Gewalt regiert in Göttingen

Erstveröffentlicht: 
13.06.2016

Innenminister Pistorius räumt über 300 Straftaten seit Januar 2015 ein   von Gunars Reichenbachs

 

Die meisten Übergriffe gehen auf das Konto von Linksextremen. Auch Prominente wurden getroffen.

Hannover/Göttingen Das Eingeständnis fällt schwer. „An Göttingen haben sich schon viele Landesregierungen abgearbeitet“, räumt Innenminister Boris Pistorius (SPD) am Donnerstag im Landtag ein. Die dringliche Anfrage der CDU-Fraktion liefert jedenfalls erschreckende Einblicke in die Gewaltlage in der Unistadt – von rechts, aber vor allem von links. Erst kürzlich wurden Landtags-Vizepräsidentin Gabriele Andretta (SPD) Opfer eine Pfefferspray-Attacke und das Auto des Landespolizeipräsidenten von Unbekannten abgefackelt.

Der neueste Fall: Vermummte Gewalttäter griffen in der Nacht zu Donnerstag einen Verbindungsstudenten mit Schlägen und Tritten an. Beim Versuch, dem 29-Jährigen zu helfen, wurde auch seine 27-jährige Begleiterin verletzt, berichtete die Polizei.

Die Fakten, laut Pistorius: Linksextremisten verübten seit Januar 215 bis heute 230 politisch motivierte Straftaten – darunter drei Brandstiftungen, ein Raub, 15 Körperverletzungen, 36 Sachbeschädigungen, ein Widerstand, zwei Nötigungen sowie Land- und Hausfriedensbruch. 15 Taten konnten aufgeklärt werden mit 28 Tatverdächtigen. Fast schon Alltag: Farbschmierereien an Gebäuden von Studentenverbindungen und Parteibüros.

Dazu kommt, wie der CDU-Abgeordnete Jens Nacke erfährt, dass eine Broschüre zur Präventionsarbeit gegen links seit 2014 zwar bearbeitet, aber immer noch nicht verfügbar ist, wie Pistorius auf Nachfrage bei seinen Hausbeamten gesteht.

Die rechte Szene  kommt auf 72 Straftaten, davon 56 mal das Verwenden verfassungswidriger Kennzeichen, vier Sachbeschädigungen, drei Körperverletzungen, fünf Beleidigungen und ein Widerstand. Unterm Strich: In 34 Fällen konnten 44 Tatverdächtige ermittelt werden.

Pistorius mag „ein Spannungsverhältnis zwischen der Göttinger Polizei und relevanten gesellschaftlichen Gruppen“ nicht beschönigen. Nacke liefert dazu handfeste Beispiele: Baseball-Angriff auf einen Verbindungsstudenten, Anzünden der Laube einer Verbindung, ein verletzter Polizist, Attacken mit Knüppeln. „Und“, so Nacke, „Angriffe auf Menschen und Sachen durch Linksextreme werden so gut wie nie aufgeklärt. Der Staat kann aber nicht einfach zusehen, wie linke Gruppierungen offenbar No-Go-Areas ‎einrichten“.

Dass die Präventionsarbeit trotz Initiativen von Sicherheitsbehörden und Verfassungsschutz vielfach im Dunkeln tappt, macht Pistorius deutlich: Zu militanten Linksextremismus gebe es „wenige aussagekräftige Analysen“. Auch nicht „zu den dort stattfindenden Radikalisierungsprozessen“, bedauert er.