[L] Sebastian Gemkow: "Jetzt bin ich dran gewesen"

Erstveröffentlicht: 
03.12.2015

Mitten in der Nacht haben Unbekannte die Privatwohnung von Sachsens Justizminister Sebastian Gemkow angegriffen. Nur mit Glück blieb seine Familie unverletzt. Wo soll das enden?

 

Interview: Anne Hähnig und Stefan Schirmer

 

DIE ZEIT: Herr Gemkow, vor wenigen Tagen attackierten Unbekannte mit Pflastersteinen und Buttersäure Ihre Leipziger Privatwohnung. Wie geht es Ihnen heute?

Sebastian Gemkow: Mir und meiner Familie geht es so weit gut. Ich fühle nur, ehrlich gesagt, tiefe Enttäuschung. Jedem Angreifer muss klar gewesen sein, dass er nicht nur Scheiben oder eine Wohnung zerstört, sondern mein Leben und das meiner Frau und meiner beiden kleinen Kinder gefährdet. Unser Sohn ist ein Baby, wenige Monate alt. Nur mit sehr viel Glück ist uns nichts passiert.

ZEIT: Was genau ist in dieser Nacht geschehen?

Gemkow: Kurz nach zwei Uhr nachts riss mich heftiger Krach, eine Art Druckknall, aus dem Schlaf. Einige Fensterscheiben waren zerstört, und es stank bestialisch. Ich rief sofort die Polizei.

ZEIT: Was haben die Ermittlungen ergeben?

Gemkow: Es sieht so aus, als sei alles generalstabsmäßig geplant gewesen, denn die Angreifer warfen sechs schwere Pflastersteine, 20 mal 10 Zentimeter groß, die man nicht mal eben an der nächsten Straßenecke findet. Sie zielten auf alle Räume unserer Zweieinhalbzimmerwohnung. Ihnen muss klar gewesen sein, dass ein Stein im Kinderbett landen könnte, das neben dem Fenster stand. Ein Stein hat das Schlafzimmerfenster tatsächlich nur knapp verfehlt, er krachte in die Fassade.

ZEIT: Warum waren Ihre Fenster nicht gesichert?

Gemkow: Als ich Minister wurde, hat man extra eine Sicherheitsfolie angebracht. Aber die Steine waren so schwer, dass sie das Glas zerstört haben. So konnten die Angreifer Weihnachtskugeln, gefüllt mit übel riechender Buttersäure, in die Wohnung werfen. Unsere Kleider und Möbel sind unbenutzbar geworden, selbst nach intensiven Reinigungsversuchen ist die Wohnung noch unbewohnbar, sie muss wohl kernsaniert werden.

ZEIT: Eine Frage ist so naheliegend wie quälend: "Warum ich?" Welche Antwort haben Sie darauf?

Gemkow: Es war ja nicht nur ein Angriff auf mich, sondern auch auf mein Amt und auf den Staat. Das reiht sich ein in andere Angriffe in Leipzig aus jüngster Zeit. Da flogen Steine in Gerichtsgebäude, da wurde flüssiger Teer ausgekippt.

ZEIT: Also ein gezielter Angriff auf die Justiz?

Gemkow: Ja, vielleicht. Es hätte aber auch andere treffen können: Polizisten, Richter, Staatsanwälte. Jetzt bin ich dran gewesen.

ZEIT: Sie haben gesagt, Sie würden Ihr Leben auch nach diesem Vorfall nicht ändern. Ist das wirklich so, oder verkommt der Satz zur Floskel?

Gemkow: Das spricht aus meinem tiefsten Inneren, ich will mir Freiräume erhalten, mein Leben selbstbestimmt leben – auch jetzt noch.

ZEIT: Sachsens Regierungschef Stanislaw Tillich hat gesagt, Ihr Personenschutz werde verstärkt.

Gemkow: Was das heißt, ist mir bisher nicht klar. Das wird eine Gefährdungsanalyse des LKA ergeben. Noch hat mir keiner verboten, allein vor die Tür zu treten.

ZEIT: Ein Angriff auf die Familie gehört zum Übelsten, was man sich vorstellen kann. Haben Sie danach erwogen, Ihr Amt aufzugeben?

Gemkow: Ich will nicht pathetisch wirken, aber in meiner Familiengeschichte gibt es einige, die es verdammt schwer hatten, die alles riskiert und verloren haben. Mein Urgroßonkel war im Widerstand gegen Hitler. Wenn ich an ihn denke, wie er für seine Werte einstand, beeindruckt mich das sehr. Demgegenüber lässt sich meine Lage wahrlich aushalten. Ich werde keinen Meter zurückweichen.

ZEIT: Sachsens Linke verurteilte den Angriff als "Terror pur". Rücken in dieser Zeit sogar CDU und Linke zusammen?

Gemkow: Die Demokraten rücken zusammen. Ich freue mich über jeden, der momentan zum gesellschaftlichen Konsens beiträgt, egal, aus welcher demokratischen Partei. Gegenüber Menschenfeinden brauchen wir möglichst viel Widerspruch, um diesen Tätern Grenzen zu setzen.

ZEIT: Es gab zuletzt reihenweise Angriffe auf Politiker, Leipzigs Oberbürgermeister etwa erhielt Morddrohungen. Steckt dahinter System?

Gemkow: Klar ist, dass die Beteiligten der gesellschaftlichen Ränder zu neuer Aggressivität auflaufen.

ZEIT: Sachsen CDU-Generalsekretär Michael Kretschmer glaubt, Linksextremisten hätten den Anschlag verübt. Weiß er da schon mehr als wir?

Gemkow: Ich habe ihn noch nicht gefragt, auf welche Beobachtung er diese Aussage stützt. Aber eines ist jedenfalls nicht von der Hand zu weisen: In gewissen Städten sind gewisse Klientelen besonders präsent.

ZEIT: In Leipzig eben Linksextremisten?

Gemkow: Ja, aber ich beteilige mich nicht an Spekulationen. Ich wünsche mir, dass wir jede Form von Gewalt ächten. Nur: Leider muss ich davon ausgehen, dass das Klima noch rauer werden wird.

ZEIT: Sie klingen etwas fatalistisch. Können wir gar nichts gegen diese Verrohung tun?

Gemkow: Doch. Wir brauchen jetzt mehr denn je einen starken Staat. Der muss mit seinen repressiven Mitteln Grenzen aufzeigen. Auf der anderen Seite darf er nicht überreagieren.

ZEIT: Viele haben den Eindruck, der Staat sei nicht mehr wehrhaft. Was sagen Sie denen?

Gemkow: Dass der Staat natürlich wehrhaft ist. Dass auch ich, der ich selber Opfer eines Anschlages geworden bin, tiefes Vertrauen in unsere Institutionen habe. Gleichzeitig ist offensichtlich, dass viele Justizmitarbeiter inzwischen an ihre Kapazitätsgrenzen stoßen. Und die Verfahrenszahlen steigen. Deswegen werde ich meine ganze Kraft dafür einsetzen, die Justiz besser auszustatten. Ich setze mich dafür ein, dass es künftig mehr Stellen gibt. Sachsens gesamter Regierung ist klar, dass der Staat jetzt angemessen reagieren muss.

ZEIT: Dass die Scheiben von Politikerbüros demoliert werden, ist kaum mehr eine Meldung wert. Gewöhnen wir uns bald auch daran, dass Politikerwohnungen angegriffen werden?

Gemkow: Das wäre das Schlimmste. Sich daran zu gewöhnen bedeutet, diese kriminellen Taten zu tolerieren. Und je mehr wir das tun, umso enthemmter werden die Täter vorgehen.

ZEIT: Braucht es neue Straftatbestände – wie etwa Bedrohung von Amtsträgern?

Gemkow: Wir werden das diskutieren.

ZEIT: Sachsen riecht im Jahr 2015 nach Brandgeruch und Buttersäure. Es gab Krawalle in Freital, Heidenau, auch in Leipzig. Hätten Sie sich voriges Jahr solche Exzesse vorstellen können?

Gemkow: Nein. Es ist erschreckend, mit welcher Geschwindigkeit sich diese Hassspirale dreht. Es fing an mit Demonstrationen, auf denen die Wortwahl entgleist ist. Schon vor einem halben Jahr habe ich öffentlich gesagt: Dort, wo die Sprache eskaliert, dauert es nicht lange, bis auch Taten folgen. Ich will nicht den Teufel an die Wand malen, aber: Wir müssen wohl davon ausgehen, dass diese bedenkliche Entwicklung noch nicht zu Ende ist. Deshalb muss jeder in diesem Land, der guten Willens ist, aufpassen, dass er nicht auch in diesen Sog der verbalen Eskalation gerät.

ZEIT: Sachsens Innenminister kündigte im Sommer an, gemeinsam mit Ihnen beherzter gegen Hetzer vorzugehen. Was ist daraus geworden?

Gemkow: Wir sind da dran. Im kommenden Jahr werde ich eine Cyber-Crime-Einheit in der sächsischen Staatsanwaltschaft schaffen, die sich auch Hetzkommentaren im Netz widmen wird. Aber wir sind, was das betrifft, insbesondere auf Hinweise aus der Gesellschaft angewiesen. Ich kann nur an die Bürger appellieren, jede als Straftat empfundene Hetze anzuzeigen. Dann können Polizei und Justiz gezielt ermitteln. Ich muss aber auch dazu sagen: Nicht jede Äußerung, die einem strafbar erscheint, ist wirklich strafbar; manches ist zwar geschmacklos, aber nicht justiziabel.

ZEIT: Wie oft wird Hetze angezeigt?

Gemkow: Dazu gibt es keine eigene Statistik.

ZEIT: Haben Sie schon einmal solch eine Anzeige erstattet?

Gemkow: Bisher nicht, was wohl auch daran liegt, dass ich die Sozialen Netzwerke nicht mehr nutze. Die Art der Auseinandersetzung dort ist nach meiner Beobachtung schon seit einiger Zeit so sehr entglitten und so voller Geschmacklosigkeiten, dass ich diese Kommunikationswege unter diesen Bedingungen nicht mehr unterstützen möchte.