Mythen und Schlamperei

Erstveröffentlicht: 
17.01.2016

Der NSU-Untersuchungsausschuss legt seinen Abschlussbericht vor. Im Mord-Fall an der Polizistin Kiesewetter finden die Abgeordneten, es sei plausibel, dass nur zwei Täter am Werk waren.

 

Von der Arbeit des baden-württembergischen NSU-Untersuchungsausschusses wird in jedem Fall ein Spaziergang in Erinnerung bleiben. Ein Spaziergang über die Heilbronner Theresienwiese, wo am 25. April 2007 die Polizistin Michèle Kiesewetter getötet und ihr Kollege Martin A. schwer verletzt wurde. Die Abgeordneten verschafften sich ein Gefühl für Tatort und Tatzeit, CDU-Obmann Matthias Pröfrock wiederholte später sogar den Spaziergang, um den Ereignissen alleine nachzuspüren.

Die meisten Abgeordneten waren sich einig: Es sei sehr wohl plausibel, dass nur zwei Täter am Werk waren - und nicht sehr plausibel sei es, dass eine ganze Weile nach den Schüssen blutverschmierte Männer über die Theresienwiese und angrenzende Parkanlagen rannten. Mehrere Zeugen hatten das behauptet und erhärteten damit die Theorie, nicht Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt hätten die Tat begangen, zumindest nicht allein.

Der Vorsitzende Wolfgang Drexler streift ein letztes Mal die blauen Handschuhe über


Der Ortstermin legte nahe: Täter oder Helfer, die halbwegs bei Trost sind, flüchten auf anderen Wegen. In seinem Abschlussbericht hält der Ausschuss fest, es gebe keine schlüssigen Beweise, dass außer Böhnhardt und Mundlos weitere Personen beteiligt waren. Die Abgeordneten fanden auch keine Anhaltspunkte, dass Kiesewetter in rechtsextremen Kreisen verkehrte. Kiesewetter als Zufallsopfer, damit bestätigt der Ausschuss die Version des Generalbundesanwalts: Der Anschlag habe der Staatsmacht gegolten, nicht zuletzt den Waffen der Beamten, wie das auch Beate Zschäpe vor dem Münchner Oberlandesgericht behauptete. Die Waffen wurden 2011 bei Böhnhardt und Mundlos gefunden.

 

Von der Arbeit des Ausschusses werden auch blaue Handschuhe in Erinnerung bleiben, getragen vom Vorsitzenden Wolfgang Drexler (SPD). Drexler streifte sie bei der Vorstellung des tausendseitigen Abschlussberichts noch einmal über, um an seinen größten Coup zu erinnern: wie er den verrußten Schlüssel und weitere Gegenstände aus dem ausgebrannten Auto des angeblichen NSU-Insiders Florian H. präsentierte. Die ermittelnden Beamten hatten die Sachen im Wrack übersehen.

Bei seinen Recherchen in dem Fall förderte der Ausschuss tatsächlich auch Neues zutage, vor allem Schlampereien der Ermittler. Gegen mehrere Beamte laufen Disziplinarverfahren. Auch der ominöse "Matze" konnte identifiziert werden, mit dem zusammen Florian H. angeblich eine gefährliche "Neoschutzstaffel" (NSS) gegründet hatte. Am Ende standen aber keine spektakulären Enthüllungen, vielmehr wollte man Mythen entzaubern. Es gebe keine Indizien dafür, dass Florian H. 2013 umgebracht wurde. Er habe, wie von den Ermittlern damals behauptet, wohl selbst den Feuertod gesucht: ein psychisch labiler junger Mann, der sich wichtigmachen wollte als angeblicher Kenner des NSU. Und bei der NSS handle es sich vermutlich um ein Hirngespinst zweier junger Männer.

Der Ausschuss hat in harmonischer Arbeit über Parteigrenzen hinweg den Sicherheitsbehörden so manche Peinlichkeit vor Augen geführt. Etwa die verschleppten Disziplinarverfahren gegen zwei Polizisten, die dem Ku-Klux-Klan angehörten. Oder einen Staatsschützer, der Rechtsextreme und Rechtspopulisten nicht unterscheiden konnte. Eine bessere Schulung der Beamten gehört zu den Empfehlungen des Ausschusses. Eine weitere Empfehlung: Der am 13. März zu wählende Landtag solle einen neuen NSU-Ausschuss einsetzen, um die rechte Szene in Baden-Württemberg auszuleuchten. Keine schlechte Idee in Zeiten, in denen Asylbewerberheime brennen.