Geheimdienst: Gewalttäter stammen überwiegend aus Sachsen

Erstveröffentlicht: 
15.12.2015
Verfassungsschutz kontert Vorwürfe des Oberbürgermeisters

VON FRANK DÖRING

 

Hat der sächsische Verfassungsschutz die Stadt Leipzig nicht ausreichend über das linksextreme Gewaltpotenzial informiert? Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) hatte diesen Vorwurf nach den Stra­ßenschlachten in der Südvorstadt gegenüber dem MDR erhoben (die LVZ berichtete). Gestern wies der Inlandsgeheimdienst die Anschuldigung entschieden zurück.

 

„Das Landesamt für Verfassungsschutz hat in den jährlichen Verfassungsschutzberichten, über Gespräche mit den Präventionsstellen in der Stadt Leipzig und über Informationen an die für die Gefahrenabwehr zuständigen Stellen auf die von gewaltbereiten Linksextremisten ausgehenden Gefahren hingewiesen“, teilte Behördensprecher Martin Döring auf Anfrage mit. Auch vor dem vergangenen Wochenende sei auf das von ihnen ausgehende Gefahrenpotenzial hingewiesen worden.

 

Die gewaltbereite autonome Szene in Leipzig umfasst etwa 180 Personen, das ist etwa die Hälfte der Autonomen in Sachsen, so der Verfassungsschutz. „Darüber hinaus kann die Szene in erheblichem Umfang Personen aus dem Umfeld mobilisieren. Die Autonomen in Leipzig sind gut vernetzt, verfügen über ein hohes Maß an ideologischer Geschlossenheit und sind demzufolge insbesondere anlassbezogen mit einer hohen Zahl mobilisierbar.“

 

Am Sonnabend attackierten nach Angaben der Polizei zeitweise rund 1000 vermummte Gewalttäter die Polizeikräfte, darunter nach Einschätzung der Behörden auch Krawalltouristen aus anderen Autonomen-Hochburgen. „Wenn auch offenbar auswärtige Linksextremisten an den Ausschreitungen beteiligt waren, so dürfte – nach einer ersten Einschätzung und vorbehaltlich einer abschließenden Auswertung – dennoch der überwiegende Teil der Gewalttäter aus Sachsen stammen“, so der Sprecher des Verfassungsschutzes.

 

Leipzig sei „die absolute Schwerpunktregion der sächsischen autonomen Szene sowie der hiesige Brennpunkt linksextremistischer Gewalt“. Erst kürzlich war die Messestadt im Szeneportal Indymedia zum „Randalemeister 2015“ gekürt worden – mit Verweis auf knapp 40 linksautonome Anschläge in diesem Jahr. Die hiesige Antifa hatte daraufhin bundesweit zur gemeinsamen Autonomen-Weihnachtsfeier am 12. Dezember eingeladen (die LVZ berichtete).

 

Ganz zufällig passierte dies alles nicht. Nach Geheimdiensterkenntnissen be­gannen die Leipziger Autonomen vor gut einem Jahr, ihre gewaltsamen Aktionen in Szeneäußerungen zu reflektieren. „Hierbei wurden insbesondere Rechtsfertigungsmuster für das eigene Gewalthandeln formuliert“, so der Verfassungsschutz. „Ideologische Geschlossenheit und die Propagierung eigener theoretischer Konzepte dürften vor dem Hintergrund eines vorhandenen starken Aggressions- und Gewaltpotentials die Entwicklung während des zurückliegenden Jahres begünstigt haben.“ Auch deshalb ist nach Informationen des Verfassungsschutzes davon auszugehen, dass „die Attraktivität der gewaltbereiten linksextremistischen Szene Leipzigs für Auswärtige nicht nachlassen wird“.

 


 

Stadtpolitik schockiert – Suche nach Ursachen


Einmütig fallen die Reaktionen der Leipziger Stadtpolitik auf die Ausschreitungen in der Südvorstadt aus. Von Links bis Rechts verurteilen die Parteien Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung. Bei der Suche nach den Ursachen gehen die Meinungen allerdings auseinander.

 

Die Linkspartei distanzierte sich von „sinnloser Zerstörungswut“. Diese habe mit Politik und antifaschistischem Engagement nichts zu tun. „Erneut wurde dem so notwendigen Kampf gegen Rassismus, Ausländerfeindlichkeit und Nationalismus in Leipzig ein Bärendienst erwiesen“, erklärte der Vorsitzende der Leipziger Linken, Volker Külow.

 

Leipzigs SPD-Chef Hassan Soilihi Mzé erklärte: „Woche für Woche bringen rechte Extremisten ihre Menschenverachtung auf die Straße und bereiten hasserfüllt das Feld für Angriffe auf Menschen, die vor Krieg und Verfolgung fliehen mussten und Schutz bei uns suchen. Linke Extremisten nutzen indes die Gelegenheit, ihre Verachtung gegen den demokratischen Rechtsstaat und seine Institutionen immer gewaltsamer und auch gegen Menschen gerichtet zum Ausdruck zu bringen.“ Ihre politischen Motive und Ziele seien ebenso gefährlich wie jene ihrer Gegner am rechten Rand. „Beiden“, so der SPD-Politiker, „gebührt unser zivilgesellschaftlicher Widerstand. Leipzig ist kein Schlachtfeld für Extremisten. Wir brauchen Zusammenhalt in der Mitte der Gesellschaft und keine Gewalt von ihren Rändern.“

 

Der Vorsitzende der Kommunalpolitischen Vereinigung der Leipziger CDU, Thomas Feist, forderte indes den Rücktritt von Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD). „Die Ereignisse sind schockierend, aber nur ein weiteres Kapitel einer verfehlten Politik des Oberbürgermeisters, der extremistische Demonstrationen zulässt und dabei Polizisten als Zielscheiben missbraucht“, sagte Feist. Jung habe „den Leipzigern die Sicherheit genommen und den Ruf Leipzigs ruiniert“.

 

Die Grünen verurteilten die Gewalt, übten jedoch auch Kritik am Vorgehen der Polizei. In einer gemeinsamen Stellungnahme erklärten Partei- und Fraktionsführung: „Das Demo-Geschehen muss ohne Tabus kritisch beleuchtet werden, auch die Polizeitaktik muss hinterfragt werden.“ Das massive Polizeiaufgebot sei vielerorts nicht in der Lage gewesen, die Situation besonnen und deeskalierend zu lösen. „Sinnlose Gewalt und blinder Aktionismus auf allen Seiten hilft uns gerade nicht, sondern verschärft die Eskalationsspirale“, so die Grünen-Politiker Christin Melcher, Katharina Krefft, Lorenz Bücklein und Norman Volger.

 

Für AfD-Kreisvorsitzenden Siegbert Droese kam der Gewaltausbruch am Wochenende nicht überraschend. „Viel zu lange wurden die staatsfeindlichen Taten, wie die Angriffe auf Polizeiposten und Gerichte in Leipzig unzureichend aufgeklärt“, sagte er.

 

Die CDU-Bundestagsabgeordnete Bettina Kudla bezweifelt die Glaubhaftigkeit des OBM: „Die geäußerte Bestürzung von Herrn Jung entbehrt einer gewissen Glaubwürdigkeit, denn die auch bei Legida-Demonstrationen aufgetretenen linken Gewaltexzesse hatte der Oberbürgermeister bisher immer gekonnt ignoriert.“ Im Süden der Stadt, so die CDU-Politikerin, habe sich seit 1990 ungehindert eine autonome Szene etablieren können, die heute zu den linksextremen Zentren Deutschlands zählt. „Dabei unterstützte die Stadt, getragen vor allem durch Mehrheiten von SPD, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen, mit üppigen Subventionen und Investitionen zweifelhafte Vereine und soziokulturelle Zentren, in deren Umfeld sich die antidemokratischen Kräfte entwickeln konnten“, sagte die frühere Leipziger Finanzbürgermeisterin.

 


 

Stimmen vom LVZ-Lesertelefon

Kritik an Politikern, Lob für Polizisten

Entsetzen und Unverständnis dominierten gestern am Lesertelefon. Fast jeder Anfrufer fragte: „Wo leben wir denn?“

 

Martina Zwicker (67) aus Baalsdorf sagte: „Dieser Gewaltausbruch grenzt doch an Anarchie. Da kann sich doch die Polizei nicht noch entschuldigen. Der Staat darf sich nicht von solchen Verbrechern noch vorführen lassen.“

 

Harald Döring (57) aus Markkleeberg meinte: „Diese Gewalt ist furchtbar! Leipzigs Oberbürgermeister soll nicht so tun, als ob er nichts gewusst hätte. Es ist nicht das erste Mal, dass Linke und Autonome Stimmung machen. Wo sind wir bloß gelandet? Die frisch sanierte Straße so zu demolieren. Die Polizisten tun mir leid.“

 

Enttäuscht von OBM Burkhard Jung (SPD) zeigte sich auch Manfred Stoide (64) aus Böhlitz-Ehrenberg: „Jetzt zu sagen, das sei Straßenterror, ist doch heuchlerisch. Vor Kurzem hat er sich bei Legida noch vor diese Leute gestellt.“

 

Die Kritik am Vorgehen der Polizei kann Waltraut Hessel (74) aus Markkleeberg nicht verstehen: „Jeder wusste doch, was dort stattfinden soll. Schon ein altes Sprichwort warnt: Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um. Wie hätten denn die Polizisten auf diese Gewalt reagieren sollen? Ich würde mich an ihrer Stelle krank melden.“

 

„Fassungslos über die linke Gewalt“ zeigte sich Thomas Große (56) aus dem Waldstraßenviertel. „Jetzt zeigt sich, wer hier wirklich die Gewalttäter sind“, sagte er. „Was wäre eigentlich geschehen, wenn sich die 1000 friedliebenden Gegendemonstranten zwischen die Fronten gestellt hätten?“

 

„Wie lange wollen Justiz und Stadtverwaltung diesen Terror noch hinnehmen?“, fragt sich Werner Schneider (81) aus Dölitz. „Die Politik hat auf ganzer Linie versagt, wenn entsprechende Internet-Portale bereits darauf hinweisen, dass in Leipzig sowas möglich ist. Muss man sich auch noch von denen verhöhnen lassen?“

 

„Hochachtung“ zollte Sabine Krosse aus Plagwitz der Leistung der Polizisten. „Sie sollten nicht zur Rechenschaft, sondern in Schutz genommen werden, wenn sie gegen asoziales, gewaltbereites, verbrecherisches Verhalten ausrücken müssen“, so die Mittvierzigerin. -la