Bühne für Holocaust-Leugnerin

Erstveröffentlicht: 
12.10.2016

Die notorische Antisemitin Ursula Haverbeck-Wetzel ist erneut zu einer elfmonatigen Haftstrafe verurteilt worden. Der Prozess am Amtsgericht im ostwestfälischen Bad Oeynhausen (Kreis Minden-Lübbecke) geriet zu einer Versammlung des revisionistischen Milieus.

Vor der Tür des Gerichts herrscht dichter Andrang. Penibel überprüfen die Justizwachtmeister die Besucher. Über 50 Sympathisanten von Haverbeck-Wetzel sind am Dienstag zum Prozess angereist. Für das kleine Amtsgericht in der ostwestfälischen Kurstadt zu viele. Die meisten müssen auf dem Gerichtsflur ausharren.

Als die 1928 geborene Holocaust-Leugnerin den Saal betritt, applaudieren die gut 20 Anhänger im Gerichtssaal. Da hatte die Vorsitzende Richterin das Verfahren bereits eröffnet, sie ermahnt die Besucher, solche Bekundungen zu unterlassen, da sie sonst den Saal räumen lassen werde. Eine Warnung, die bei so manchem Zuschauer nicht ankommt. Immer wieder gibt es Zwischenrufe der teils von weither angereisten Rechtsextremisten.

Haverbeck-Wetzel ist der Saal zu klein, das habe sie schon im Vorfeld dem Gericht mitgeteilt und um einen größeren Saal gebeten. Obwohl sie selbst szeneintern für das Kommen zu ihrem erneuten Prozess geworben hat, sagt sie, die Justizbehörden hätten für den großen Andrang gesorgt.

Ausschweifende Ausführungen im Gerichtssaal

Angeklagt sind vier Veröffentlichungen auf Haverbeck-Wetzels Internetseite. „Liebe Landsleute: Den Holocaust gab es nicht!“, heißt es dort bis heute. Weil der Server in den USA steht, könnten die deutschen Behörden daran nichts ändern, sagt der Staatsanwalt. Mehrmals muss die Richterin die Verhandlung kurz unterbrechen, weil auf dem Flur gelärmt wird. Haverbeck-Wetzel verteidigt sich selbst, sie ist ohne Anwalt gekommen.

Haverbeck-Wetzel hält einen langen Monolog darüber, weswegen aus ihrer Sicht der Holocaust eine Lüge sei. Sie beruft sich auf Schriften von anderen Holocaust-Leugnern, konstruiert eine angebliche jüdische Weltverschwörung. Schon seit dem 19. Jahrhundert, so die Antisemitin, hätten die Juden einen Plan geschmiedet, den Holocaust als Propagandalüge zu entwickeln. Damals sei geplant worden, dass Deutschland zerstört werden müsse – freilich von den Juden. Immer wieder zitiert sie andere Revisionisten, vornehmlich jüdische. Das Verfahren gegen sie sei ein „massiver Eingriff in die Pressefreiheit“, echauffiert sie sich. Und Prozesse gegen Mitglieder der SS-Wachmannschaften in Auschwitz seien „eine Schande für das deutsche Rechtssystem“.

Im Gerichtssaal folgt auch Rigolf Hennig aus Verden den ausschweifenden Ausführungen der Angeklagten. Zusammen mit Haverbeck-Wetzel ist der ehemalige NPD-Ratsherr wegen volksverhetzender Veröffentlichungen in Hennigs Zeitschrift „Stimme des Reiches“ angeklagt. Das Blatt gilt als Nachfolgepublikation der „Stimme des Gewissens“, die vom 2008 verbotenen von Haverbeck-Wetzel geleiteten „Collegium Humanum“ herausgegeben wurde. Bis November dürfe die „Stimme des Reiches“ nicht erscheinen, sagt Haverbeck-Wetzel. Doch die Revisionisten haben bereits Ersatz gefunden: Nun erscheint in ähnlicher Aufmachung ein „Persönlicher Brief von Ursula Haverbeck“. Im Juli gab es eine Doppelausgabe, für die auch Hennig zur Feder griff. Der Empfängerkreis dürfte ein ähnlicher sein wie bei der „Stimme des Reiches“.

„Angeklagte wird in ihrem Tun fortfahren“

Der Staatsanwalt lässt sich von den Ausführungen Haverbeck-Wetzels nicht irritieren. „Ihnen geht es darum, Hitler zu rehabilitieren, den Nationalsozialismus zu rehabilitieren“, stellt er im Plädoyer fest. „Sie wird weiter Straftaten begehen“, die einzige Möglichkeit, dies zu verhindern, sei, sie ins Gefängnis zu stecken. Mit einem weiteren langen Monolog stellt Haverbeck-Wetzel die Geduld der Richterin im „letzten Wort“ auf die Probe. „Mein wirkliches Anliegen ist es, den ‚130‘ zu beseitigen“, sagt sie und meint den Paragraf 130 des Strafgesetzbuches, der Volksverhetzung unter Strafe stellt. „Dieser Paragraf muss fallen!“

Wegen Volksverhetzung in vier Fällen, also in Tatmehrheit, verurteilt das Amtsgericht die 87-Jährige zu elf Monaten Haft ohne Bewährung. Der Staatsanwalt hatte zehn Monate gefordert, da er eine Tateinheit sah. Während der Urteilsverkündung rufen mehrere Zuschauer der Richterin „Lügnerin“ entgegen. Ein Mann, offenbar aus Ostdeutschland, zeigt ihr den Mittelfinger. Er wird festgenommen. „Haverbeck identifiziert sich seit Jahrzehnten mit der nationalsozialistischen Ideologie und Antisemitismus“, sagt die Vorsitzende Richterin. Den Juden erkenne sie das „Lebensrecht“ ab. Auch die Richterin ist sich sicher: „Die Angeklagte wird in ihrem Tun fortfahren.“ In der heutigen Zeit, in der Rechte auch gegen Flüchtlinge Stimmung machen, sei Haverbeck-Wetzels Agitation „besonders verwerflich“.

Für Haverbeck-Wetzel ist das Urteil zwar ein „Skandal“, aber dennoch lächelt sie. Sie hat ihre Bühne bekommen. Nur dass nicht alle ihre Freunde im Saal ihren ideologisch verblendeten Ausführungen folgen konnten, ärgert sie.

Applaus und Blumensträuße für die Verurteilte

Als Haverbeck-Wetzel den Verhandlungssaal verlässt, empfangen sie ihre Anhänger mit Applaus. Dann stimmen die Rechtsextremisten im Gerichtsgebäude das Deutschlandlied in allen drei Strophen an. Unter den „Deutschland, Deutschland über alles“-Sängern ist auch Imke Barnstedt aus Oldenburg. Die Schauspielerin und Betreiberin der Kleinkunstbühne „Berliner Zimmer“ zählt schon seit Jahren zu den politischen Weggefährtinnen der Verurteilten. Argwöhnisch beobachten Beamte der Bereitschaftspolizei die Szenerie, greifen jedoch nicht ein. Neben Haverbeck-Wetzel steht im Amtsgericht die ehemalige britische Schönheitskönigin Lady Michèle Renouf. Die 1946 in Australien geborene Renouf engagiert sich mit Haverbeck-Wetzel gemeinsam als Holocaust-Leugnerin. Nach Bad Oeynhausen kam sie gemeinsam mit dem hessischen NPD-Funktionär Roy Armstrong-Godenau. In Nordhessen unterhält Renouf auf dem ehemaligen Anwesen des verstorbenen Rechtsterroristen Manfred Roeder eine Art „Sommerdomizil“.

Vor der Tür begrüßt dann der einstige Chef der verbotenen „Nationalistischen Front“, Meinolf Schönborn aus Herzebrock-Clarholz (Kreis Gütersloh), die Verurteilte. Auch der „Die Rechte“-Funktionär Sascha Krolzig steht vor dem Gerichtsgebäude, zusammen mit weiteren jungen Neonazi-Aktivisten. Angeregt unterhält sich der Brandenburger Rechtsextremist Dirk Reinecke. Der Thüringer Christian Bärthel, in ähnlicher Mission wie Haverbeck-Wetzel unterwegs, hält die zahlreichen Blumensträuße, die die 87-Jährige von ihren Fans erhalten hat.

Zusammen mit ihrem Mann war Annelore Günther aus Dresden angereist. 2014 kandidierte sie für die AfD für den Stadtrat in der sächsischen Landeshauptstadt. Sie gilt als Unterstützerin der Partei, ist im „Verein Deutsche Sprache“ tätig. Parallel dazu engagiert sie sich an Haverbeck-Wetzels Seite, sie verschickte auch Einladungen für Treffen im thüringischen Mosbach bei Wutha-Farnroda (Wartburgkreis), wo schon zu Zeiten des „Collegium Humanums“ Holocaust-Leugner zusammenkamen. 2013 nahm Günther Anmeldungen für eine Veranstaltung mit Haverbeck-Wetzel im südniedersächsischen Spiekershausen (Kreis Göttingen) entgegen, die vor allem von der Neonazi-Partei „Die Rechte“ beworben wurde. Organisator des rechtsextremen Treffens damals war Markus Walter, führendes Mitglied von „Die Rechte“.

Haverbeck-Gefolgschaft im Reisebus zum gemeinsamen Mittagessen

Walter selbst ist zum Prozess in Bad Oeynhausen nicht gekommen. Gegen ihn wird laut Staatsanwaltschaft ebenfalls ermittelt, da er für Haverbeck-Wetzel die Internetseite betreuen soll. Die 87-Jährige bestätigte dies vor Gericht quasi. Auf Nachfrage wollte sie dazu dann aber doch lieber schweigen. Der 1991 geborene Walter hatte die Webseite registriert und führt regelmäßig Vortragsveranstaltungen mit Haverbeck-Wetzel durch.

Nach der Verhandlung geht es für die meisten der angereisten Rechten weiter, um mit Haverbeck-Wetzel gemeinsam Mittag zu essen. Ein eigens dafür angemieteter Reisebus bringt die Gefolgschaft dort hin. Rund 80 Rechtsextremisten kommen in einem Lokal im nahen Vlotho-Bonneberg (Kreis Herford) zusammen. Auch dort hinter verschlossenen Türen dürfte Haverbeck-Wetzel wieder ihre Lügen verbreiten.

Die Verurteilung des Amtsgerichts Bad Oeynhausen ist die siebente wegen Volksverhetzung für die Grande Dame des Revisionismus. Zuletzt war Haverbeck-Wetzel im September dieses Jahres vom Amtsgericht Detmold zu acht Monaten (bnr.de berichtete www.bnr.de/artikel/aktuelle-meldungen/haftstrafe-f-r-auschwitz-leugnerin) und im November 2015 in Hamburg zu zehn Monaten Haft verurteilt worden. Die Urteile sind noch nicht rechtskräftig, die 87-Jährige aus Vlotho hat Berufung eingelegt. 2010 erhielt sie vom Landgericht München bereits eine Gefängnisstrafe von sechs Monaten auf Bewährung. Seit 2004 musste sich Haverbeck-Wetzel immer wieder vor Gericht wegen Volksverhetzung und Beleidigung von der damaligen Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch, verantworten und kassierte dafür zunächst Geldstrafen. Im November folgt der nächste Prozess.