Aufruf zur Demonstration am Samstag, 24. September in Saarlouis, 14.00 Uhr, Hauptbahnhof
Zum 25. Jahrestag des Mordes an Samuel Yeboah
Wir schreiben das Jahr 2016, überall in Deutschland brennen Flüchtlingsheime. Häufig werden Parallelen zu den frühen 90er Jahren gezogen, als Orte wie Rostock-Lichtenhagen und Mölln traurige Schlagzeilen machten. Auch das Saarland kennt diese Geschichten: 1991 kam Samuel Kofi Yeboah, geflüchtet aus Ghana, bei einem rassistischen Brandanschlag auf seine Unterkunft in Saarlouis ums Leben. Am 19. September 2016 jährt sich sein Todestag zum 25. Mal.
In den vergangenen Monaten haben wir mit unserer Kampagne „Hass hat Konsequenzen“ auf verschiedene Akte rechten Terrors im Saarland hingewiesen. Wir nehmen den Jahrestag dieses schrecklichen Ereignisses zum Anlass, unseren Forderungen Nachdruck zu verleihen. Deshalb rufen wir für den 24.09.2016 zu einer Demonstration in Saarlouis auf.
Wenn wir Taten wie den Mord an Samuel Yeboah im gesellschaftlichen Kontext von damals bis heute betrachten, wird deutlich, wohin uns der Mob führen wird, der aktuell auf den Straßen, in sozialen Netzwerken und in den Parlamenten gegen Geflüchtete und andere als fremd empfundene Menschen hetzt.
Von damals...
Neben den Ressentiments gegenüber Geflüchteten speist sich die rechte Mobilisierung aktuell aus dem Mythos des sogenannten „Schuldkults“. Die Forderung nach einem Schlussstrich unter das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus ist nach wie vor präsent. Es sei doch nun genug gesühnt, die Generation von heute trage keine Schuld an den Verbrechen ihrer Großeltern. Dabei wird die Frage der Schuld bewusst mit der Frage der Verantwortung verknüpft, um sich so gleich beider entledigen zu können. Doch auch wenn diejenigen, die nach der Zeit des Nationalsozialismus geboren wurden keine Schuld an den begangenen Verbrechen tragen, so stehen doch alle Menschen in der Verantwortung, dafür Sorge zu tragen, dass sich ein Verbrechen wie der Holocaust nicht wiederholen kann: Durch unser Handeln prägen wir aktuelle und zukünftige Entwicklungen. Hier besteht Nachholbedarf. Noch immer werden beispielsweise in Riegelsberg Zwangsarbeiter euphemistisch als „Ostarbeiter“ bezeichnet und neben ihren Mördern begraben. Ehrliches, würdiges Gedenken sieht anders aus.
Stattdessen verklärt man im Umgang mit saarländischen Lokalgrößen gerne die Zeit des Nationalsozialismus: Dass beispielsweise Hermann Röchling, Eigentümer der Völklinger Hütte während des zweiten Weltkriegs, als Wehrwirtschaftsführer und Generalbevollmächtigter für die Eisen- und Stahlindustrie in Lothringen, großen Anteil an der Waffen- und Kriegsproduktion des „Dritten Reiches“ hatte, trat im Rahmen der Ausstellung „Die Röchlings und die Völklinger Hütte“ hinter den angeblichen Wohltaten des Industriemagnaten zurück. Dabei war Röchling ein enger Vertrauter Adolf Hitlers. Im Vorfeld der Saarabstimmung 1935 engagierte er sich für die Deutsche Front, die den Anschluss des Saargebietes an Nazideutschland propagierte. In einer Denkschrift für Hitler aus dem Jahr 1936 forderte er den Krieg gegen die Sowjetunion und das „Weltjudentum“. In seinem Stahlwerk mussten über 12.000 Sklavenarbeiter_innen und Kriegsgefangene, vor allem aus der Sowjetunion, Polen und Frankreich, schwerste Zwangsarbeit verrichten, unzählige Menschen verloren dabei ihr Leben. All das spielt weder in der Ausstellung noch in der öffentlichen Wahrnehmung der Völklinger Hütte eine nennenswerte Rolle.
Diesen Geschichtsrevisionismus legt auch die Riegelsberger Initiativgruppe Hindenburgturm an den Tag. In Zusammenarbeit mit Bürgermeister und Gemeinderat plante diese 2015 eine Gedenkstätte für gefallene Wehrmachtssoldaten. Die Forderung nach einer weiteren Gedenkstätte für die Täter begründete der Sprecher der Gruppe mit den Worten: „Im Tod sind alle gleich“.
Allzu oft gelingt es den alten Nazis und ihren geistigen Erben, die Debatte zu prägen und mitzureden, wenn es um ein Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus geht. Diese Rolle wollen wir ihnen nicht überlassen, den geforderten Schlussstrich wird es mit uns nicht geben. Wer die Täter zu Opfern erklärt, verharmlost ihre Verbrechen und bereitet letztlich den Nährboden, auf dem rechte Ideologie heute wieder wuchern kann.
...bis heute
Der rechte Terror, der Samuel Yeboah den gewaltsamen Tod brachte, war und ist im Saarland keine Ausnahmeerscheinung. Rechte Gewalt ist kein bedauerlicher Einzelfall. Der saarländische „Verfassungsschutz“ wollte bis zuletzt „keine zunehmende Gefahr durch Rechtsextremisten im Saarland“ beobachten (vgl beispielsweise: http://www.saarbruecker-zeitung.de/aufmacher/Nazi-Neonazi-Rechts-Gewalt-Terrorismus;art27856,4026518#.T_4PjBVzSBs) und wurde nicht müde zu betonen, dass antifaschistisches Engagement mindestens genauso gefährlich sei. Erst nachdem das „Bundesamt für Verfassungsschutz“ seine Einschätzung aufgrund der Berichterstattung über den massiven Anstieg von Angriffen auf Geflüchtete und ihre Unterkünfte im Frühjahr diesen Jahres geändert hatte, zog der saarländische „Verfassungsschutz“ nach. Dabei weist nicht nur die Antifa Saar / Projekt AK seit Jahren auf die Gefahren hin, die von saarländischen Nazis ausgehen. Die hiesige Naziszene strotzt nur so vor Waffennarren, Sprengstofffanatikern und Gewalttätern: Morde, nicht aufgeklärte Brandserien, heruntergespielte Angriffe auf Geflüchtete, diverse Sprengstoffanschläge, unzählige Übergriffe auf Jugendliche, Antifaschist_innen, Homosexuelle, zahlreiche Waffenfunde.
Dass die Gefahr von rechts verharmlost wird, hat System. Auch heute ist deutlich, aus welcher Richtung der Wind in der Berliner Republik weht. Einerseits werden zwar „Willkommenskultur“ und Zivilgesellschaft gepriesen, andererseits beugt man sich aber dem Mob auf den Straßen und verschärft das ohnehin schon zur Unkenntlichkeit verstümmelte Recht auf Asyl weiter.
Die Rechten an den Stammtischen und in den
Parlamenten spielen dabei die Begleitmusik zum Wiedererstarken der
nationalsozialistischen Akteure, die lieber heute als morgen zur Tat
schreiten und ihre Feinde vernichten wollen. Dass auch die
saarländischen Nazis es ernst meinen, wenn sie beispielsweise in
sozialen Medien damit drohen ihre politischen Gegner anzugreifen,
musste eine Gruppe Jugendlicher vor wenigen Wochen am eigenen Leib
erfahren. Am 5. August wurden sie nach einer Kundgebung der rechten
Gruppierung „Bündnis Saar“ unvermittelt von einer Gruppe Nazis
angegriffen, die sie beschuldigten sich am Gegenprotest beteiligt zu
haben. Einer der Angreifer hatte sich mit einem Hammer bewaffnet.
2011 waren in Winterbach mehrere saarländische Nazis beteiligt, als
eine Hütte in einem Schrebergarten in Brand gesteckt wurde, in der
sich Menschen vor den Nazis versteckt hatten. Im August 2002 wurde
Ahmet Şarlak von einem stadtbekannten Nazi in Sulzbach mit mehreren
Messerstichen ermordet. Dieser mörderischen Ideologie fiel auch
Samuel Yeboah zum Opfer, dessen Unterkunft 1991 in Brand gesteckt
wurde.
Wer aber angesichts der humanitären Katastrophe, die sich an den europäischen Außengrenzen abspielt, mit dem Finger nur auf den rechten Rand zeigt, versucht womöglich die eigene Verantwortung herunter zu spielen. Schon Anfang der 90er hatte die Politik mit einer Verschärfung des Asylrechts auf die damals von Nazis verübten Pogrome reagiert. Auch heute geht die sogenannte politische Mitte der Gesellschaft von SPD, Grünen bis zur CSU – trotz großer Aufnahmebereitschaft in weiten Teilen der Zivilgesellschaft – lieber auf die Forderungen der Rechten ein und schränkte das Recht auf Asyl in den letzten Monaten noch weiter ein. Das „Problem mit den Flüchtlingen“ soll nun der autoritäre Herrscher Erdogan im Auftrag Europas klären. Die deutsche Regierung mimt den Menschenfreund, lässt sich tatsächlich aber von den Menschenfeinden vom rechten Rand vor sich her treiben. Auch hier sind die Rechten Stichwortgeber in der aktuellen politischen Debatte. Mit der Schließung der sogenannten Balkanroute erfüllte die Bundesregierung deren Forderung, „die Grenzen dicht“ zu machen.
Wer also die Nazis und andere Rechte wegen ihrer Menschenfeindlichkeit kritisiert, darf nicht außer Acht lassen, dass es die sogenannte Mitte der Gesellschaft ist, die deren Forderungen regelmäßig in Gesetzesform zum Durchbruch verhilft. Auch den Schreibtischtäter_innen gilt daher unser Widerstand. Wir zeigen uns weiterhin solidarisch mit all denjenigen, die auf der Suche nach einem besseren Leben hierher kommen.
Zwei Seiten einer Medaille
Selbstverständlich sind die pauschalen Behauptungen der Rechten, alle Geflüchteten seien potentielle Terroristen, absurd. Gerade deshalb ist es von besonderer Bedeutung, auf die Gemeinsamkeiten derer hinzuweisen, die sich uns in der Öffentlichkeit als Kontrahenten präsentieren wollen: Die Rechten und die Islamisten kämpfen den selben Kampf gegen die Freiheit und gegen das Leben. Sie kämpfen um ihren Platz in einer Welt, die von der Krisenhaftigkeit des Kapitalismus immer wieder erschüttert wird. In einer Welt, in der nichts sicher scheint, wollen beide mit Gewalt einen privilegierten Platz in der internationalen Konkurrenz erobern und die „Andersartigen“ ausschalten. Mit seinem Männlichkeitswahn, seinem Chauvinismus, der absoluten Unterwerfung der Frau und der zumindest oberflächlichen Fürsorge für die Glaubensbrüder macht der radikale Islam den deutschen Rechten genau auf den Feldern Konkurrenz, auf denen diese sich bisher als Vorkämpfer gesehen hatten.
Trotzdem gelingt es Pegida und Co. immer wieder, sich als „Verteidiger des Abendlandes“ aufzuspielen. Islamkritik wird oft als rechte Disziplin wahrgenommen. Dabei war Religionskritik noch nie eine Stärke der Rechten.
Und auch heute ist das, was sie uns als Kritik am Islam verkaufen wollen, Augenwischerei. Von CDU über AfD bis NPD stehen gerade rechte Parteien in Deutschland für die Werte, die auch von Islamisten propagiert werden: antidemokratisches Führerprinzip, altertümliche Geschlechterrollen, der Kult um Mutterschaft und Familie, die Ablehnung der Homoehe bzw. von Homosexualität im Allgemeinen, die Ablehnung von aufklärerischem Sexualkundeunterricht. All das sind Forderungen der Islamisten, mit denen sie in der AfD eine steile Karriere hinlegen könnten – würden sie sich endlich mal rasieren und die Burka ablegen. Die „Islamkritik“ der Rechten zerfällt somit bei genauer Betrachtung in ein plumpes „Ausländer raus“.
Unsere Antwort auf Islamismus und religiösen Terror hingegen ist ein solidarisches Miteinander. Niemand soll gezwungen sein den Terror des Kulturkreises zu ertragen, in den er oder sie hineingeboren wurde.
Fazit
Weder Islamisten noch Nazis und andere Rechte sind den Herausforderungen der modernen Welt gewachsen. Ihre Konzepte sind die der Vergangenheit und basieren auf der Fortschreibung und Steigerung grausamer menschlichen Charaktereigenschaften: der Ignoranz gegenüber menschlichem Leid, der Schadenfreude, dem Neid und der Abgrenzung, sowie der aktiven und gewalttätigen Bekämpfung von angeblichen Konkurrenten. Sie sind beide gleichermaßen Feinde der Freiheit und Freunde des Todes.
Abgrenzung, Ausgrenzung, Hass und Terror. Das ist nicht die Welt, in der wir leben wollen.
Wir kämpfen für ein schönes Leben in Freiheit für Jede und Jeden, im Hier und Jetzt.
SCHLUSS MIT DER VERHARMLOSUNG RECHTEN TERRORS!
FÜR EIN WÜRDIGES GEDENKEN AN DIE OPFER RECHTER GEWALT!
ORGANISIERT DEN ANTIFASCHISTISCHEN SELBSTSCHUTZ!
Geht mit uns für diese Forderungen anlässlich des 25. Jahrestages der Ermordung Samuel Yeboahs in Saarlouis auf die Straße!
Samstag, 24. September 2016, 14.00 Uhr, Hauptbahnhof Saarlouis
Antifa Saar / Projekt AK
Im Rahmen der Kampagne HASSHATKONSEQUENZEN. Die Kampagne wird unterstützt von: Antifa Nordwest-Saar, CriThink! e.V., Die Falken Kreisverband Saarlouis, Heinrich Böll Stiftung Saar, Jusos Kreisverband Saarlouis, Linksjugend [’solid] Saarland, Multikulturelles Zentrum Trier, Peter Imandt Gesellschaft / Rosa-Luxemburg-Stiftung Saar, ...resist! Solidarische Rose Zweibrücken.