Sicherungsverwahrung: Wie Tierheim-Hunde Sicherungsverwahrte besuchen

Viel erlebt haben sie alle: sechs Sicherungsverwahrte in der JVA Freiburg bekommen regelmäßig Besuch von Therapie-Hunden. Das tut Mensch und Tier gut.

 

Von Martina Philipp

 

Bernhard Huber* und Sheker sind das Traumpaar. Huber, ein großer bäriger Typ mit Stoppelbart und Strickmütze, sitzt etwas abseits auf den Metalltreppen, die vom Gefängnishof in die Montagehalle führen, in der er tagsüber arbeitet. Vor ihm liegt Sheker und hält still, während Huber sie hinter den Ohren krault.

Die beiden werden diesen Platz in den nächsten anderthalb Stunden nicht verlassen, während im Hof einige Männer und eine Handvoll Hunde hin und her laufen, auch mal "Sitz!" und "Platz!" üben. "Ich mach da gar nichts", sagt Huber und krault. Die Rottweilerhündin, die als schwer gebeutelter Straßenhund von Istanbul nach Südbaden geholt wurde, "hat schon so viel durchgemacht, die kriegt hier von mir Schinkenwurst und Streicheleinheiten, die soll das einfach genießen."

Die Finanzierung ist gesichert

Bernhard Huber und Sheker – türkisch für Zucker – sehen sich einmal pro Woche, immer mittwochs am frühen Abend beim Hundeprojekt für sechs Männer, die in der Justizvollzugsanstalt Freiburg in Sicherungsverwahrung untergebracht sind. Ein ähnliches Projekt gab es in Freiburg bereits vor einigen Jahren in der Jugendabteilung.

Nachdem bis Ende des abgelaufenen Jahres die Finanzierung über den Verein für Gefangenen- und Gefährdetenhilfe gesichert war, war Silvia Schneider, Psychologische Leiterin der Abteilung für Sicherungsverwahrung, froh, dass sie das Programm erneut anbieten konnte. Seit das Bundesverfassungsgericht 2011 entschieden hat, dass in der Sicherheitsverwahrung nachgebessert werden muss, der Aufenthalt freiheits- und therapieorientierter gestaltet werden sollte, hat ihr Team ohnehin nach neuen Wegen gesucht. Ziel soll sein, den Sicherungsverwahrten zu helfen, Rückfälle zu vermeiden. Zudem sollen sie auf einen möglichen Weg zurück in ein Leben in Freiheit vorbereitet werden.

 

„Die Hundegruppe ist die einzige, in der nie jemand fehlt.“
Silvia Schneider

 

Die meisten Sicherungsverwahrten in Baden-Württemberg, derzeit knapp 60, leben in der JVA Freiburg. Sie dürfen, müssen aber nicht arbeiten und haben das Recht auf vier begleitete Ausführungen im Jahr. Es gibt Therapieangebote wie Einzel- und deliktorientierte Gruppengespräche, eine Entspannungsgruppe, Bewegungs- und Kunsttherapie.

"Die Hundegruppe ist aber die einzige, in der nie jemand fehlt", sagt Schneider. Nur einer sei einmal weggeblieben, weil er krank war und tagsüber deswegen nicht zur Arbeit ist – aber ihm habe währenddessen das "Herz geblutet". Viele Verwahrte seien wenig gesprächsbereit oder gar wütend. Dank des Katalysators Hund habe man nun eine ganz andere Gesprächsebene.

"Er ist ein Dickkopf", sagt gerade einer der Männer und deutet auf den Hund an seiner Leine. "Da ist er mit dem Richtigen zusammen", ruft Silvia Schneider und grinst. "Das habe ich mir gedacht, dass Sie das jetzt sagen", kontert Peter Huck. Früher, in der JVA Bruchsal, hat er einmal ein Meerschweinchen beantragt, das wurde abgelehnt. Zwei Jahre hatte er dann einen Wellensittich, heute hält er viele Fische – und der Hund hier, der ist ihm auch schon ans Herz gewachsen, vor allem "wenn man seine schwierige Geschichte kennt."

Hund statt Spielkonsole

"Den würde ich am liebsten behalten", ergänzt Huck. "Dafür würde ich sogar meine scheiß Xbox opfern", seine Spielkonsole. Huck streichelt den Kopf des Hundes. Heinz Kassilski, ein zierlicher Mann mit Mütze, läuft mit dem kleinsten Hund, Füchsle, vorbei. An ihr möge er am meisten ihren Verstand – und dass sie trotz ihrer geringen Größe so selbstbewusst sei.

An diesem kalten Mittwochabend gibt es viele Streicheleinheiten auf dem Gefängnishof. Dabei könnte man von diesen Männern anderes erwarten als ein weiches "Ja, so ist’s fein!" und "Du bist eine ganz Liebe!" In Sicherungsverwahrung kommen Menschen, die ihre teils mehrfache Gefängnisstrafe längst verbüßt haben, die aber als so gefährlich für die Allgemeinheit gelten, dass sie hinter Gittern bleiben müssen. Früher landeten auch Wiederholungstäter wie Betrüger und Heiratsschwindler dort, heute nur noch Gewalt- und Sexualstraftäter, die sehr schwere Delikte begangen haben.

Jesper knurrt. Einer der Hunde ist neu in der Runde, und das scheint den nervös wirkenden Pitbull-Terrier zu irritieren. "Jesper, hier", sagt sein Mittwochsherrchen Thorsten Maurer und zieht ihn an der Leine zu sich. "Dem tut’s gut hier", sagt Thomas Bierer, der Leiter der Hundeschule "Tom’s Hundewelt" aus Riegel, mit Blick auf Jesper.

Therapien mit Tieren gibt es in vielen Bereichen

Drei eigene Tiere bringt Bierer jede Woche mit, die anderen drei sind wie Jesper aus dem Tierheim. Seit drei Monaten ist der bullige Terrier nun schon dort, weil er bei seinen bisherigen Besitzern jemanden "gezwickt" habe. Im Heim beginne er bereits Zwangshandlungen zu zeigen. Als Jesper wieder zu den anderen Hunden blickt und unruhig an der Leine zieht, sagt Bierer zu Maurer: "Der geht schon wieder in die Spannung, nimm ihn raus." Bierer nimmt die Leine, schnalzt mit der Zunge, gibt also ein Umlenksignal, wie er es nennt, und Jesper ist mit Augen und Ohren wieder bei ihm. "Viel Ruhe braucht der", ergänzt der Hundetrainer noch. Maurer antwortet, als er wieder die Leine übernimmt: "Ich denke schon, dass ich die habe. Das habe ich schon in der Vergangenheit gemerkt: Geduld zahlt sich aus."

Therapien mit Tieren gibt es in vielen Bereichen. Für kranke Kinder, alte Menschen, Menschen mit Behinderung und, wenn auch nicht so häufig, für Menschen in Gefängnissen. Hunde sind dabei sicher der Klassiker, weil sie seit Jahrhunderten ein enges Verhältnis zum Menschen pflegen. Aber es gibt noch ganz andere Beispiele. In Offenburg etwa halten Insassen Bienen und produzieren Honig. In der JVA Zeithain bei Riesa in Sachsen züchten Häftlinge Weinbergschnecken, halten im Garten Hühner, Schafe und Kaninchen.

Es geht um die emotionale Ebene

Bei jeder Form von tiergestützter Therapie steht laut Psychologin Silvia Schneider die emotionale Ebene im Fokus. Es geht um Zuwendung, Freude, Bindungsverhalten. Nicht zuletzt im Körperkontakt. "Mit dem tun sich viele Untergebrachte eher schwer", sagt sie. Schließlich haben die meisten von ihnen in ihrem Leben "sehr, sehr viel Gewalt erfahren und selbst auch ausgeübt". Für die Therapeutin ist es beeindruckend zu erleben, "wie jemand ganz anders wirkt, wenn er sich mit einem Tier beschäftigt". Im Idealfall lerne jemand, seine emotionale und soziale Kompetenz zu verbessern. "Wir erwarten aber keine Wunder". Das Projekt sei lediglich ein Mosaikstein im Therapieangebot – den es auf jeden Fall weiterhin geben soll. Sie will das Hundeprojekt im neuen Jahr als Dauereinrichtung etablieren, mit Geld aus ihrem Honorartopf – grünes Licht dafür habe es bereits gegeben.

"Links herum ist schwierig", sagt Helge Kumpf zu Thomas Bierer, während er an der Leine von Strolchi zieht, einem graubraunen Mischling. "Aber es klappt immer besser." Kumpf sitzt im Rollstuhl, er hat nur je Zeige- und Mittelfinger an jeder Hand. Die Leckerli platziert er deswegen in die Lücke zwischen den beiden Fingern, wo Strolchi sie vorsichtig mit der Schnauze herausholt. "Schön langsam, Strolchi, sitz! Keine Gier." Alle anderen Hunde seien beim ersten Treffen sofort abgehauen, als sie den Rollstuhl sahen, sagt Kumpf. Nur Strolchi habe ihn gleich mal gezwickt, da habe der Mann um die 50 gewusst: "Der isses."

Abschied am Abend

Für Kumpf sind die anderthalb Stunden jeden Mittwoch der Höhepunkt der Woche. Er arbeitet nicht – und für Rollstuhlfahrer sei hier gar nichts ausgelegt. Und wenn, dann seien die Angebote komplett überfüllt. Was er sonst macht? "Nichts. Fernsehen, Lesen, Puzzle."

Es ist kurz vor halb sieben. Langsam versammeln sich alle rund um die zwei Jeeps in der Mitte des Hofs. Ehrenamtliche Helfer von Thomas Bierer und der begleitende Vollzugsbeamte leeren die drei Plastikschüsseln mit Wasser aus, die nebendran standen. Jetzt steht sogar Bernhard Huber von den Treppen der Montagehalle auf und läuft mit Sheker über den grell beleuchteten Platz. Er zeigt der Rottweilerhündin, wo sie ins Auto einsteigen soll, gibt ihr noch einen Klaps, dann dreht er sich um. Einer der Männer, Tom Diehlke, ruft einer großen Kangalhündin noch hinterher, während sie im Inneren des Jeeps verschwindet: "Elif, das mit dem großen Knochen an Weihnachten ist versprochen."

* alle Namen der Sicherungsverwahrten wurden geändert.

 


 

Sicherungsverwahrung

Rund 500 Menschen (davon eine Frau) sind in Deutschland derzeit in Sicherungsverwahrung. Die Unterbringung ist grundsätzlich unbefristet, einmal im Jahr muss ein Gericht jedoch prüfen, ob weiterhin eine Gefahr von dem Untergebrachten ausgeht. Wird diese nicht mehr gesehen, wird derjenige auf Bewährung in die Freiheit entlassen. Er erhält jedoch nicht nur einen Bewährungshelfer, sondern wird auch einer Führungsaufsicht – jeweils am zuständigen Landgericht - unterstellt. Oft ist dies mit bestimmten Weisungen verbunden. Ein ehemaliger (Wiederholungs-)Sexualstraftäter darf sich dann beispielsweise keinen Kinderspielplätzen nähern. Auch gibt es die Möglichkeit einer elektronischen Fußfessel.