Kritik an Polizeieinsatz: Nacht in der Zelle

Rund um die Tela-Post sind 49 Menschen festgenommen worden. (Foto: Alessandra Schellnegger)
Erstveröffentlicht: 
18.12.2016

Nach einem Punk-Konzert in einer Trambahn werden 49 Menschen festgenommen. Einige machen nun der Polizei wegen der Behandlung im Präsidium Vorwürfe.

 

Von Thomas Anlauf

Linksextremisten verwüsten Giesing", titelte der Bayernkurier in seiner Online-Ausgabe vor wenigen Tagen. Von einer "Spur der Verwüstung" war da die Rede, die "50 Linksextremisten" hinterlassen hätten. Tatsächlich nahm die Polizei am Samstagabend vor einer Woche 49 Menschen zwischen 16 und 36 Jahren fest, denen nun Landfriedensbruch vorgeworfen wird. Bei der Gruppe habe es sich um Personen gehandelt, die "zum Teil aus dem linksmotivierten Spektrum" bekannt seien, heißt es im Polizeibericht.

Entstanden sind die Sachbeschädigungen an einer Trambahn, an Wänden, Fenstern und Fahrzeugen offenbar am Rande einer Party in einer Trambahn. Womöglich wurden bei dem anschließenden Polizeieinsatz dann aber auch zahlreiche Unschuldige festgenommen und bis zu zwölf Stunden im Polizeipräsidium festgehalten. "Wir waren alle kurz vorm Heulen", schildert eine der Festgenommenen die Nacht auf der Polizei. Die Studentin hatte über Mund-zu-Mund-Propaganda von einem spontanen Punkkonzert in der Trambahn der Linie 25 erfahren. Vier Musiker sollen es gewesen sein, die für ein paar Dutzend überwiegend junge Leute spielten. Mit anderen Fahrgästen ging es bis zur Endhaltestelle nach Grünwald, dort seien alle ausgestiegen und wieder zurück nach Giesing gefahren, wo der Trambahnfahrer die Gruppe schließlich ermahnt haben soll, nun auszusteigen.

Die Studentin bestätigt, dass einige Leute während der Fahrt Aufkleber in der Trambahn platzierten und Graffiti mit Marker schmierten. Nach dem Aussteigen an der Silberhornstraße sei das Konzert noch zehn Minuten vor der Post weitergegangen, danach habe sich die Gruppe aufgelöst. Erst dann sei die alarmierte Polizei eingetroffen, erzählt die Münchner Studentin. Zunächst habe es nur geheißen, es handle sich um eine Personenkontrolle: Die Ausweise der Leute, die von Polizisten nach und nach in einen Hof gebracht wurden, seien eingesammelt, später auch die Handys abgenommen worden. Nach etwa einer Stunde seien die Festgenommenen, von denen einige nach Angaben von Betroffenen noch in der U-Bahn-Station von Polizisten abgefangen wurden, in Bussen ins Polizeipräsidium gefahren und in Sammelzellen gesteckt worden.

"Die Zellen waren nur durch eine Art Holztor vom Hof getrennt, dementsprechend war es sehr kalt, es gab auch keine Sitzmöglichkeit. Wir saßen auf dem schmutzigen Boden", erzählt die Münchnerin. Etwa 20 Leute sollen in jeder der kleinen Zellen gewesen sein, darunter auch Minderjährige. Ein Mädchen habe erst gegen Mitternacht ihre Eltern anrufen dürfen, die letzte Teenagerin sei um 2 Uhr aus der Zelle gelassen worden. "Wasser sowie Decken wurden uns auch nach mehrmaligem Nachfragen verweigert, und wir durften nicht mehr auf die Toilette."

Ähnliches schildert ein junger Mann, der bei der Party gar nicht dabei gewesen sein will, sondern erst gekommen sei, als er per Handy von den Festnahmen erfuhr und sich mit einigen Freunden nach Giesing aufmachte. Auch sie wurden festgenommen und in die sogenannte Gefangenensammelstelle an der Ettstraße gebracht. "Nach einer zermürbend langen Zeit, in der sich niemand um uns sorgte, begannen wir in einen kleinen Abflussdeckel in unserer Zelle zu pinkeln", berichtet der junge Mann. Später in der Nacht hätten zwei Beamte die Festgenommenen auf eine Toilette begleitet, damit diese sich erleichtern und zumindest aus dem Wasserhahn trinken konnten. Um kurz vor acht Uhr in der Früh erst sei er aus der Zelle "aufs Revier" gebracht worden. Gegen halb elf Uhr am Sonntagvormittag sei er entlassen worden - ohne Handy, aber mit einer Anzeige wegen Landfriedensbruchs.

Die Polizei wollte sich auf Anfrage der SZ nicht detailliert zu den Vorkommnissen äußern und beruft sich dabei auf die laufenden Ermittlungen. Sie bestätigt allerdings, dass "aufgrund der Vielzahl von Festnahmen eine längere Bearbeitungs- bzw. Wartezeit, die zum Teil auch bis zum nächsten Morgen dauerte, in Einzelfällen nicht zu vermeiden" gewesen sei. Die Minderjährigen - nach Polizeiangaben waren neun der Festgenommenen unter 18 Jahren - hätten aber durchaus die Möglichkeit gehabt, telefonisch mit ihren Eltern zu sprechen, "was häufig jedoch abgelehnt wurde", wie ein Polizeisprecher erklärt. Ansonsten teilt die Polizei lediglich mit: "Die Sicherstellung der Mobiltelefone geschah in Rücksprache mit der Staatsanwaltschaft aus Gründen der Beweissicherung." Von den Handys erhoffen sich die Ermittler, Fotos von möglichen Tatorten sicherzustellen oder Verbindungen zwischen den Beschuldigten herstellen zu können. Auch könnten so womöglich diejenigen Festgenommenen ermittelt werden, die gar nicht am Tatort waren, sondern erst später in Giesing eintrafen. Ansonsten dürfte es für die Polizei schwierig werden, herauszufinden, welcher der Beschuldigten etwas beschädigt hat. Zunächst ging die Polizei von "über 30 Tatorten" aus, an denen an jenem Abend gekritzelt, gekratzt oder geschmiert worden sein soll. Nun heißt es: "Über die genaue Anzahl der Tatorte kann erst nach Abschluss der Ermittlungen eine genaue Auskunft gegeben werden."

Einer der Beschuldigten dagegen meint, dass die meisten Schmierereien in der Umgebung der Festnahmen dort bereits "seit Wochen oder Monaten" zu sehen seien. Auch von einer gezielten Aktion oder einer Randale kann seiner Meinung nach keine Rede sein. "Wir waren dort alle Einzelpersonen, das war doch ein Konzert."

Mehrere Menschen, die vor einer Woche über Nacht festgenommen wurden, haben mittlerweile Anwälte eingeschaltet. Ein Münchner Strafverteidiger hat nach SZ-Informationen bereits Beschwerde beim Amtsgericht wegen der konfiszierten Handys eingelegt.