Nach Zoff um Pegida: Polizei nennt keine Zahlen mehr

Erstveröffentlicht: 
15.07.2015

Wer zählt nun auf Demos? Sozialforscher sieht öffentliches Interesse

 

Chemnitz/Dresden/Leipzig. Jahrzehntelang war es in Deutschland gang und gäbe: Bei der - politisch mitunter hochbedeutsamen - Frage, wie viele Menschen an einer Demonstration teilnahmen, konnten Medien und Öffentlichkeit auf Angaben der Polizei zurückgreifen. Im größten Teil Sachsens ist jetzt Schluss damit. In Leipzig kam das Aus Mitte Januar - nun sagen auch die Beamten in Dresden nicht mehr, wie viele Teilnehmer sie auf Demonstrationen ermittelt haben.

 

Auslöser waren teils heftige Kontroversen nach den Pegida-Aufmärschen. "Immer wieder wurden unsere Zahlen angezweifelt", sagt Thomas Geithner, Sprecher der Polizeidirektion (PD) Dresden. Deshalb habe der Dresdner Polizeipräsident jetzt entschieden, überhaupt keine Zahlen mehr zu Demonstrationen zu veröffentlichen. Erhoben werden sie jedoch weiter - "für verkehrsleitende Maßnahmen, Rettungswege oder Kräfteansatz".

 

Seit Ende April ermittelt in Dresden die Studentengruppe "Durchgezählt" mit Videotechnik eigene Zahlen zu den Pegida-Demos. Ausgerechnet deren Wirken brachte offenbar das Fass zum Überlaufen: Immer wieder sei man hier mit Abweichungen konfrontiert worden, berichtet Geithner. "Irgendwann war unsere Leidensgrenze erreicht." Der Polizei sei es nicht gestattet, Videoaufnahmen zur Ermittlung der Teilnehmerzahlen auszuwerten, sagt der PD-Sprecher. Im übrigen sei das auch nicht ihre Aufgabe. "Es gibt für den Dienst am Bürger für uns wichtigere Dinge zu erledigen."

 

In Leipzig hatte die Polizei bereits nach der ersten Legida-Demo genug von der Zahlenverkündung. "Uns wurde ein Strick draus gedreht", berichtet Sprecherin Katharina Geyer. 15.000 Leute hatten die Beamten ermittelt, Soziologen der Uni kamen auf 4000 bis 5000. In Chemnitz wird bereits seit Jahren ausschließlich auf Veranstalterangaben verwiesen. Nur die PD Görlitz will vorerst weiter eigene Zahlen veröffentlichen.

 

Das Innenministerium in Dresden sieht keinen Handlungsbedarf. "Es gibt keine gesetzliche Grundlage für die Veröffentlichung von Teilnehmerzahlen durch die sächsische Polizei", heißt es auf Anfrage. Hier sei die Versammlungsbehörde zuständig. Der Berliner Sozialwissenschaftler Dieter Rucht sieht dennoch die Polizei in der Pflicht. Rucht, der jahrzehntelang die Dynamik von Demonstrationen untersuchte, empfiehlt: "Bei wichtigen Anlässen sollte die Polizei zur Veröffentlichung angehalten werden." Denn: "Es besteht ein öffentliches Interesse an diesen Zahlen."