„Es waren zu viele zur gleichen Zeit“

Erstveröffentlicht: 
08.01.2016

Berichte von Polizisten schildern die Ausschreitungen von Köln – und deuten darauf hin, dass syrische Flüchtlinge beteiligt waren


Von Thorsten Fuchs

 

Am Ende steht eine Kapitulationserklärung der Ordnungsmacht. Das Eingeständnis, dass die anderen einfach zu viele sind. Es ist Silvesterabend, kurz vor Mitternacht, der Platz vor dem Kölner Bahnhof ist voller junger Männer. Raketen und Böller explodieren in der Menge, Flaschen fliegen durch die Luft, es gibt Schlägereien. Frauen werden begrapscht und ausgeraubt. Und die Polizei?

 

„Die Einsatzkräfte“, so schreibt ein Beamter nach jener Nacht, „konnten nicht aller Ereignisse, Übergriffe, Straftaten usw. Herr werden. Dafür waren es einfach zu viele zur gleichen Zeit.“ Mit anderen Worten: Die Polizei kann in jener Nacht phasenweise nur noch zusehen – schützen kann sie die Menschen nicht mehr. Die Polizei selbst bestätigt in ihrem Bericht die schlimmsten Befürchtungen.

 

Was in der Silvesternacht in Köln geschehen ist, darüber haben bisher Zeugen berichtet – Passanten und Partygänger, die die Ausschreitungen beobachteten, Frauen, die selbst misshandelt wurden. Das Bild blieb dennoch lückenhaft. Gestern ist jedoch der Einsatzbericht eines leitenden Beamten der Bundespolizei aufgetaucht. Er bietet den bislang genauesten Einblick in jene Nacht, beschreibt Chaos, Aggression, ungehemmte Ausschreitungen – und eine erschreckende Machtlosigkeit der Polizei. Schon bei der Anfahrt zum Bahnhof seien er und seine Kollegen „von aufgeregten Bürgern mit weinenden und geschockten Kindern“ über die Situation am Bahnhof informiert worden. Die Beamten hatten noch nicht mal ihre Fahrzeuge weggestellt, da flogen schon die ersten Böller auf sie – so schildert es der Polizist.

 

Nach seiner Darstellung befinden sich zu diesem Zeitpunkt auf der Domtreppe und dem Bahnhofsvorplatz „einige Tausend meist männliche Personen mit Migrationshintergrund, die Feuerwerkskörper und Flaschen wahllos in die Menschenmenge feuerten“ – die Polizei hat bislang von rund 1000 Menschen gesprochen. Passanten berichten von Diebstählen, Schlägereien, sexuellen Übergriffen. Das Auftauchen der Polizei scheint die Täter jedoch nicht im Geringsten zu beeindrucken: „Frauen mit Begleitung oder ohne durchliefen einen ,Spießrutenlauf’ durch die stark alkoholisierten Männermassen, wie man es nicht beschreiben kann.“

 

Gegen 23.30 Uhr – zu diesem Zeitpunkt sind die Beamten seit einer Dreiviertelstunde vor Ort – beginnt die Polizei, den Platz zu räumen. Die Polizisten stoßen jedoch auf erheblichen Widerstand: Sie werden mit Flaschen beworfen, mit Raketen beschossen, viele der jungen Männer wehren sich – ohnehin sind die meisten laut dem Bericht alkoholisiert oder auch bekifft. „Im Einsatzverlauf erschienen zahlreiche weinende und schockierte Frauen/Mädchen und schilderten sex. Übergriffe durch mehrere männliche Migrantengruppen“, schreibt der Verfasser weiter. Die Täter festzunehmen oder auch nur zu identifizieren gelingt den Beamten jedoch nicht – weil sie „durch Massenbildung daran gehindert werden, an die Betreffenden (Geschädigte/Zeugen/Täter) zu gelangen“. Frauen, so geht aus dem Bericht hervor, rufen um Hilfe – doch die Polizei dringt nicht zu ihnen vor.

 

„Zu Spitzenzeiten“, räumt der Bericht ein, „war es nicht möglich, Strafanzeigen aufzunehmen.“ Eine Situation, die auch für die Polizisten schwer erträglich war: Da man „nicht jedem Opfer einer Straftat helfen und den Täter dingfest machen konnte, kamen die Beamten an die Grenze zur Frustration“.

 

Wer aber waren die Täter? War die Situation so chaotisch, dass die Polizisten tatsächlich keine Personalien aufnehmen oder Männer in Gewahrsam nehmen konnten? Dazu lässt der Bericht viele Fragen offen. 121 Anzeigen aus der Silvesternacht lagen der Kölner Polizei gestern vor, die meisten wegen sexueller Belästigung, zwei wegen Vergewaltigung. 16 Verdächtige hat die Polizei nach eigenen Angaben ermittelt, die meisten anhand von Foto- oder Videoaufnahmen.

 

Zeugen hatten die Täter als nordafrikanischer oder arabischer Herkunft beschrieben. In dem Bericht ist von „Männern mit Migrationshintergrund“ die Rede. Einige Schilderungen deuten jedoch stark darauf hin, dass es sich tatsächlich um Flüchtlinge handeln könnte, die erst seit kurzer Zeit hier sind. So hätten Männer Aufenthaltspapiere zerrissen „mit einem Grinsen im Gesicht und der Aussage: Ihr könnt mir nix, hole mir morgen einen neuen“. Ein Mann habe ihnen erklärt: „Ich bin Syrer, ihr müsst mich freundlich behandeln! Frau Merkel hat mich eingeladen.“

 

Dass sich in der Nacht vor dem Bahnhof viele Flüchtlinge aus Syrien befanden, ergaben auch Recherchen der „Welt am Sonntag“. Nach Angaben der Zeitung haben mehrere von ihr befragte Beamte der Darstellung der Kölner Polizeispitze widersprochen. Demnach wurden in der Nacht sehr wohl etwa 100 Menschen kontrolliert und einige auch vorübergehend festgenommen. „Die meisten waren frisch eingereiste Asylbewerber“, sagt demnach ein Polizist. Der Großteil von ihnen stamme aus Syrien.

 

So sind die Berichte der eingesetzten Beamten in Teilen durchaus widersprüchlich. Gemeinsam ist ihnen dagegen die Kritik an der Führung der Kölner Polizei. Auch der interne Polizeibericht beklagt unter anderem einen „viel zu geringen Kräfteansatz“.

 

Unterstützung erhält die Polizei dagegen von Christian Pfeiffer, früher Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen. Die Ausschreitungen in Köln seien „nicht primär ein Polizeiproblem“, sondern ein Integrationsproblem. Vorfälle wie in Köln habe es in dieser Intensität noch nie gegeben – eine Einschätzung, die der Einsatzbericht bestätigt. „In 29 Dienstjahren“, schreibt der Verfasser, „habe ich eine solche Respektlosigkeit noch nicht erlebt.“

 


 

Merkel erwägt striktere Abschiebungspolitik

Kanzlerin Angela Merkel (CDU, Bild) erwägt als Reaktion auf die sexuellen Übergriffe in Köln eine striktere Abschiebungspolitik: Es müsse „immer wieder überprüft werden, ob wir, was Ausreisenotwendigkeiten anbelangt oder Ausweisungen aus Deutschland, schon alles getan haben, was notwendig ist“, sagte sie am Donnerstag in Berlin. Es gehe darum, „hier auch klare Zeichen zu setzen an diejenigen, die nicht gewillt sind, unsere Rechtsordnung einzuhalten.“ Was in Köln geschehen ist, sei „auch für mich persönlich unerträglich“, sagte Merkel. Es sei gut, dass es sehr viele Anzeigen gebe, und die Polizei müsse all diesen Dingen nachgehen. Es ergäben sich nun „sehr ernsthafte Fragen, die über Köln hinausgehen“, fügte Merkel hinzu. „Gibt es in Teilen von Gruppen auch so etwas wie Frauenverachtung? Wir müssen dem in aller Entschiedenheit entgegentreten. Und ich glaube nicht, das es nur Einzelfälle sind.“ Die Politik habe die Pflicht, Antworten darauf zu geben.

 

Auch die Gewerkschaft der Polizei sieht die Politik in der Pflicht. „Wir haben kein rechtliches Defizit, sondern ein politisches“, sagte GdP-Vizechef Jörg Radek dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND): Die Politik, angeführt vom „erkennbar nicht belastungsfesten Bundesinnenminister, macht aber leider die Polizei zum Prügelknaben“. Thomas de Maizière (CDU) habe „oberlehrerhaft die Polizei in Köln kritisiert, um von eigener Verantwortung abzulenken“, meinte Radek. „Erst ist man in Köln vor Ort im Einsatz wegen Personalmangels überfordert und dann weisen die zuständigen Politiker den Polizisten die Schuld zu, dabei fehlt ihnen selbst der Mut, Abschiebungen von Straftätern konsequent durchzusetzen.“ Justizminister Heiko Maas (SPD) hält nach den Vorfällen in Köln Ausweisungen der Täter für möglich: „Wer glaubt, sich bei uns über Recht und Gesetz stellen zu können, der muss bestraft werden – völlig egal, woher er kommt.“ DW

 


 

Anti-Gewalt-Kurse für Flüchtlinge


Von André Anwar

Stockholm/Oslo. Gewalt von Migranten oder Flüchtlingen gegen Frauen – in Norwegen gibt es darüber seit Jahren eine öffentliche Debatte. 2008 hatte die Polizei in größeren Städten einen deutlichen Anstieg von sexuellen Übergriffen auf Frauen registriert, die Täter waren oft Einwanderer. Inzwischen gibt es für Flüchtlinge aus Afrika und Arabien Anti-Gewalt-Kurse.

 

Norwegerinnen haben sich stets sehr frei und emanzipiert gefühlt und hatten keine Bedenken, nachts alleine und leicht bekleidet durch städtische Parks zu laufen. Im bevölkerungsmäßig kleinen, sehr reichen und lange relativ homogenen Land fühlten sie sich sicher. Doch die steigende Anzahl sexueller Übergriffe führte zu nächtlichen Demonstrationen und Nachtwachen. Hanne Kristin Rohde, ehemalige Polizeichefin für Gewaltverbrechen in Oslo, prangerte 2011 öffentlich an, dass vor allem junge moslemische Einwanderer für einen Großteil der Vergewaltigungen in Oslo verantwortlich seien.

 

Die Behörden führten Aufklärungskurse ein, die seit 2013 in allen Asylbewerberheimen des Landes angeboten werden. Unweit von Stavanger hat Nina Machibya solche Kurse geleitet, getrennt für moslemische Afghanen und christliche Eritreer. Zwar wussten die meisten Teilnehmer bereits durch Internet und Fernsehen, dass es in Europa eine andere Kultur gibt. „Aber dennoch konnten wir im persönlichen Gespräch wichtige Lücken füllen“, sagt Machibya. In zehn Sitzungen werden unterschiedliche Aspekte von Gewalt und norwegische Werte diskutiert. „Anfänglich wurden wir beschuldigt, Flüchtlinge unter Generalverdacht zu stellen“, berichtet Ausbildungsleiter und Psychologe Per Isdal. Inzwischen ernte man nur Anerkennung.

 

Durch Kriege oder eine gefährliche Flucht traumatisierte junge Menschen neigen laut Studien eher zu Gewalt. „Darunter leiden auch Freunde, Ehefrauen oder die Kinder“, weiß Isdal. Hinzu komme, dass in manchen Gesellschaften Arabiens und Afrikas Frauen teils als rechtloses Eigentum ihrer Männer angesehen werden. So wird im Kurs auch erklärt, dass es in Norwegen strafbar ist, die Ehefrau zu vergewaltigen und Kinder zu schlagen – und dass Männer und Frauen ohne familiäres Band auch einfach nur befreundet sein können. „Die größte Gefahr ist, solche Probleme wegen falscher politischer Korrektheit totzuschweigen“, sagt Isdal. Inzwischen gibt es Forderungen, die Kurse für Asylbewerber zwingend zu machen. Davon hält Isdal nichts: „Die Flüchtlinge machen zu, wenn man sie zwingt.“