„Früher eher die Bier-und-Würstchen-Fraktion“

Erstveröffentlicht: 
21.10.2015

Der Kölner Attentäter Frank S. war lange Zeit eine Randfigur der rechtsextremen Szene – und fühlte sich jetzt offenbar durch fremdenfeindliche Hetze ermutigt

 

Die Kandidatin wollte freundlich sein. Ob er auch eine Rose bekommen könne, hatte der Mann gefragt, der an diesem Morgen an ihren Wahlkampfstand auf einem Wochenmarkt in Köln-Braunsfeld gekommen war, ein großgewachsener Mittvierziger mit schwarzer Strickmütze, Jeansjacke und Kapuzenpullover. Natürlich, sagte Henriette Reker, und wandte sich ihm zu. Dann stach er auf sie ein – mit einem 46  Zentimeter langen Jagdmesser, einer Nachbildung der Waffe, die der Held im Film „Rambo III“ benutzt. In die Klinge ist die Unterschrift des Darstellers eingraviert, Sylvester Stallone.

 

Es gab einiges, was das Attentat auf die mittlerweile zur neuen Kölner Oberbürgermeisterin gewählte Henriette Reker am Sonnabend zunächst wie die Tat eines Psychopathen aussehen ließ. „Ich rette den Messias“, soll der Täter gerufen haben. Augenzeugen sagten, er habe einen verwirrten Eindruck auf sie gemacht. Ein psychologischer Gutachter hat den Täter inzwischen jedoch für „voll schuldfähig“ erklärt. Gegenüber der Polizei erklärte dieser, Hass auf Ausländer und die liberale Haltung der Kölner Sozialdezernentin Reker seien seine Motive gewesen. Und auch alles andere, was man inzwischen über ihn weiß, deutet vor allem auf eines hin: dass es die gezielt geplante Tat eines überzeugten Rechtsextremisten war.

 

Demnach hatte der 44-jährige Frank S., ein seit vielen Jahren arbeitsloser Maler und Lackierer, schon in den Neunzigerjahren an seinem früheren Wohnort Bonn enge Kontakte in die rechtsextreme Szene. Zwar hatte der Verfassungsschutz zuletzt nichts mehr über ihn gespeichert, in den Datenbanken der Antifa-Szene in Nordrhein-Westfalen ist S. aber noch immer gut vertreten. So fuhr er zum Beispiel im August 1994 mit rund 100 weiteren Neonazis zu einem Gedenkmarsch für den Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß nach Luxemburg. Als sie dort vor die deutsche Botschaft zogen und „Märtyrer für Deutschland – Rudolf Heß“ riefen, schritt die Polizei ein. Unter den Festgenommenen war auch Frank S.

 

Organisiert hat den braunen Ausflug seinerzeit die „Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei“ (FAP), bis zu ihrem Verbot 1995 eine der radikalsten Parteien der Nachkriegsgeschichte. Deren Mitgliederverzeichnis las sich zeitweise wie die VIP-Liste der deutschen Neonazi-Szene: Der Dortmunder Siegfried Borchardt, besser bekannt als „SS-Siggi“, Jürgen Rieger, früherer stellvertretender Bundesvorsitzender der NPD, oder auch der Neonazi-Anführer Michael Kühnen – sie alle gehörten zur FAP.

 

Frank S. fühlte sich von so viel Radikalität offenbar angezogen, auch wenn er selbst wohl kein FAP-Mitglied war und eher zu den Randfiguren der Szene zählte. „Das war eher die Bier-und-Würstchen-Fraktion“, erklärt ein ehemaliger Weggefährte in der „Welt“. Möglicherweise stimmt das jedoch nur für die Anfangszeit: Ende der Neunzigerjahre jedenfalls soll Frank S. zu Gewalt gegen Ausländer aufgerufen haben. Wegen Raub und Körperverletzung saß er zu der Zeit auch in Haft.

 

Für den Kriminologen und Extremismusforscher Dirk Baier von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften reicht die Herkunft von S. aus dem rechten Milieu als Erklärung nicht aus. „Die Bereitschaft zu einer solchen Tat war wohl latent immer da“, sagt Baier. Um sie auszuführen, musste nach seiner Ansicht jedoch noch etwas anderes dazukommen: die Hetze durch Pegida und andere Gruppen und die zunehmend feindliche Haltung gegenüber Flüchtlingen. „So jemand spürt: Das gesellschaftliche Klima ändert sich, der Rahmen verschiebt sich – und er ist dann bereit zu handeln.“ Untypisch sei, dass S. offenbar allein agierte: „Solche Lonely-Wolf-Typen kennt man sonst eher aus dem Terrorismus.“

 

Sein Ziel erreicht hat der Täter aber glücklicherweise nicht. Henriette Reker, die zuletzt im künstlichen Koma lag, gehe es inzwischen besser, teilte die Stadt Köln gestern mit. „Sie kann zwar nicht reden, ist aber gut ansprechbar und weiß, was um sie herum passiert“, erklärte ein Sprecher. Inzwischen wisse sie auch, dass sie die Wahl zum Oberbürgermeister am Sonntag gewonnen hat. Über ihre Reaktion darauf sagte er nichts.

 

Wann die 58-Jährige ihr neues Amt antreten kann, steht noch nicht fest. Stadtdirektor Guido Kahlen wird sie von heute an vorerst vertreten, Reker selbst liegt noch in der Kölner Universitätsklinik. Der Mann, der sie vor vier Tagen niederstach, sitzt inzwischen in Unter­suchungshaft in der Justizvollzugsanstalt Köln-Ossendorf. Gegen Frank S. ermittelt jetzt der Generalbundesanwalt.