Verfassungsschutz-Chef von Sachsen über Pegida "Terroristische Strukturen gibt es noch nicht"

Erstveröffentlicht: 
20.10.2015

Gordian Meyer-Plath, Chef des Verfassungsschutzes Sachsen, über die Gefahren durch Pegida und andere rechtsextremistische Parteien und Organisationen.

 

Herr Mayer-Plath, 20 000 Anhänger von Pegida haben am Montag in Dresden rechte Hassparolen gebrüllt. Pegida-Chef Lutz Bachmann hat im vergangenen Jahr Flüchtlinge als „Viehzeug“ verunglimpft und ist nun angeklagt wegen des Verdachts auf Volksverhetzung. Sieht der Verfassungsschutz eine extremistische Gefahr?


 Die Veranstaltung am Montag hat gezeigt, dass die überwiegende Mehrzahl der Versammlungsteilnehmer nach wie vor nicht dem extremistischen Spektrum zuzuordnen ist. Dennoch wurde abermals deutlich, dass auf diesen Veranstaltungen eine stark emotionale Grundstimmung herrscht. Diese verleitet einzelne Redner und Teilnehmer seit einiger Zeit zu zunehmenden verbalen Ausfällen, die teilweise nicht mehr vom Recht auf Meinungsfreiheit gedeckt sind. So wurde durch Redner bei Pegida-Veranstaltungen in den letzten Wochen wiederholt auf Vokabular zurückgegriffen, dass eine hohe Anschlussfähigkeit in Richtung rechtsextremistischer Szene aufweist. Zu nennen wäre hier der Begriff „Umvolkung“ oder auch die Darstellung von Asylbewerbern als „Invasoren“.

 

   Außerdem ist auffällig, dass seit Ende September immer wieder der vorgeblich nach dem Grundgesetz legitimierte Widerstand nach Artikel 20 Absatz 4 in Reden beworben und vor dem Hintergrund des aktuellen Handelns der derzeitigen Bundesregierung in der Flüchtlingsfrage als begründet dargestellt wird.

 

   Pegida bot in dieser Hinsicht am Montag ein Forum für Äußerungen. Es wird in den kommenden Tagen darauf ankommen, wie die Organisatoren von Pegida darauf reagieren. Bisher wurden die Redeinhalte vom 19. Oktober 2015 mutmaßlich durch einen Organisator ungekürzt und unkommentiert im Internet verbreitet.

 

Wie stark ist der Einfluss von Rechtsextremisten bei anderen „Gida“-Gruppierungen in Sachsen?


 Einen generellen Einfluss auf die Gida-Bewegung in Sachsen gibt es aktuell nicht. Allerdings gab es in der Vergangenheit Fälle von Gida-Ablegern, die unter rechtsextremistischen Einfluss geraten sind, so wenn beispielsweis die Organisatoren es zuließen, dass die rechtsextremistische Band  „A3stus“ auftreten konnte.

 

 Die sächsische NPD kommt in Umfragen wieder auf fünf Prozent. Wovon profitiert die Partei?


 Die NPD versuchte 2014 und 2015 erfolglos die Pegida-Bewegung in ihrem Sinne zu beeinflussen. Davon unabhängig war sie konstant darum bemüht, sich dem gemeinen Bürger in der Asylfrage als „Kümmerer“ für die Angelegenheiten des „Kleinen Mannes“ zu präsentieren. Im Rahmen der Asyldiskussion führte die NPD auch 2015 insbesondere in ihren Kerngebieten wie der Sächsischen Schweiz  eigene Anti-Asyl-Veranstaltungen mit zum Teil hohen Teilnehmerzahlen durch. Diese Veranstaltungen zeigen erneut, dass das Themenfeld Anti-Asyl der NPD Anschlussmöglichkeiten zu nichtextremistischen Bürgern eröffnet.

Darüber hinaus ist allerdings zu bedenken, dass das in Umfragen vorgetragene vorgebliche Bekenntnis zur Wahl der NPD auch Ausdruck von Protest gegen das aktuelle Handeln politischer Entscheidungsträger und staatlicher Institutionen sein kann.

 

 Welche Rolle spielen die NPD, die konkurrierenden Kleinparteien „Die Rechte“ und „Der Dritte Weg“ sowie nicht organisierte Neonazis bei den Protesten gegen Flüchtlinge? Und bei den Brandanschlägen auf Unterkünfte?


 Die Parteien „Die Rechte“ und „Der Dritte Weg“ führen in Sachsen eigene Anti-Asyl-Veranstaltungen durch. Meist handelt es sich um kleinere Demonstrationen oder Aktionen, die bisher keine überregionale Wirkung entfalten konnten. Angehörige dieser Parteien wie auch parteiungebundene Rechtsextremisten sind seit jeher auch als Teilnehmer asylkritischer Veranstaltungen festzustellen. Angehörige der parteiungebundenen rechtsextremistischen Szene fielen in 2015 vereinzelt als Täter bei Übergriffen auf Asylbewerber und deren Einrichtungen auf. Kam es bei öffentlichen Veranstaltungen mit Bezug zur aktuellen Asyldebatte zu Ausschreitungen und Übergriffen gegen politische Gegner oder Asylbewerben, so gingen diese Gewalttaten wiederholt auch von parteiungebundenen Rechtsextremisten aus.

 

 Wie groß ist das Risiko, dass aus der Anti-Asyl-Agitation auf der Straße und im Internet ein Terrorismus nach dem Muster des NSU erwächst?


 Die Sicherheitsbehörden beobachten die Entwicklung mit großem Nachdruck und hoher Sensibilität. Derzeit sind keine terroristischen Strukturen erkennbar. Allerdings kann eine Entwicklung nicht ausgeschlossen werden, die mit systematischem Gewalthandeln gegen Personen und Sachen versucht, Flüchtlinge einzuschüchtern und Politiker in ihren Entscheidungen zu beeinflussen. Ebenso kann das Handeln eines fanatisierten Einzeltäters nicht ausgeschlossen werden, der sich über das Internet und im „stillen Kämmerlein“ radikalisiert, enthemmt und mit einer einzelnen Tat ein „Fanal“ setzen will.

 

Gordian Meyer-Plath ist 47 Jahre alt und seit August 2013 Präsident des Landesamtes für Verfassungsschutz Sachsen. Das Interview führte Frank Jansen.