16 Millionen Euro für junge Flüchtlinge fehlen

Erstveröffentlicht: 
03.11.2016
Die Unterbringung kostet zusätzliches Geld. Eine Eilvorlage der Sozialbürgermeisterin sorgt für Unmut.

 

Eine kurzfristig anberaumte Sondersitzung und eine Vorlage, die wie ein Hilferuf klingt. Sozialbürgermeisterin Kristin Kaufmann (Linke) hat die Stadträte kalt erwischt. Genau 16,14 Millionen Euro sollen sie nun ganz schnell durchwinken. Wenn nicht, ist die Unterbringung der unbegleiteten ausländischen Minderjährigen nicht gesichert. So werden in der Verwaltung Kinder und Jugendliche genannt, die ohne Familie geflüchtet und nun in Dresden gelandet sind. Das Geld wird sofort und nur für dieses Jahr benötigt, weil Dresden viel mehr junge Flüchtlinge zugewiesen bekommen hat, als erwartet.

 

Bis Ende August sind 328 minderjährige Flüchtlinge nach Dresden gekommen, bis Jahresende sollen es laut Kaufmann 408 werden. Bisher wurden nur für sieben Kinder Pflegefamilien gefunden. Die meisten hat die Stadt in Obhut genommen und untergebracht, in vielen Fällen ist eine besondere Betreuung durch das Jugendamt notwendig. Inobhutnahmen kosten beispielsweise rund 240 Euro pro Tag und Platz, andere Maßnahmen sogar gut 265 Euro. „Zum Zeitpunkt der Planerstellung zum Doppelhaushalt 2015/16 war die Entwicklung der Flüchtlingsproblematik nicht bekannt und konnte somit keine Berücksichtigung finden“, schreibt Kaufmann in der erkennbar eilig verfassten Vorlage, die vor Rechtschreibfehlern strotzt. Bis zum Jahresende werden nach den aktuellen Zahlen insgesamt 16,14 Millionen Euro benötigt. „Aufgrund der hohen Unsicherheit bei der Fallzahlenentwicklung kann es zum Jahresende auch noch zu Abweichungen kommen“, schreibt die Sozialbürgermeisterin. Es könnte auch noch teurer werden. 

 

Erstattung dauert zu lange


Die Kosten werden der Stadt vom Land erstattet, und dieses rechnet sie dann beim Bund ab. Doch das dauert laut Kaufmann zu lange. Die Stadt hat bereits 11,4 Millionen Euro ausgegeben. Bis Ende September wurden aber nur 950 000 Euro tatsächlich vom Land gezahlt, obwohl die Stadt die Ausgaben dort angezeigt hat. Das liegt offenbar daran, dass laut Gesetz alle Kosten einzelfallbezogen abgerechnet, geprüft und irgendwann erstattet werden. „Dresden muss erheblich in Vorleistung gehen“, so Kaufmann. Bisher konnte sie die Zahlungen aus Geldern in ihrem Bereich leisten. Nun aber nicht mehr, und sie benötigt auch die 11,4 Millionen Euro zurück, die für andere Leistungen vorgesehen sind. Die Unterbringung muss die Stadt aber bezahlen, das ist laut Gesetz ihre Pflicht.

 

Für Donnerstag wurde eine Sondersitzung des Finanzausschusses einberufen, am Mittwoch erhielten die Stadträte die Vorlage. CDU-Stadtrat Gunter Thiele kritisiert Kaufmann dafür scharf. „Wir wurden völlig überrascht. Dazu heißt es, das Jugendamt sei zahlungsunfähig, wenn der Stadtrat nicht zustimmt.“ Er sei vor allem verwundert, dass das Thema so kurzfristig vorgelegt wird. Dass es Probleme bei der Finanzierung gibt, sei laut Thiele bereits seit August bekannt. Das habe er in der Verwaltung recherchiert. „Es ist ein schweres Versäumnis von Frau Kaufmann, den Stadtrat nicht früher informiert zu haben.“

 

Thiele werde nun versuchen, zu klären, ob es wirklich so dringend ist. Er würde lieber in Ruhe entscheiden und vorher alle entsprechenden Informationen vorliegen haben. „Es ist ein sensibles Thema, die Betroffenen sind besonders schutzbedürftig – da frage ich mich schon, ob die zuständige Bürgermeisterin hier richtig gehandelt hat.“ Die Überfalltaktik nervt auch SPD-Fraktionschef Christian Avenarius: „Vermutlich hat die Verwaltung davon nicht erst Anfang dieser Woche erfahren.“ Aber die einberufene Sondersitzung unterstreiche die Dringlichkeit des Anliegens. Da ist sicherlich etwas schiefgelaufen. Aber ich würde jetzt nicht sagen wollen, ob die Verantwortung im Bereich von Frau Kaufmann oder eher bei dem Finanzbürgermeister liegt.“ Wichtig sei es, in der Ausschusssitzung offene Fragen zu klären und dann eine Entscheidung zu treffen.

 

Kaufmann räumt ein, dass ihre Vorlage „sehr kurzfristig“ dem Rat vorgelegt wurde. „Gleichwohl duldet die Sache keinen Aufschub. Der finanzielle Engpass im Jugendamt fordert von Verwaltung und Stadtrat zügige Entscheidungen.“ Nur so könne gewährleistet werden, dass Hilfen für junge Menschen in schwierigen Lebensverhältnissen und die Betreuung und Versorgung der unbegleiteten ausländischen Minderjährigen ohne Einschränkungen und fortlaufend erfolgen. Ursprünglich sei geplant gewesen, den Stadtrat zu informieren und erst am 5. Dezember darüber abstimmen zu lassen. Nun seien die Mittel aber schneller aufgebraucht, weil unerwartet Rechnungen eingegangen seien.