Behörden schlagen Alarm - Immer mehr Bettler im Leipziger Stadtgebiet

Erstveröffentlicht: 
20.06.2016

Die Zahl der Menschen, die in Leipzigs Fußgängerzonen für ein paar Münzen die Hand aufhalten, wächst. Es werde zwar keine Statistik zu Bettlern geführt, feststellbar sei allerdings, dass die Anzahl in der gesamten Stadt stark zugenommen habe, vor allem im Zentrum, erklärt Ordnungsamtsleiter Helmut Loris. Nun will die Stadt in die Offensive gehen.

 

Leipzig. Der massive Eindruck im Stadtbild täuscht nicht: Die Zahl der Menschen, die in Leipzigs Fußgängerzonen für ein paar Münzen die Hand aufhalten, wächst unaufhaltsam. „Es werden keine statistischen Erhebungen zur Zahl der Bettler in der Stadt Leipzig vorgenommen“, teilte Ordnungsamtschef Helmut Loris auf LVZ-Anfrage mit. „Feststellbar ist allerdings, dass die Anzahl in der gesamten Stadt stark zugenommen hat – insbesondere im Zentrum.“ Nun will die Stadt in die Offensive gehen.

 

Dabei ist Betteln zunächst nicht verboten. Lediglich allzu aggressives Auftreten ist laut geltender Polizeiverordnung untersagt und kann mit bis zu 1000 Euro Geldbuße belangt werden. Verstöße gegen diese Polizeiverordnung seien „bisher nicht explizit durch die Bediensteten des Stadtordnungsdienstes dokumentiert“, so Loris. „Diese sind höchst selten, Feststellungen werden zumeist nur durch Betroffene gemacht.“ Aggressives Betteln sei kaum nachweisbar, da sich die meisten Bettler an die Regel halten und nicht aggressiv in Erscheinung treten würden.

 

Keine Polizeistatistik zu Bettler-Betrug


Doch gerade besonders kriminelle Auswüchse der Bettler-Szene sind von der Polizeiverordnung gar nicht erfasst – anders als etwa in Dresden oder München, wo etwa das Vortäuschen körperlicher Gebrechen ausdrücklich verboten ist. Nach Ansicht des Leipziger Ordnungsamtes würde aber in solchen Fällen ohnehin die strafrechtliche Verfolgung durch die Polizei einsetzen. Falsche Blinde oder Gehörlose, die für angebliche Behindertenvereine sammeln, würden als Betrüger verfolgt. Das Betteln mit Tieren ist nach Angaben der Verwaltung als gewerbsmäßig einzuordnen und daher vom Tierschutzgesetz erfasst. Bettler, die gezielt mit Kindern auf Zuwendungen aus sind, würden ebenfalls womöglich in betrügerischer Absicht handeln. Zudem würden bei Gefährdung des Kindeswohls jederzeit Eingriffsmöglichkeiten bestehen, so die Stadt.

 

Doch wie viele dieser Fälle tatsächlich aufgedeckt wurden, ist unklar. Die Polizei erfasst sie nur ganz allgemein als Betrugsdelikte, eine behördeninterne Recherche, wie viele davon im Bettlermilieu begangen wurden, ist den Angaben zufolge deshalb kaum zu leisten. Gleichwohl sei davon auszugehen, dass organisierte und gut strukturierte Banden von Bettlern auch in Leipzig ihr Unwesen treiben, so die Polizei auf Anfrage. Ohne konkrete Anhaltspunkte sei dies jedoch schwer nachweisbar. Auch dem Ordnungsamt liegen keine detaillierten Informationen über Bettler-Banden vor.

 

Organisierte Banden in Wohngebieten aktiv


Dafür schlagen inzwischen mehr und mehr Betroffene Alarm. „Seit Tagen gehen bei der Polizei Berichte von Bürgern ein, dass in verschiedenen Wohngebieten Leipzigs und des Umlands zunehmend Männer und Frauen südländischen Aussehens unterwegs sind, an Haus- und Wohnungstüren klingeln und um Geld bitten“, teilte Behördensprecherin Maria Braunsdorf mit. „Meist hielten die Unbekannten den Anwohnern, nachdem diese die Türen geöffnet hatten, ein Schild hin. Auf diesem stand dann in Druckbuchstaben, dass dringend Geld benötigt würde, weil ihre Familien in Not seien und die Kinder hungern würden. Zudem baten sie mit wenigen deutschen Worten um finanzielle Zuwendungen.“ In einigen Fällen sei es sogar so weit gegangen, dass Anwohner massiv bedrängt wurden, Bettler fast in die Wohnungen oder auch auf die Eigenheimgrundstücke vordrangen und nur durch Schließen der Tür zurückgewiesen werden konnten. „Bisweilen klingelten die Unbekannten aber auch nicht, betraten unaufgefordert die Grundstücke und machten sich Notizen“, so Braunsdorf. „Den Anwohnern erklärten sie, Geld zu sammeln oder nach Arbeit zu suchen.“ Dass hier Banden agieren, liegt für die Ermittler auf der Hand. „Polizeilichen Erkenntnissen zufolge reisen die Frauen und Männer in Transportern an, werden in den verschiedensten Wohngebieten abgesetzt und zum Betteln sowie unter Umständen auch zum Ausspähen von Grundstücken, Häusern und Wohnungen losgeschickt“, so die Sprecherin.

 

Um zumindest den wirklich Bedürftigen besser helfen zu können, hat die Stadt ein neues Projekt gestartet. „Zur Ergänzung der bestehenden finanziellen und beratenden Hilfeangebote wurde zum 1. Januar 2016 in Kooperation zwischen der Stadt Leipzig und zwei freien Trägern jeweils ein Projekt der aufsuchenden Straßensozialarbeit ins Leben gerufen“, so das Sozialamt gegenüber der LVZ. Die Projekte werden mit Mitteln des Europäischen Hilfsfonds für die am stärksten benachteiligten Personen und zusätzlichen Bundesmitteln bis zum 31. Dezember 2018 gefördert. Ziel ist es nach Angaben der Behörde, „die betroffenen wohnungslosen und von Wohnungslosigkeit bedrohten Menschen an öffentlichen Orten oder in prekären Wohnverhältnissen niedrigschwellig aufzusuchen, anzusprechen und über die Angebote des regulären Hilfesystems zu informieren und dahin zu vermitteln.“

 

Frank Döring