Das Klima wird rauer: Immer öfter werden Bürgermeister und Landräte von Gegnern massiv attackiert
Gestern war ein großer Tag für ihn. Erich Pipa, 67, bekam das Bundesverdienstkreuz überreicht – für sein langjähriges Wirken in der Kommunalpolitik. Der hessische Finanzminister schaute extra vorbei, es wurden Lobreden gehalten. Aber der Landrat der Main-Kinzig-Kreises, einer schönen Gegend zwischen Frankfurt im Westen und Fulda im Osten, sieht seine neue Auszeichnung mit gemischten Gefühlen: „Wenn bestimmte Leute das in der Zeitung lesen, bekomme ich den nächsten Brief. Da bin ich mir sicher“, sagt der Sozialdemokrat.
Pipa erhält seit einigen Monaten anonyme Drohbriefe. Der erste kam im Juli, nachdem Pipa eine neue Flüchtlingsunterkunft eröffnet hatte. „Hör’ auf damit, sonst passiert Dir was“, hieß es in dem Schreiben. Ein paar Wochen später die nächste Botschaft: Da er sich „nicht gebessert“ habe, wolle man ihn bei einem großen Straßenfest „aus dem Weg räumen“. „Wir wissen, wo Du bist“, ließ der Absender den Politiker wissen. Pipa bekam Polizeischutz, er gab eine Pressekonferenz, forderte die Absender auf, sich zu melden. Keine Reaktion. Das Straßenfest wurde eröffnet, alles blieb ruhig. Kurze Zeit später gab es noch ein Solidaritätsfest für Flüchtlinge, das der Landrat kurzfristig besuchte. Ein paar Tage später kam ein dritter Brief, in dem der Absender genau beschrieb, wie Pipa bei diesem Solidaritätsfest aus dem Auto gestiegen war, mit wem er gesprochen hatte. Dazu der Hinweis: „Wir sind Dir auf den Fersen. Wir wissen, wo Du Dich aufhältst.“
Pipa ist ein Vollblutpolitiker, mischt seit bald 30 Jahren in der Lokal- und Landespolitik mit. Jedes Wochenende hat er mindestens 20 Termine, er braucht den Kontakt zum Volk, spürt die Anerkennung. „Ich bin ein Meister im Verdrängen“, sagt er. Die Angst kann er abschütteln. Er weiß, dass die Polizei nachts zweimal an seinem Haus vorbeifährt und schaut, ob alles in Ordnung ist. Aber seine Frau und seine Kinder haben schon mal vorsichtig gefragt: Ob es denn jetzt nicht Zeit für ihn sei, mit der Politik aufzuhören? Ob diese Arbeit die vielen Anfeindungen wert ist?
Wie Pipa sehen sich in diesen Wochen viele Kommunalpolitiker Angriffen ausgesetzt. Der Fall der später siegreichen Oberbürgermeisterkandidatin in Köln, die am Sonnabend Opfer eines Messerattentates wurde, ist der traurige Höhepunkt einer Serie von Beschimpfungen und Anfeindungen. Es sind Landräte, Oberbürgermeister und Bürgermeister, die erheblichen Druck spüren – und der ist nun, da die Kommunen Unterkünfte für Flüchtlinge organisieren und bereitstellen müssen, noch viel stärker geworden.
Mit dem Thema Zuwanderung allerdings wird nur besonders deutlich, was sich vorher schon verändert hat: Die politische Kultur in den Städten und Gemeinden ist ruppiger geworden, die Aggressivität hat zugenommen. Das stellt auch Heiger Scholz fest, Hauptgeschäftsführer des niedersächsischen Städtetages: „Die Leute sind immer weniger bereit, einen Kompromiss als Lösung von Problemen zu akzeptieren. Sie wollen ihre Meinung durchsetzen – ohne jede Einschränkung. Und sie erwarten von den Politikern, dass diese ihnen ihre Sorgen abnehmen.“
Da kommt es dann vor, wie im oberbayerischen Burghausen, dass der Landrat in einer Diskussion über eine Klinikschließung niedergebrüllt wird. Im schleswig-holsteinischen Ratzeburg gab es vor Jahren Morddrohungen gegen den Bürgermeister, die an Hauswände geschmiert wurden. Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung wurde schon vor einigen Monaten bedroht – und jetzt wieder. „Wir kriegen Dich“, schrieben Unbekannte auf einen Container – daneben malten sie einen Galgen. Magdeburgs Oberbürgermeister Lutz Trümper konnte seinen Wahlkampf nur unter Polizeischutz fortsetzen, weil er drei Drohbriefe erhielt.
In den meisten Fällen demonstrieren die Politiker Stärke, zeigen sich – zumindest nach außen – unerschütterlich. Es gibt aber auch andere Beispiele. Als sein Wohnhaus wiederholt Ziel von Demonstrationen von Flüchtlingsgegnern wurde, warf im Frühjahr der ehrenamtliche Bürgermeister von Tröglitz in Sachsen-Anhalt das Handtuch. Er fühlte sich von den Behörden nicht mehr genügend geschützt, und allein wollte er sich den Hetzern nicht mehr entgegenstellen. Auch Ralph Schönenborn, Bezirksbürgermeister von Reutlingen-Oferdingen in Baden-Württemberg, trat vor wenigen Tagen zurück. Im Streit um eine Unterkunft von Flüchtlingen in Containern war er heftig angegangen und mit Rücktrittsforderungen konfrontiert worden. Auf die Frage, was in seinem Ort los sei, lehnt Schönenborn jeden Kommentar ab: „Ich sage nichts mehr dazu. Ich will doch weiter hier leben.“
Bei Klaus-Peter Hanke, Oberbürgermeister von Pirna in Sachsen, rief eines Abends ein Mann dreimal zuhause an und forderte: „Halt Dich raus aus dem Asylscheiß!“. Zeitgleich wurde an seinem Garagentor ein dickes Schloss befestigt. Hanke ist betroffen: „Das Eindringen in die Privatsphäre ist etwas Neues.“ Das liegt Monate zurück, und bisher sind alle Flüchtlinge in Pirna auch in Wohnungen untergebracht worden. Die Sammelunterkünfte, oft Auslöser heftigen Streits, konnten in der sächsischen Stadt bisher vermieden werden. „Solange das so ist, bleiben solche Anfeindungen sicher die Ausnahme“, sagt Hanke, ganz Optimist.
Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) teilt die Zuversicht nicht. Er spürt, dass die Feindseligkeiten immer hasserfüllter, immer menschenverachtender werden – auch im Netz, wo sich viele Absender hinter der Anonymität verstecken. Die Gesellschaft sei immer stärker polarisiert, das könne man auch in der Thüringer Landeshauptstadt Erfurt erleben: Regelmäßig ruft die AfD, die selbst im Landtag sitzt, zu Kundgebungen auf. Die Sprüche der Redner erinnerten nicht nur an Nazi-Jargon („Wollt ihr den totalen Multi-Kulti?“, „1000 Jahre glückliche Zukunft“), immer öfter werde auch der Landtag frontal angegriffen – ganz so, meint Ramelow, wie die NSDAP früher die Parlamente als „Quasselbuden“ verunglimpft hatte.
Ramelow bemerkt, wie der Riss durch die Gesellschaft immer tiefer wird: Hier diejenigen, die sich um die Integration der Flüchtlinge kümmern – dort die anderen, die Ängste schüren. Beide Seiten kämen nicht mehr miteinander ins Gespräch, und rechtsextreme Rattenfänger verstünden es, die Menschen auf ihre Seite zu ziehen – indem sie Stimmung machen. „Viele Leute sind dafür empfänglich. Sie leben im Stress. Sie haben Sorgen, weil sie nicht wissen, ob irgendwann die Flüchtlinge auch in ihrem Haus einquartiert werden“, sagt Ramelow. Diese Bedenken seien verständlich, wenn auch unbegründet – und die Fremdenfeinde nutzten das gnadenlos aus.
„Die Mehrheit denkt anders“
„Es geht nicht spurlos an einem vorbei, wenn man immer wieder Hasstiraden abbekommt“, räumt Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD, Bild) ein. „Auf der anderen Seite bestärkt es mich darin, noch klarer und noch deutlicher Haltung zu zeigen.“ Gestern tauchte in der Innenstadt auf einem Baucontainer ein Graffito auf. Es zeigt einen Galgen, daneben steht „OB Jung wir kriegen dich“. Bereits Anfang des Jahres stand er mehrere Wochen lang unter Polizeischutz, nachdem er massiven Bedrohungen ausgesetzt war. In der vergangenen Woche gab es wieder drei Morddrohungen in sozialen Netzwerken gegen ihn. Doch einschüchtern lassen will er sich nicht.
Jeder müsse an seinem Platz Farbe bekennen. „Wir brauchen einen Aufstand der Anständigen“, sagt Jung. Seit 2006 ist der 57-Jährige Leipzigs OB. „Es war neun Jahre lang kein Problem, ohne Angst durch meine Stadt zu laufen“, sagt er. Das habe sich seit dem Aufkommen von Legida, dem aggressiven Ableger der Dresdner Pegida-Bewegung, geändert. Auf den Kundgebungen der Rechtspopulisten wird er als Volksverräter beschimpft. Menschen, die sich für Flüchtlinge einsetzen, schlage hemmungsloser Hass entgegen, Asylbewerberheime brennen. „Das ist eine Pogrom-Stimmung, die an die Zeit Anfang des Dritten Reiches erinnert.“ Er sei jedoch überzeugt, dass die Mehrheit der Menschen nicht so denke.
Auch Peter Lames (SPD), Dresdens Bürgermeister für Verwaltung und Schulen, sieht die Entwicklung bei Pegida mit Sorge. Regelmäßig werde dort eine Geringschätzung von Politikern zum Ausdruck gebracht: „Das kann die Hemmschwelle bei manchen senken.“ Auch er will davor aber nicht zurückweichen. Es gebe immer ein Risiko, erklärt Lames. „Aber wer sich öffentlich engagiert, muss dieses Risiko auch tragen.“