Kampf um die Rigaer Straße

Erstveröffentlicht: 
03.07.2016

[Der Anfang eines Artikels, für den man bezahlen müsste.]

Henkels Hausaufgabe: Die letzte Bastion des Widerstands

Es geht nicht mehr nur um brennende Autos. Der Konflikt ist persönlich geworden: Frank Henkel gegen Rigaer Straße 94. Der Innensenator will sich profilieren – und dieser Kampf ist seine beste Chance.

 

Es sieht ganz ordentlich aus vor der Rigaer Straße 94. Keine alten Sofas oder Kühlschränke auf dem Gehweg, keine Anarchisten, die an einer neuen Barrikade bauen – und auch keine Polizisten, die Passanten nach Papieren fragen. Auch so ist das manchmal im Samariterkiez. Nur die Flugblätter, die links und rechts von der Haustür kleben und über den „Widerstand“ der Hausbewohner gegen Polizisten, Gentrifizierer und Investoren berichten, lassen erahnen, was hier in den vergangenen Wochen los war.

 

Die Adresse Rigaer Straße 94 gilt als politisch härtestes Haus der Stadt und eine der letzten Bastionen linken Widerstands. In dem Altbau mit der bunten und mit einem Transparent verhängten Fassade leben Leute in einem Wohnprojekt, das dem Verfassungsschutz in seinem Bericht 2015 ein eigener Abschnitt im Kapitel „Linksextremismus“ wert ist. Von den dort wohnenden „Anarchos“ gehe „das größte Gewaltpotential der linksextremistischen Szene“ der Stadt aus, heißt es da. Deutlich wurde das im Januar. Als ein Streifenpolizist in der Rigaer ein Knöllchen schreiben wollte wurde er auf der Kreuzung zur Liebigstraße angegriffen, die Täter flüchteten in das Hausprojekt.

 

Frank Henkel hat schon damals versucht, Stärke zu zeigen. 200 Polizisten stürmten das Gebäude, suchten nach Waffen und gefährlichen Gegenständen. 300 warteten in Nebenstraßen – falls die Situation eskalieren sollte. Am Ende kamen die Beamten mit Pflastersteinen, Stahlstangen, Feuerlöschern, Gasflaschen und einigen Kisten mit Nägeln wieder heraus. Maßlos, völlig überzogen sei die Aktion gewesen, kritisierte die Opposition. Und Henkel, der sich später auch noch im Innenausschuss rechtfertigen musste, sagte irgendwann den denkwürdigen Satz, die Rigaer Straße werde nicht sein Vietnam werden. Es war eine Kriegserklärung.

 

Das Haus der Radikalen steht in einem Kiez, in dem Punker, Künstler und einfache Leute leben – und seit ein paar Jahren finanziell bessergestellte Liebhaber schöner Altbau- und innerstädtischer Neubauwohnungen. Kurz nach dem Mauerfall hatten sich vor allem Linke und Hausbesetzer in dem Viertel niedergelassen. Sie zeigen bis heute Toleranz mit dem Wohnprojekt, auch wenn die Hausbewohner die Rigaer Straße gelegentlich zum Feiern nutzen, Feuer entzünden und für das Ruhebedürfnis ihrer Nachbarn nur Verachtung übrig haben.