Wer auf das Jahr 2015 zurückblickt, kommt an Pegida nicht vorbei. Seit mehr als einem Jahr versammeln sich die selbsternannten Patrioten Montag für Montag in Sachsens Landeshauptstadt. Nur hier, in Dresden, schaffen sie es nach wie vor, Tausende Menschen zu mobiliseren. Pegida spaltet, kaum eine Zusammenkunft im privaten Kreis bleibt von einer Diskussion über die Bewegung verschont. MDR-Reporter Wolfram Nagel ist von Anfang an bei den Demonstrationen dabei. Hier zieht er seine Jahresbilanz:
Die Patrioten Europas wollen die "Islamisierung Europas" verhindern.
Deshalb werden sie nicht müde, auf der Bühne die Abschiebung von
Flüchtlingen zu fordern. "Wir müssen hier nicht jeden und schon gar
nicht kulturfremde, verrohte Muslime willkommen heißen.
Heimatverteidigung darf, muss auch konkret stattfinden", rief Tatjana
Festerling mit einschneidender Stimme kurz vor Weihnachten in die Menge.
Und jene rund 8.000, die meinen "Wir sind das Volk", skandierten
Widerstand.
Zwar haben sie weihnachtliche Lieder gesungen, aber
offenbar deren Inhalt nicht verstanden. Die Heilige Familie war in Not
geraten und fand Unterschlupf in einem Stall, bei den Tieren, in
Bethlehem. Und sie musste sofort weiterziehen, weil König Herodes sie
verfolgte. Eine typische Flüchtlingsfamilie aus dem Morgenland, heute
aktueller denn je.
Wer "Stille Nacht, Heilige Nacht" oder "Kommet
ihr Hirten" singt und dann "Abschieben" und "Widerstand" brüllt, hat da
etwas Grundsätzliches missverstanden. Zumindest widerspricht es dem
Verständnis christlicher Barmherzigkeit.
Vor einem Jahr sang Pegida vor der Semperoper
Das war aber auch schon vor einem Jahr so. Im Dezember 2014 sangen
sogar etwa 20.000 "Patrioten" Europas christliche Weihnachtslieder - vor
der Semperoper. Allerdings waren die Sprüche auf der Bühne und die
Antworten der Masse noch nicht so aggressiv.
Diese
Massendemonstrationen der unzufriedenen Bürger haben auch Politik und
Medien in Aufruhr gebracht. Eilig wurden Gesprächsrunden und Foren
organisiert. Mitglieder der Staatsregierung setzten sich mit moderaten
Pegida-Vertretern an "Runde Tische".
Ende der großen Demonstrationen
Im Januar 2015 endete die erste Phase des Pegida-Protests. Frank Richter, Direktor der Landeszentrale für politische Bildung in Sachsen, spricht von einer bis dahin nicht gekannten Politisierung großer Teile der Bevölkerung. Ausdruck dafür waren die vielen Demonstrationen in Dresden, Leipzig und anderen Städten. Dann aber spaltete sich Pegida-Dresden, ausgelöst durch Bachmanns "Spaßbild mit Hitlerbärtchen" und beleidigende Äußerungen über Flüchtlinge, die bekannt geworden waren. Die Teilnehmerzahlen gingen stark zurück. Schon beim Auftritt des niederländischen Rechtspopulisten Geert Wilders im April schien der Zenit überschritten. Es kamen weit weniger Demonstranten als erwartet, nur etwa 10.000. Für Wilders waren die im Ostragehege hinter Polizeiabsperrgittern Versammelten alle "Helden". Und diese fühlten sich von einer europäischen Rechts-Partei ernst genommen und träumten von Marine le Pen in Dresden.
Oberbürgermeisterwahl in Dresden
Während des Oberbürgermeisterwahlkampfes im Frühsommer trat Tatjana
Festerling als unabhängige Kandidatin für Pegida auf. Ihre aggressiven
Botschaften wie "Die Festung Europas ausbauen nach australischem
Vorbild" kamen an. Seit fast einem Jahr ist sie die scharfzüngige
Galionsfigur der Bewegung. Mit beinahe zehn Prozent erlangte sie ein
beachtliches Ergebnis. Bei der notwendigen Neuwahl rief sie auf, den
bürgerlichen Kandidaten Dirk Hilbert zu unterstützen. "Ein
Oberbürgermeister von Pegidas Gnaden" triumphierten Festerling, Bachmann
und Co. Und seitdem der Rechtspopulist Michael Stürzenberger die
Anhänger auf dem Schlossplatz lauthals aufforderte, Widerstand zu
leisten, gab es einen neuen Slogan, den die Masse jeden Montag, aber
auch bei Protesten vor geplanten Asylunterkünften skandiert.
Der Ton verschärft sich
Mit der Flüchtlingskrise im Sommer bekam Pegida wieder starken Zulauf, wenn auch nicht auf dem Niveau vom Januar. Gleichzeitig vermehrten sich die Angriffe auf Flüchtlingseinrichtungen. Schockierend waren die Attacken auf Notunterkünfte wie in Freital und Heidenau durch Rechtsextremisten. Diese nutzten Pegida offensichtlich als Plattform. Hassredner lieferten nach Ansicht von Frank Richter die ideologische Munition: "Jetzt hat Pegida zwei Themen, das ist die Asylfeindlichkeit und das ist die Islamfeindlichkeit. Und in dieser Hinsicht radikalisiert sich das Geschehen in einer ganz beängstigenden Weise."
Mehrere Verfahren wegen Volksverhetzung wurden eingeleitet, gegen Lutz
Bachmann, Tatjana Festerling oder Akif Pirinçci. Am 7. Dezember sprach
der belgische Rechtspopulist Filip Dewinter auf den Theaterplatz von
einem "Krieg gegen den Islam", in dem sich Europa befinde: "Der Koran
ist die Lizenz zum Töten. [...] Die Masse der Flüchtlinge ist eine Armee
ohne Uniform, ohne Waffen, […] sie sind gekommen zu terrorisieren und
zu kolonisieren. Das dürfen wir niemals akzeptieren".
Selten
wurde der Islam bei einer Demonstration von Pegida so offen diffamiert.
Der Staatsschutz ermittelt. Die Stadt drohte sogar mit einem
Demonstrationsverbot.
Stille Nacht, heilige Nacht
Geschützt von mehr als 2.600 Polizisten aus dem gesamten
Bundesgebiet, Wasserwerfern, Räumpanzern und einer Hundestaffel rühmte
Pegida-Frontfrau Festerling am Jahresende noch einmal
den Durchhaltewillen der Patrioten. "Wir brauchen jeden Mann und jede
Frau für unseren patriotischen Kampf im nächsten Jahr. Wir sehen uns auf
der Straße."
Und erstmals wetterte sie auch gegen die
Flüchtlings- und Asylpolitik der Kirchen. Die Hamburgerin hat offenbar
doch verstanden, welche Geschichten von Nächstenliebe, Barmherzigkeit
und Frieden die Weihnachtslieder erzählen. Und so schloss das
Pegida-Weihnachtslieder-Singen konsequenterweise auch mit der
Deutschlandhymne ab.