Die „Zonenwachtel“ zeigt der CSU, wer den längeren Atem hat

Erstveröffentlicht: 
05.01.2016
Vor zehn Jahren wurde Angela Merkel in Wildbad Kreuth verspottet, morgen ist sie als Kanzlerin zu Gast in der legendären Tagungsstätte der bayerischen Freunde Von Dieter Wonka

 

Wildbad Kreuth. Es gibt nicht mehr viel, was Angela Merkel als Person der Zeitgeschichte erspart geblieben ist. Dazu zählte der Besuch einer Klausurtagung der CSU-Landesgruppe im Bundestag – alljährlich in Wildbad Kreuth, am Fuß der Blauberge und inmitten einer äußerlich idyllischen Kulisse. Es sind Rituale der Macht, die hier immer wieder vorgeführt worden sind – und so etwas liegt Merkel eigentlich gar nicht.

 

Morgen wird das anders sein. Im 40. Jahr nach dem vorübergehenden Trennungsbeschluss, den der damalige CSU-Vorsitzende Franz Josef Strauß 1976 der CSU verordnet und der CDU vorgesetzt hatte, will die CSU nun mit der Kanzlerin und CDU-Vorsitzenden über Frieden, Flüchtlinge, zumutbare Obergrenzen für Flüchtlinge und über das Konservative im Allgemeinen sprechen. Angela Merkel soll mit dem Hubschrauber einfliegen, für drei Stunden. Die örtliche Polizei ist darüber sehr erleichtert, da es „vage Hinweise“ (so CSU-Landesinnenminister Joachim Herrmann) auf eine anhaltende Terrorgefahr gebe. Und der Kanzlerin wird ein aufwirbelnder Landeanflug als Zeichen ihrer Wichtigkeit vielleicht gar nicht so unrecht sein.

 

So ändern sich die Zeiten. Zum Jahresauftakt 2004 hatte Angela Merkel schon einmal im Zentrum einer Kreu­ther Abwehrschlacht gestanden. Im Hinterzimmer des Kreuther Berggasthauses „Bad“ fiel damals am zweiten Abend der Klausurtagung in trauter Runde und im Beisein von zwei hochrangigen CSU-Politikern, einem Gast von der CDU und einigen Journalisten der Begriff von der „Zonenwachtel“. Als Merkel später in der Kolumne „Berliner Bonbons“ von dieser abgrundtiefen Despektierlichkeit aus berufenem CSU-Mund Wind bekam, hatte sie sich geschworen: Denen werd’ ich’s zeigen. „Ich konnte den ganzen Sonntag nicht arbeiten“, bekannte die mittlerweile zur Kanzlerin aufgestiegene Frau aus dem Osten. Damals zweifelten in der Union noch viele, ob eine Ostdeutsche an der Spitze die Richtige für die nächste Bundestagswahl sein könne. Als offizielle Kreuther Gäste hatte die CSU seinerzeit übrigens unter anderem den damaligen Ministerpräsidenten Dieter Althaus aus Thüringen und die im Aufstieg begriffene niedersächsische Sozialministerin Ursula von der Leyen geladen.

 

Vor eineinhalb Jahren, als Angela Merkel ihren 60. Geburtstag feierte, erinnerte sich die heutige Kanzlerin an das damalige Geraune, an Beschimpfungen, an die „komischen Blicke“, mit denen Ostdeutsche begleitet wurden. Im Saal diskutierten derweil geladene Christdemokraten, was denn als Schimpfwort wohl schlimmer gewesen sei: „Zonenwachtel“ (für Merkel) oder der unsägliche Gastarbeiterbegriff „Spaghettifresser“.

 

Morgen, am 6. Januar, kommt die Kanzlerin als bundesweiter Machtgarant der Union zur CSU, mitten in die Höhle des weiß-blauen Löwen. Viele in der CSU hoffen, dass sie von Merkels Ausstrahlung profitieren können – in traditionellem Umfeld. Der lang gestreckte Fachwerkbau, der den Wittelsbacher Adeligen gehört und bis jetzt die CSU-Bildungsstätte von der Hanns-Seidel-Stiftung beherbergt, soll demnächst zur Luxusherberge ausgebaut werden. Kreuth dürfte dann zu teuer werden für die CSU-Stiftung. Vielleicht zum letzten Mal darf also über den „Kreuther Geist“ politisiert und räsoniert werden.

 

Wie die Bilanz 2016 ausfällt, wird zentral an zwei Frauen liegen. Genau genommen erscheint die Kanzlerin auch nicht auf eine Einladung von Ministerpräsident und CSU-Chef Horst Seehofer, sondern wegen einer Bitte der CSU-Landesgruppenvorsitzenden im Bundestag, Gerda Hasselfeldt. Sie ist die Gastgeberin.

 

Hasselfeldt bevorzugt ebenfalls den unaufgeregten und nicht von Stammtischsprüchen und Adrenalin vollgepumpten Politikstil. Beiden Frauen an der Spitze ist das Sein wichtiger als der Schein. Die zwei kennen sich gut aus damit, von CSU-Machos beleidigt zu werden. 2004 wurde Merkel als „Zonenwachtel“ verhöhnt, heute feiert man sie als Stimmenmagnet. Vor einigen Monaten beschimpften nervöse CSU-Männer aus Bayern die enge Merkel-Freundin Hasselfeldt wegen ihrer sanften Art der Machtpolitik. Sie sei „schon fast unverschämt arrogant“ gegenüber den CSU-Machern in München aufgetreten, hieß es damals.

 

Gut möglich, dass sich die zwei Damen morgen, nach geschehener Diskussion, einen kleinen gemeinsamen Scherz über die wichtigtuerischen Mannsbilder gönnen.