Enricos großer Tag

Der Spiegel - Nr. 30 / 23.07.2016, Seite 53
Erstveröffentlicht: 
23.07.2016

Eine Meldung und ihre Geschichte
Ein Rechter ruft zur Demo auf – es kommen 170 Polizisten und 50 Gegendemonstranten.

An einem heißen Samstag im Juni, mittags um eins, sank Enrico Pridöhl auf einen Bordstein in der Innenstadt von Bad Segeberg und ahnte, dass er verloren hatte. In seiner Hand hielt er eine schwarz-rot-goldene Flagge, die schlaff in der windlosen Luft hing. Fast still war es, weil die Straßen abgesperrt waren, hier und da konnte er das Rauschen von Funkgeräten hören, mit denen die Polizeibeamten um ihn herum ausgerüstet waren, immerhin 170 an der Zahl.

 

Enrico Pridöhl ist 40 Jahre alt, ein hagerer Mann mit Schirmmütze, der älter aussieht, als er ist. Er sitzt, vier Wochen nach diesen Spuk, vor einem Café in Heiligenhafen, Schleswig-Holstein, schwarzes Hemd, schwarzes Jackett, und sagt, dass er seinen vollständigen Namen nicht lesen möchte. Er sucht noch immer nach einer Erklärung. Wie konnte das passieren? Wie konnte ihn „200 Kameraden“, angeblich doch „stolze Patrioten“ wie er selbst, so in Stich lassen? „Rechtssein“, sagt er, „bedeutet“ doch zusammenhalten.“

Für Enrico Pridöhl, in der DDR geboren, war Gemeinschaft immer wichtig. Er wuchs auf in Röbel, einer Kleinstadt an der Mecklenburger Seenplatte. Als Junge, erzählt er, verbrachte er viel Zeit bei der Freien Deutschen Jugend. In den sozialistischen Ferienlagern sang er mit anderen Kindern Lieder über Freundschaft und Verbrüderung.

Nach der Schule machte er eine Ausbildung zum Briefträger. Drei Jahre nach dem Fall der Mauer zog er in den Westen, nach Neukirchen, ein Dorf in Schleswig-Holstein. Er trat dort der SPD ein, er schätze den Austausch mit Genossen. Irgendwann, auf einer Parteiveranstaltung , lernte er eine junge Türkin kennen und verliebte sich. Die Beziehung hielt sechs Jahre. „Die Jahre“, sagte Enrico Pridöhl, „waren die besten überhaupt.“

Der Bruch in seinem Leben kam, als seine Freundin sich von ihm trennte. Enrico begann zu trinken, ließ sich auf kriminelle Geschäfte ein. „Waren- und Kreditdelikte“, so nennt er das, was ihn vier Jahre in Gefängnis brachte.

Als er wieder rauskam, im Sommer 2008, hatte Enrico Pridöhl keine Freunde, keine Familie, keine Arbeit mehr. Er fühlte sich alleingelassen.

Die erste Demo, an der er teilnahm, war ein Protestmarsch in Lübeck, organisiert von der NPD. Enrico Pridöhl hatte bis dahin nie mit Rechtsextremisten zu tun gehabt. Er kann noch heute kaum sagen, was er damals bei ihnen gesucht hat, vielleicht, sagt Pridöhl, „war es am Anfang nur ein bisschen Halt“

Was auch immer es war, Enrico Pridöhl machte irgendwann ein Hobby daraus. Bald lief er jede Woche mit bei den Märschen der rechten Szene, in Greifswald und in Rostock, in Hamburg und in Schwerin. Er rief nationalistische Parolen und verschaffte dem Frust über sein Leben Luft.

Im vergangenen Sommer, als sein Geld knapp wurde, beschloss Pridöhl, einige Demos zu veranstalte, für die er nicht weit reisen musste. Er ging von Dorf zu Dorf, verteilte Flugblätter, rief auf Märschen gegen kriminelle Ausländer und Kinderschänder.

Im Winter, als die Stimmung den Flüchtlingen gegenüber ungemütlich wurde, erstellte er im Netz eine Facebook-Seite. Er gab ihr den Titel „Schleswig-Holstein wehrt sich“ und teilte dort Meldungen über Flüchtlinge, die angeblich Frauen und Kinder sexuell belästigen. Die Seite wurde mehr als 200-mal geliked, und Enrico Pridöhl nahm an, mindestens 200 Menschen wären bereit, mit ihm die ganz große Demo abzuziehen.

Unter dem Motto „Asylmissbrauch stoppen – Nein zur Merkel-Politik“ kündigte er einen Protestmarsch an, auf seiner Facebook-Seite und auch beim Ordnungsamt von Bad Segeberg. Das Schreiben, eingegangen bei der Kreisordnungsbehörde , landete bei der Polizeidirektion der Stadt. Diese, zum Schutz von Demonstrationen verpflichtet, beurteilte die Gefährdungslage, erstelle  Woche vorher ein taktisches Konzept und plante, anhand eines vorgegebenen Schlüssels, 170 Beamte aus ganz Schleswig-Holstein ein.

Enrico Pridöhl hatte alles genau durchgespielt.. Vom Parkplatz am Städtischen Gymnasium aus wollte er vier Stunden durch den Ort marschieren , durch Wohnsiedlungen und Einkaufsstraßen, zurück zum Gymnasium, bis zur Abschlusskundgebung vor der großen Mehrzweckhalle. Er hatte sogar ein Megafon besorgt.

Er stand pünktlich vor dem Gymnasium, er hielt die Deutschlandfahne in die Luft, gewissermaßen als Erkennungszeichen für seine Verbündeten, er schaute sich nach ihnen um, wieder und wieder. Aber alles, was er sah, waren Polizisten in schwerer Uniform.

Enrico Pridöhl schwitze. Er sah, dass entlang seiner Route viele Menschen standen. Aber das waren Gegendemonstranten. Dann sank er auf den Bürgersteig.

Die Polizei, mit fast 40 Einsatzfahrzeugen angerückt, wartete genau 15 Minuten, dann sagte sie die Demo ab. Die versammlungsrechtlichen Anforderungen, hieß es, schrieben mindestens drei Teilnehmer vor. Enrico Pridöhl ließ sich nach Hause fahren, beschützt von zwei Beamten.

Sein Versuch einer Demonstration, erzählten sie ihm in Auto, würde das Land mehr als 50.000 Euro kosten. Enrico Pridöhl spürte ein Kribbeln in seiner Brust. Er kam sich, wenigstens einen Moment lang, wichtig vor.

 

 


 

Der im Artikel gekürzte Nachname Enrico P., wurde in Enrico Pridöhl geändert.