Hamburger Straßen erinnern an dunkle Vergangenheit

Erstveröffentlicht: 
28.04.2016

Ob Woermannsweg oder Georg-Bonne-Straße: Die Namen zahlreicher Hamburger Straßen sind eng mit Kolonialismus oder NS-Zeit verbunden. Wie soll man mit ihnen umgehen? Umbennen? Erklären?

 

Wer die Stadt mit anderen Augen sehen will, muss nur HM Jokinen hinterherlaufen. Gerade noch folgte ihr eine Abiturklasse auf Hamburgs kolonialen Spuren, nun sitzt die Künstlerin in einem Suppenladen und zählt die Namen von hiesigen Straßen auf, die es nach Auffassung der Black Community eigentlich nicht mehr geben dürfte: die vier Schimmelmannstraßen, Dominikweg, Wissmannstraße, Woermannsweg und Woermannstieg. Sie könne die Liste noch um weitere ergänzen, sagt sie, kürzt aber ab: "Fangen wir doch zunächst damit an, die eindeutigen umzubenennen."

 

Die eindeutigen Straßennamen also. Sie meint jene, deren wirtschaftlicher Erfolg auf Kolonialgeschäften beruhte. Die mit Sklaven handelten, wie Heinrich Carl von Schimmelmann. Die wie Adolph Woermann, damaliger Präsident der Hamburger Handelskammer, auf Bismarck Druck ausübten, er solle doch auch endlich Kriegsschiffe zum Schutz der eigenen Niederlassungen nach Afrika senden – und der so den deutschen Kolonialismus mit anstieß.

 

Oder die in Amt und Würden waren, die Exekutionen anordneten oder dabei waren, wie der Reichskommissar und Gouverneur der damaligen deutschen Kolonie "Deutsch-Ostafrika" Hermann Wilhelm Leopold Ludwig von Wissmann oder der in Kamerun tätige kaiserliche Offizier Hans Dominik. Sie alle werden in Hamburg mit mindestens einer Straße geehrt – und im Fall von Wissmann und Dominik hatte das Bezirksamt Wandsbek im November 2012 sogar schon beschlossen, den Namen zu ändern. Umgesetzt wurde dieser Beschluss allerdings bis heute nicht. 

 

Persönlichkeiten vom Zuckerguss befreien und forschen


Und dann sagt Jokinen einen Satz, den sie auch schon vor den Schülern der Gemeinschaftsschule Eidelstedt eine Stunde zuvor formulierte: "Man muss diese Persönlichkeiten zunächst aus ihrem Zuckerguss herausschälen, der sie bis heute noch umgibt." Sprich: Man muss forschen. "Über sie ist nur zu lesen, dass sie in Übersee waren und dort reich wurden, dann zurückkamen und Stiftungen gründeten oder die Kunst förderten – niemand fragt aber, wie sie reich wurden und auf wessen Kosten."

 

Das tat HM Jokinen zunächst selbst. Sie recherchierte und schrieb im Auftrag der Landeszentrale für politische Bildung 16 Biografien über koloniale Befehlshaber oder Profiteure. Der Arbeitskreis Hamburg Postkolonial, deren Mitglied sie neben anderen Künstlern und Historikern, Weißen und Schwarzen Menschen ist, war zudem auch Impulsgeber für einen Senatsbeschluss im Juli 2014, wonach die eigene koloniale Geschichte aufgearbeitet werden soll.

 

Seit fast genau einem Jahr erforscht der Geschichtsprofessor Jürgen Zimmerer von der Universität Hamburg, welche Rolle die Hansestadt gespielt hat. Fest steht schon jetzt: Keine zweite deutsche Stadt profitierte so sehr wie Hamburg vom Kolonialismus – zugleich sind die Spuren dieser Zeit nirgends so offensichtlich. Am vergangenen Mittwoch startete eine Ringvorlesung, die fortan immer mittwochs (18–20 Uhr) bis zum Ende des Sommersemesters im Hörsaal Phil C der Universität Hamburg stattfindet. Das öffentliche Interesse war immens: Mehr als 400 Zuhörer mussten kurzerhand in einen größeren Hörsaal umziehen. Und auch da ging es unter anderem um Straßennamen. 

 

Straßennamen und Nationalsozialismus


Eine Straße gehört zu einem wie der eigene Name. Mit der Wahl des Wohnorts drängt sich ihr Name in die eigene Lebenswelt, ohne Widerspruch zuzulassen. Ihr Name ist fortan immer präsent: auf Briefen, in Einladungen, auf Visitenkarten. Keinen Namen schreibt man häufiger in seinem Leben als den seiner Straße – abgesehen vom eigenen.

 

Rita Bake weiß einiges über Hamburgs Straßen und ihre Namen, ebenso wie über ihre emotionale Bedeutung. Mehr als 8600 Straßen führen durch die Stadt, etwa jede dritte ist nach einer Person benannt: 363 nach Frauen, etwa 2500 nach Männern. 140 derer haben zu der Zeit des Dritten Reiches gelebt.

40 dieser NS-belasteten Biografien hat die Mitarbeiterin der Landeszentrale für politische Bildung bereits recherchiert und in der Onlinedatenbank "Die Dabeigewesenen" veröffentlicht. "Das sind Profiteure, Karrieristen, Mitläufer, Menschen also, die das System gestützt haben", sagt Bake. Eine pauschale Aussage, ob jede dieser Straßen nun umbenannt werden müsse, könne sie natürlich nicht treffen, denn: "Man muss sich jeden Lebenslauf genau ansehen." 

 

Forderung nach Umbenennung von Straßen


Immer wieder streitet die Politik in den Bezirken um Umbenennungen. In Nienstedten ging es zuletzt um die parallel zur Elbchaussee verlaufende Georg-Bonne-Straße, benannt nach dem Arzt und Sanitätsrat Georg Bonne, der zugleich ein glühender Antisemit und Hitler-Gefolgsmann war.

In Langenhorn sorgte der Fall der Konjetznystraße und Max-Nonne-Straße bei UKE-Medizinern vor zwei Jahren für Schlagzeilen. Alle drei Straßen tauchen neben zehn weiteren auf der Liste des Stadtarchivs auf, die in den vergangenen 30 Jahren umbenannt worden sind – wenngleich das für die Georg-Bonne-Straße nur teilweise stimmt: Ein Teilstück der Straße heißt noch immer so.

 

In Bergedorf hat die Veröffentlichung der Onlinedatenbank den Zank um die Straßennamen wieder neu entfacht. Die Linksfraktion hat einen Antrag gestellt, alle in Bakes Auflistung enthaltenen Namen zu prüfen – darunter der Ameis-, Ernst-Finder- sowie Puritzweg, der Elingiusplatz, der Hans-Förster-Bogen sowie die Hermann-Distel-Straße. Eine Kommission aus Historikern wird der Politik nun Vorschläge machen, wie mit jedem Einzelfall sinnvoll umgegangen werden soll.

 

Wenn sich Rita Bake etwas wünschen dürfte, wäre das eine Forschungsstelle, die die übrigen 100 Namen untersucht. Andere Städte wie Hannover haben dies bereits getan: Die niedersächsische Landeshauptstadt ließ 400 Straßennamen unter die Lupe nehmen und steckte mehr als 100.000 Euro in diese Aufarbeitung. "Es ist unausweichlich, sich dieser Aufgabe zu stellen", sagt der Vorsitzende der Kommission, Professor Thomas Vogtherr von der Universität Osnabrück. 

 

Auch an ehemalige Namensgeber soll erinnert werden


Für ihre eigene NS-Geschichte sieht das die Hamburgische Bürgerschaft auch so: Deren Präsidentin Carola Veit (SPD) hatte vor einer Weile initiiert, dass die Abgeordneten, die nach 1945 im Stadtparlament saßen, auf eventuelle NS-Vergangenheit untersucht werden. Anfang 2018 sollen die Resultate in einer Ausstellung präsentiert werden. Erste Ergebnisse der "Ausgrabungen" gebe es noch nicht, sagte Ulfert Kaphengst, Sprecher der Bürgerschaftskanzlei: "Wir fangen gerade erst an zu buddeln."

 

So sehr sich der Kolonialismus vom Nationalsozialismus in seiner heutigen Erinnerungskultur unterscheidet, so sehr eint HM Jokinen und Rita Bake die Vorstellung, wie mit den prekären Straßennamen umzugehen sei: Beide wollen nicht, dass die Straßen einfach umbenannt und letztlich aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwinden. Sie wollen mit einer Stehle, einem QR-Code oder einem Erklärschild auf das unehrenhafte Handeln der dann ehemaligen Namensgeber der Straße hinweisen.

 

In Berlin, erzählt Jokinen, habe man die Idee bereits ausprobiert. Damals initiierte die Black Community die Umbenennung des Groebenufers zum May-Ayim-Ufer. "Uns ist wichtig, dass die Gruppe der Schwarzen Menschen mit eingebunden und ihre Sicht auf die Dinge respektiert wird", sagt Jokinen. Bei den Anwohnern, erzählt die Künstlerin, stoße das nicht auf Gegenliebe. Bis zu 95 Prozent der Leute seien dagegen, wenn es um "ihre" Straße ginge.