Berlin - Die letzten besetzten Häuser

Ehemals besetztes Haus am Ostkreuz

Sie hiessen "Haus am Ostkreuz", "Haus in der Eldenaer" und "Haus in der Ackerstrasse", hatten keine Kampagnen die ihre Namen bekannt machten und eine "linke Szene" interessierte sich nicht für sie und die Menschen die in ihnen lebten. Die letzten besetzen Häuser in Berlin wurden sang- und klanglos durch die Berliner Polizei oder durch Sicherheitsdienste geräumt und niemand hat es gemerkt.

 

Kein Grossaufgebot der Polizei und keine Medien. Als im Sommer 2006 das letzte Berliner besetzte Haus in der Eldenaer Strasse geräumt wurde, fuhren nur zwei Mannschaftswagen der Berliner Bereitschaftspolizei vor. Die etwa 30 anwesenden Bewohner und Bewohnerinnen wurden herausgeführt und ihre Personalien aufgenommen. Dann durften sie gehen, insofern sie keine offenen Haftbefehle hatten.

 

Die Eldenaer Strasse ist eine Parallelstrasse der Rigaer Strasse und direkt verbunden mit der Silvio-Meyer-Strasse (ehemals Samariterstrasse) und Liebigstrasse in Berlin-Friedrichshain. Zur damaligen Zeit befanden sich also mehr als fünf "linke Squats" direkt in der Nähe. Trotzdem war das Haus in der Eldenaer Strasse nicht in "der Szene" bekannt und niemand aus den Projekten kümmerte sich um das Haus und um die Menschen die darin lebten.

 

Für das Haus in der Eldenaer Strasse gab es keine Berliner Linie. Der Polizei war dieses Haus mehrere Monate bekannt. Darüber lässt sich spekulieren: Der Faktor "unbekannt" könnte eine Rolle gespielt haben. Schliesslich sind bekannte Squats überwacht, die Repressionsorgane wissen so in etwa was dort passiert. Doch die Menschen in der Eldenaer Strasse hatte niemand in einem organisierten Zusammenhang bemerkt. Sie waren schlicht nicht organisiert. Die Bewohner und Bewohnerinnen waren keine privilegierten Jugendlichen, keine Studenten und Studentinnen. Sie waren bildungsferne Ausreisser und Ausreisserinnen, Strassenkinder und obdachlose Punks. Ihre niedrigschwellige Politik bestand darin, dass sie sich ihren Wohnraum nahmen. Einen Wohnraum, denen sie in der Welt ausserhalb "ihrer Szene" nich bzw. nicht unter ihren Bedingungen bekamen.

 

Eine "linke Szene" intervenierte nicht in das Haus. Ging ja auch nicht, weil niemand aus den Squats etwas über das Haus wusste und sich auch nicht für die direkte (besetzte) Nachbarschaft interessierte. So gab es keine radikale Auseinandersetzung mit den Bewohnern und den Bewohnerinnen, deren oft schlechten, provokanten, unsozialen und verrohten Verhaltensweisen. Ganz im Gegenteil. So veröffentlichte eine Antifa-Gruppe ein Flugblatt über "Nazi-Punks" im Kiez, dass einige der Leute aus dem Haus zeigte, wurden einzelne Bewohner und Bewohnerinnen auf Partys abfotografiert. Einerseits berechtigt, um sich selbst zu schützen, andererseits wenig emanzipativ.

 

Das Haus an sich war eine Bruchbude und stand schon ewig leer. Es gab kein Treppengeländer, kein fliessend Wasser, keinen Strom und keine Heizung. Als Toilette diente ein Raum des Hauses. Zuerst wurde in Eimern oder sonstigen verfügbaren Behältnissen geschissen, dann einfach auf den Boden. Die Menschen schliefen in ihren bekannten Gruppen jeweils in einem Raum. Das war wichtig, da es sich um rechtsfreie Räume handelte. Jederzeit hätte jemand in den Raum hineinkommen können, die schlafenden mit Springerstiefeln treten können oder das Haus hätte angezündet werden können. Damit sind nicht Angriffe von Neonazis gemeint, sondern andere persönlche Konflikte zwischen den Menschen selbst die dort wohnten. Ähnliche Phänomene sind übrigens auch aus anderen Zusammenhängen bekannt, in denen rechtsfreie Räume bestehen bzw. wo es Tabu ist mit Repressionsorganen zusammenzuarbeiten. Jedenfalls gab es in diesem Haus Gewalt und es wurde sich davor geschützt, dass sich in Gruppen bewegt wurde. In diesen gab es zwar auch Gewalt, aber diese wurde als notwendig betrachtet. Die Menschen schliefen auf den blanken Boden, in ihrer Strassenkleidung und mit Schuhen (es war die einzige Kleidung die sie besassen), oder in Schlafsäcken. Irgendwoher wurden auch einzelne Möbelstücke herangebracht und andere mehr oder weniger nützliche Gegenstände. So befand sich zum Beispiel eine riesige Hellebarde in einem Raum, mit der sich einige Punker spielerisch bedrohten.

 

Andere besetzte Häuser in Berlin wurden in den letzten Jahren ähnlich leicht geräumt. So gab es immer wieder Besetzungen von verlassenen Häusen auf dem Bahngelände am Ostkreuz (Markgrafendamm) bzw. des nun freistehenden "Bahnhofshäuschen" auf der anderen Seite des Bahnhofs. Diese Häuser wurden schon mehrmals von wenigen Polizisten und Polizistinnen und/oder angehörigen von Sicherheitsdiensten geräumt. Prinzipell reichte es aus, wenn zwei uniformtragende Menschen in das Haus kamen, um die unterdrückten Strassenkinder aufzuschrecken und festzuhalten.

 

Das o.g. jetztige Abrisshaus am Ostkreuz wurde immer wieder von einer Gruppe obdachlosen Punks und Strassenkinder besetzt. Mehrere dieser Punks gerieten in die Schlagzeilen, als sie 2008 in Mitte jüdische Schüler Beleidigten und bedrohten. Siehe: http://www.taz.de/1/berlin/artikel/1/den-punks-ist-alles-egal und http://de.indymedia.org/2008/01/205243.shtml - Der Artikel von Georg Fahrion ist recht gut geworden, obwohl ihm sicher einiges an Hintergrundwissen fehlt. Diese Punks lebten in diesem Haus, damit sie nicht starben, nicht erfroren. Sie betäubten sich täglich literweise mit Korn und Bier, vergassen durch Kokain und Heroin. Dementsprechend auch ihr, in diesem Fall gut dokumentierter, Zustand. Diese abgemagerten und ausgemergelten Punks siechten vor sich hin, starben in Bahnhoftoiletten, Abrisshäusern oder auf Baustellen. Sie sind kaum in der Lage mit anderen Menschen zu kommunizieren, geschweige denn eine kontroverse Diskussion zu führen.

 

Nicht nur in Berlin-Friedrichshain, sondern auch in Berlin-Mitte, gab es ähnliche besetzte Häuser. So zum Beispiel gegenüber dem Schokoladen in der Ackerstrasse. Vor 8 Jahren (2002) standen mehrere Häuser dort leer und einige Strassenkinder besetzten eines der Gebäude. Nach einigen Monaten wurde auch dieses besetze Haus ohne Aufsehen geräumt. Heute ist daraus ein saniertes Wohnhaus geworden, im Erdgeschoss ein Laden für Künstlerbedarf. Sinnigerweise mit dem Namen "Freiraum". Ich bin mir sicher, dass die Menschen aus dem Schokoladen nichts über ihre Nachbarn, den Besetzern und Besetzerinnen in der Ackerstrasse, wussten und wissen.

 

In der gleichen Strasse befindet sich auch das Treberhhaus Mitte, dass bis zu 13 obdachlosen Menschen (zwischen 18 und 25 Jahren) ein, wenn auch vorrübergehendes und reglementiertes, Zuhause bietet. Das Wohnen dort ist rundum betreut, d.h. 24 Stunden am Tag ist dort ein Sozialarbeiter oder eine Sozialarbeiterin (bzw. nachts eine stundentische Nachtschicht) im Büro. Die Jugendlichen werden von der Strasse wieder in ein mehr oder weniger geregelten bürgerlichen Leben geführt - Es wird den Jugendlichen erklärt, wie sie Sozialleistungen beantragen können, was gemacht werden muss um wieder oder erstmalig einen eigenen Ausweis zu erhalten. Und es wird dabei geholfen eine eigene Wohnung zu finden. Die Behörden lassen sich das einiges kosten, und das ist auch notwendig. Ein Tag für einen Menschen in dieser Einrichtung kostet 120 Euro, also im Monat etwa 3.600 Euro, und wird in den meisten Fällen nur für wenige Wochen bewilligt. Der Staat bzw. die Kommunen (es herrscht ja das Subsidiaritätsprinzip) bezahlen für einen integrationswilligen Jugendlichen also zwischen 4.000 und 6.000 Euro im Monat. (Es gibt noch einige andere Sachen die bezahlt werden. Beispielsweise können die Wohnkosten für eine Wohnung um bis zu 10 Prozent höher sein und oft wird zusätzlich ein Betreuer oder eine Betreuerin bezahlt. Darum diese höhere Summe.)

 

Es wäre beispielsweise finanziell kein Problem (und kein Verlust) für die Behörden gewesen, die Brunnenstrasse 183 zu kaufen und den bis zu 100 Menschen, die dort in den letzten Monaten des Hausprojekts wohnten, zu schenken. Die Frage ist vielmehr, ob die Bewohner und die Bewohnerinnen zu einer Selbstverwaltung, zu einem selbstbestimmten Leben, fähig gewesen wären. Und diese Frage muss ich klar verneinen!

 

Brunnenstrasse 7 und Brunnenstrasse 183 - Ein Vergleich

 

Noch 2002 unterschied sich die Brunnenstrasse 183 von der Brunnenstrasse 7 nicht sehr. Oder anders formuliert: In der Brunnenstrasse 183 gab es wenigstens Fenster. Das Gästezimmer in der Brunnenstrasse 7 war damals - es war Winter - nur mit einer auf den Boden liegende Matraze bestückt. Es gab kein Fenster, als Schutz vor Wind und Kälte diente nur eine angeklebte Plastikplane. Die Toiletten sahen ähnlich wie in der Brunnenstrasse 183 aus. Aussenklos.

 

Die Bewohner und Bewohnerinnen der Brunnenstrasse 7 waren ähnlich strukturiert wie die in der Brunnenstrasse 183. Doch letztes Jahr war das nicht mehr so. In beiden Projekten gab es priviligierte, politisch organisierte Menschen, und Menschen, die eher niedrigschwellige Politik machten. Also sich zum Beispiel nur Wohnraum aneigneten und sich einen eigenen Raum zur Unterhaltung (Ablenkung) schafften.

 

In der Brunnenstrasse 7, so scheint es zumindest, setzten sich die priviligierten Menschen durch. Zudem wurden die Räume saniert und gewährten so eine menschenwürdige Wohnqualität. In der Brunnenstrasse 183 setzten sich jedoch die niedrigschwellig politisierten Menschen durch. Saniert wurde nichts und so froren die Menschen oder vielen auch mal aus dem Fenster. Priviligiert meint in diesem Fall nicht Geld zu haben, sondern zum Beispiel die Fähigkeit kommunizieren zu können oder eine gewisse Bildung genossen zu haben.

 

Wir haben hier einen sichtbaren Klassenunterschied. Privilegierte Menschen und weniger privilegierte Menschen. Die Frage ist nun, wie viel Wir bereit sind in andere Menschen zu investieren. Neben der Köpi steht nicht ohne Grund der Satz "Die Grenze verläuft nicht zwischen Oben und Unten, sondern zwischen Dir und mir.". Wir haben nicht mehr die Bedürfnisse von allen im Blickfeld, sondern nur noch die Bedürfnisse von einigen Wenigen. Unsere Freunde und Freundinnen, unsere Familie und Uns sonst nahestehenden Menschen. Aber allen Menschen?

 

In der Eldenaer Strasse ist nur noch der Schein geblieben. An einer renovierten Hausfassade prankt ein schwarz-roter Stern und die Menschen leben dort wieder vereinzelt, mit hohen Mieten. Auffällig ist, dass sich die Menschen erst vernetzen, wenn sie selbst ein Problem haben. Und ist das Problem gelöst verschwinden die meisten Menschen auch schnell wieder.