In Connewitz ist alles politisch

Erstveröffentlicht: 
06.04.2016

Ob eine Scheibe in Connewitz eingeworfen wird oder anderswo in Leipzig, macht einen Unterschied. Im Süden der Stadt ist alles politisch. Ein Besuch in dem Viertel, das häufig in den Schlagzeilen steht.

 

Leipzig. Morgens um neun ist der "Fischladen" zu, die Rolläden sind unten. Nee, er habe keinen Schlüssel, sagt Adam Bednarsky. Hätte er einen, würde er das populäre Vereinslokal des Fußballklubs Roter Stern dauernd nur aufschließen müssen. Bednarsky hat den Klub vor 17 Jahren mitgegründet. Er ist heute sein Geschäftsführer, Stadtchef der Linken, und im Viertel bekannt wie ein bunter Hund.

 

Das "Bermuda-Dreieck": der spitze Winkel, wo die Bornaische und Wolfgang-Heinze-Straße ins Connewitzer Kreuz treffen wie zwei Strahlen ins Herz. Nur ein paar Gehminuten entfernt liegen Klubs, die den Szeneruhm des Viertels begründen. An diesem Morgen, in der Frühlingssonne, ist vom Hype nichts zu spüren. Im Conne Island, das im Reiseführer "Lonely Planet" empfohlen wird, ist das Café noch zu, die Tür steht offen. Eine junge Mutter spielt mit ihrem Kind. Das Zoro liegt verriegelt und verrammelt im Morgenlicht. In den Eingeweiden des UT Connewitz, das die "New York Times" ihren Lesern ans Herz gelegt hat, bereiten sie den ältesten Kinosaal der Stadt für eine Lesung vor: Buchmesse am Abend.

 

Mischka ist auch da. Über sie hat die Berliner "taz" am Vortag einen Artikel gedruckt. Die Zeitung wollte wissen, wie es zwei Monate nach dem Naziüberfall vom Januar in der Wolfgang-Heinze-Straße aussieht. Mischka, die eigentlich Karin Arnhold heißt, sagt, sie habe das noch nicht gelesen. "Es wird ziemlich viel Wind gemacht um den ,Mythos' Connewitz", sagt Adam Bednarsky, der Mann vom Roten Stern. "Damit haben wir es hier nicht so. Für uns ist hier Alltag. Lebenswelt. Und Mythos, schon das Wort klingt irgendwie nach gestern."

 

50.000 Euro - diese Summe steht als Symbol für den Kitt im Viertel, einen Zusammenhalt, der anderswo "Nachbarschaft" heißt, hier aber gerne "Solidarität". So viel Spendengeld wurde nach dem Januar-Überfall für die Straße gesammelt.

 

Rückblick. Der 11. Tag dieses Jahres ist ein Montag. Viele Connewitzer Linke sind im Zentrum, wo Legida demonstriert. Im Süden, beim Connewitzer Friedhof, rottet sich ein rechter Terrortrupp zusammen, 250 Neonazis und Hooligans. Binnen Minuten fällt er über die Wolfgang-Heinze-Straße her und schlägt zu Klump, was gerade da steht. Das Vereinslokal des Roten Sterns bleibt intakt, die metallischen Rollos sind unten. Der Dönerimbiss, das Buchgeschäft, insgesamt gut 20 Läden haben weniger Glück. Im Buchgeschäft beim UT prallt ein Brandsatz am "Literarischen Katzenkalender" ab. Nur dieser Umstand verhindert, dass der ganze Laden Feuer fängt.

 

Was haben die Rechten erreicht? Nichts, sagt Bednarsky. "Das läuft hier so: Noch als die Masse der Nazis im Polizeikessel auf der Auerbachstraße mit der Nase in der Pfütze lag, kamen draußen die Leute zusammen und überlegten, was zu tun ist. Am nächsten Tag lief die Spendensammlung an, vom Roten Stern und der Amadeu-Antonio-Stiftung organisiert. Das hat uns zusammen geschweißt, die Straße lebt, und die Rechten haben Verfahren am Hals. Eine vollkommen sinnlose Aktion!"

 

Dass in Connewitz die Rechte keinen Fuß auf den Boden kriegt, bestätigt auch die Polizei. Leipzig hat ein starkes linkes Gewaltpotenzial: 200 bis 300 militante Linksautonome leben in der Stadt, nicht nur in Connewitz, erklärt der Streifendienstleiter des Reviers Südost, Sebastian Spreer. In manchen Medien wird "Connewitz" ohne viel Federlesens mit linker Gewalt identifiziert.

 

Das "Rote Connewitz" wurde in den 1990ern gemacht. Damals rannte Adam Bednarsky, als Fan des linken Fußballklubs St. Pauli, in Leipzig manchmal um sein Leben. "Aufgewachsen bin ich in Grünau, seit zehn Jahren wohne ich in Connewitz. Die 90er waren eine schlimme Zeit. Alles war polarisiert, auch der Fußball. Die Rechten gingen zu Lok, die Linken eher zu Chemie, wobei die ,Chemiker' sich politisch nicht aus dem Fenster lehnen wollten." Als aus Lok der VfB geworden war und in die Bundesliga aufstieg, kam auch der FC St. Pauli her. "Wir waren als Fans im Zentralstadion natürlich in der Unterzahl, und nach dem Spiel wurde ich von Rechten durch das Waldstraßenviertel gejagt. Irgendwann hatten wir keinen Bock mehr auf Faschos im Stadion. So gründeten wir 1999 unseren eigenen Verein: Roter Stern Leipzig."

 

In Connewitz etablierte sich die linke Subkultur. Der zentrumsnahe Stadtteil - vier Kilometer sind es vom Connewitzer Kreuz zum Leipziger Markt - war schon zu DDR-Zeiten bei Studenten beliebt. Sie zogen in leerstehende Häuser ein, die sie damit vor dem Abriss retteten, und tanzten im "Eiskeller", dem Vorläufer des Conne Island. Die besetzten Häuser wurden in der ersten Hälfte der 90er Jahre legalisiert. Die Alternative Wohngenossenschaft (AWC) dient als Organ der Selbstverwaltung. Basisdemokratie wird auch in anderen Kiezprojekten gepflegt. Im Conne Island tagt das Plenum immer zu Wochenanfang, beim Roten Stern jeden Donnerstag. Beschlüsse werden einstimmig gefasst, Konsensprinzip. Wie das geht? "Wir reden viel", sagt Adam Bednarsky.

 

Die Stockartstraße mit ihren AWC-Häusern ist zum Sinnbild jener Lebensart geworden, die den Institutionen der Mehrheitsgesellschaft auch gern einen Stinkefinger zeigt. Die antibürgerliche Attitüde wird gepflegt. Sebastian Spreer von der Leipziger Polizei sagt: "In Connewitz ist immer eine politische Ebene dabei, und wenn nur eine Scheibe zu Bruch geht. Hier ist alles politisch." Seit linksautonome Krawallmacher 2014 eine Liste mit 50 Angriffszielen ins Internet stellten, habe die Aggressivität zugenommen. Spreer: "Ein Kollege sagte mal, früher war die Uniform ein Schutzschild. Heute ist sie eine Zielscheibe. Wenn die Polizei Regeln verteidigt und die Gesellschaft nicht dahinter steht, führt das zu starker Frustration."

 

Konfliktraum Connewitz. Eine große Vielfalt an Lebensentwürfen existiert hier eng beieinander, sagt Karin Wöbbeking, die das Viertel von klein auf kennt. Sie ist in der Stockartstraße aufgewachsen. "Es gab hier immer einen Zusammenhalt, schon früher. Zum Beispiel die Silvesterfeier am Kreuz: Da musste man hin, das war ein ungeschriebenes Gesetz. Fehlte jemand, haben wir gleich nachgesehen, ob etwas nicht in Ordnung ist." In den letzten Jahren arteten die Silvesterfeiern öfters in Randale von Autonomen aus. Mitte Dezember gab es bei Krawallen aufseiten der Polizei wie der Autonomen viele Verletzte. In der Neujahrsnacht standen deshalb Fernsehteams am Connewitzer Kreuz. Nur gab es diesmal nichts zu sehen.

 

Vielfalt erzeugt Reibung. Karin Wöbbeking hat damit aufs Engste zu tun: Sie ist die Bürgerpolizistin von Connewitz. Vor zehn Jahren bewarb sie sich um den Job, von dem sie sagt, dass er ihr immer noch Freude macht. Ihr Dienstort ist seit Februar 2014 der Polizeiposten in der Wiedebachpassage, der mehrmals in die Schlagzeilen kam, weil er von Autonomen attackiert wurde. Wer vor dem Posten steht, sieht hinter der fast blickdichten Scheibe eine Kamera, die zur Straße gerichtet ist.

 

Das Viertel habe sich zuletzt verändert, sagt die Polizistin. Es sei jetzt zugebaut, saniert. Leute ziehen her, andere ziehen weg. Und dann sind da der Schmutz, die Schmierereien, die Plakate an den Häusern. Deutlich mehr als früher. Die Szene wolle wohl die Attraktivität des Viertels dämpfen, um Investoren fernzuhalten. Auch die Aggression gegen die Polizei in Connewitz nehme zu, sagt Karin Wöbbeking: "Ich überlege immer, wenn ich mit dem Auto zum Einsatzort fahre, ob mir dort nicht ein Spiegel weggetreten wird."

 

Viele Leute seien aber froh, dass die Polizei Präsenz zeige, davon ist die Bürgerpolizistin überzeugt. Und im Newsflyer "CEE-IEH" aus dem Conne Island wirbt ein Autor vorsichtig um eine Art von Koexistenz: "Als am 11. Januar Nazis die Wolfgang-Heinze-Straße verwüsteten, waren es nicht antifaschistische Gruppen, sondern die Polizei, die sie festsetzte und verscheuchte."

 

"Connewitz ist kompliziert, von Stereotypen umstellt", resümiert Adam Bednarsky, der Politologie studiert hat und im Leipziger Stadtrat sitzt. Jeder sehe hier doch nur, was er sehen möchte: Die CDU ein linkes Chaotenrevier. Die Nazis alles, was sie hassen. Feindbilder würden benutzt, um die eigenen Leute auf Linie zu bringen. "Mir sind solche Stigmatisierungen gleichgültig", sagt Bednarsky. "Ich lebe einfach hier."

 

In den letzten Jahren sei Connewitz "voll" geworden, preiswerter Wohnraum werde knapp. Von "Gentrifizierung" wie beispielsweise in Berlin mag er nicht sprechen: "Leipzig ist ja trotzdem eine eher arme Stadt. Wenig Beamte, eher wenig Industriearbeitsplätze, kaum Hochtechnologie. Viel Dienstleistung, viel Logistik. Schlecht bezahlt."

 

Manche von den Bürgerlich-Saturierten, den Ärzten und Anwälten, die es jetzt nach Connewitz zieht, haben in den 90ern selbst in besetzten Häusern gelebt. Die erste Generation Linksalternativer aus Connewitz ist erwachsen geworden - und manche ihrer Projekte mit ihnen.

 

Die Mannschaft des Roten Sterns beispielsweise, getragen von einem ständig wachsenden Verein, hat sich aus der 3. Kreisklasse in die Landesklasse Nord emporgearbeitet. Im Trainingszentrum am Goethesteig steht ein neuer Umkleidetrakt für 700.000 Euro vor der Vollendung, spektakulär als "Haus-im-Haus" in eine ehemalige Arbeitersporthalle hineingebaut. Mehr als 300 Kinder trainieren beim Roten Stern. Die alten Haudegen, sagt Bednarsky, kommen nun mit ihrem Nachwuchs her.