historischen Museum in Berlin umfasst.
Ausstellung will "Verdrängtes" ans Licht bringen
Es sollen auch Unterrichtsmaterialien für die Polizeiausbildung erarbeitet werden. Diese Ausbildung sei "völlig ahistorisch“, sagte Detlef Graf von Schwerin, ehemaliger Polizeipräsident von Potsdam und Dozent an der Fachhochschule Oranienburg.
Er, Sohn eines Widerstandskämpfers, ist der eigentliche Inspirator und Initiator des Unternehmens, bei dem die Hochschule der Polizei in Münster die fachliche Federführung hat und das DHM Gastgeber ist – allerdings einer, der darauf achtete, dass die Ausstellung dem entspricht, was man in diesem Haus erwarten darf.
NS-Ausstellungen leben von dem Versprechen, das "Verdrängte“ ans Licht zu bringen, Wahrheiten, am besten unbequeme, an die Stelle von Legenden zu setzen und allzu lange gehütete Tabus zu brechen.
Polizei-Verstrickungen waren offensichtlich
Im Falle der Polizei im NS-Staat wirkt dieser Gestus aber doch ein bisschen wie ausgeliehen. Als vor 16 Jahren die Ausstellung über die Verbrechen der Wehrmacht zum ersten Mal auf Tour durch deutsche Städte ging, führte das zu erregten Kontroversen. Viele wollten sich das Bild von der "sauberen Wehrmacht“ nicht kaputt machen lassen.
Im kollektiven Bewusstsein spielte die Legende von einer "sauberen“ Polizei keine so zentrale Rolle. Im Gegenteil: Wer sich an den Glauben klammerte, dass der deutsche Soldat ausschließlich ehrenhaft an der Front kämpfte, der schrieb die Verbrechen den Einsatzgruppen, den Polizeibataillonen hinter der Front, also Polizisten zu und konnte sich in diesem Bild bestärkt sehen durch einige spektakuläre Prozesse gegen Polizei-Täter in den Fünfziger- bis Siebzigerjahren.
Auch galt die Polizei, die Hüterin des staatlichen Gewaltmonopols, nie in dem Maße als Institution eigenen (Standes-)Rechts wie die Armee, weshalb der Befund, dass sie in die Taten eines verbrecherischen Regimes tief verstrickt war, kaum jemanden überraschen dürfte.
Der Schwerpunkt liegt auf den Kriegsjahren
Die Ausstellung im DHM bräuchte also eigentlich nicht damit zu locken, falsche Geschichtsbilder zu zertrümmern und verborgene Wahrheiten ans Licht zu bringen.
Sie ist auch ohne dieses Aufarbeitungs-Versprechen interessant genug. In sieben Kapiteln schlägt sie den Boden von der Weimarer Republik bis zu den Neuanfängen in den beiden deutschen Nachkriegsstaaten.
Der Schwerpunkt liegt auf den Kriegsjahren. In der Politik der Besetzung, Ausbeutung und Vernichtung war die Polizei ein zentraler Akteur. Polizisten sicherten das System der Zwangsarbeit, Polizeieinheiten führten den Partisanenkrieg und schlugen den Aufstand der Polnischen Heimatarmee nieder, die Polizei trieb die Juden zur Deportation zusammen und bewachte die Transporte.
Mit hoher Professionalität in Szene gesetzt
In bewährter DHM-Manier werden all diese Facetten einer schrecklichen Geschichte mit einer Vielzahl von authentischen Objekten vom privaten Fotoalbum bis zum Uniformmantel, von der Maschinenpistole bis zur Kübelspritze der Feuerpolizei beleuchtet.
Knappe Texttafeln geben Orientierung, Tatorte und Biografien geben die Gelegenheit zur Verdichtung und Konkretisierung. Das ist alles sehr routiniert mit hoher Professionalität in Szene gesetzt.
Aber es gibt kein Bild, kein Objekt, keine Inszenierung, die sich wirklich einprägt und im Gedächtnis haften bleibt, mit Ausnahme vielleicht des schwarzen Opels, den man zwingend mit Gestapo-Beamten in Regenmänteln und nächtlichem Regen auf Kopfsteinpflaster zusammen denkt.
Gestapo war nicht von der Polizei getrennt
Die Gestapo übrigens wurde als einzige Polizeiabteilung vom Nürnberger Tribunal als verbrecherische Organisation eingestuft – was dem falschen Glauben Vorschub leistete, man könne fein säuberlich zwischen ihr und der "normalen“ Polizei unterscheiden, die auch im Dritten Reich normale Polizeiarbeit geleistet habe.
Dem war nicht so, wie die Ausstellung eindrucksvoll vorführt. Die Polizeien wurden bald nach der Machtergreifung Schritt um Schritt zentralisiert und 1936 dem Generalkommando Heinrich Himmlers unterstellt.
Und auch die klassische Polizeiarbeit folgte mehr und mehr den Vorgaben der NS-Ideologie. Die "vorbeugende“ Verbrechensbekämpfung im rassenbiologischen Sinn, das Aufspüren von "Volksschädlingen“ wurde immer wichtiger.
Interessantes zur Polizei in der Weimarer Republik
Das interessanteste Kapitel der Ausstellung ist der Prolog über die Polizei in der Weimarer Republik. In den bürgerkriegshaften Anfangsjahren gliederte der sozialdemokratische Wehrminister Gustav Noske Freikorps und Reichswehrverbände in die Sicherheitspolizei ein.
Diese Truppe zur Niederschlagung kommunistischer Aufstände bildete den Kern der republikanischen Polizei. Man braucht nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, welche Gesinnung in ihren Reihen vorherrschte.
Umso eindrucksvoller wirken dann die Versuche sozialdemokratischer Innenminister, die Polizei in den wenigen Jahren der Prosperität und relativen Stabilität zu demokratisieren und zu modernisieren.
Republikanischer Staat bot sich Nationalsozialisten an
Die Berliner Polizeiausstellung von 1926 zeugte davon. Neue Formen der organisierten Kriminalität, die Zunahme des motorisierten Straßenverkehrs, die Verbindung von Polizei- und Sozialarbeit, all diesen neuen Herausforderungen sollte sich die Polizei stellen, die ihr Personal sorgfältig ausbildete und nicht aus ehemaligen Landsknechten rekrutierte.
Es blieb den Reformern nicht genug Zeit. Die meisten Polizisten begrüßten die nationalsozialistische Machtübernahme in der Hoffnung auf einen autoritären Staat und machten willig mit, auch wenn die Eigenmächtigkeit wilder SA-Horden den einen oder anderen irritiert haben mag, waren solche Leute doch gerade noch Gegner im Straßenkampf gewesen.
Die Nationalsozialisten mussten den republikanischen Staatsapparat nicht zerschlagen. Er bot sich ihnen an.