Hunderte Menschen haben gestern die Zufahrt zum geplanten Asylheim vorübergehend versperrt. Die Polizei war mit einem Großaufgebot vor Ort.
Einsiedel gestern Abend - ein Ort im Ausnahmezustand. Ein Hubschrauber der Polizei kreist minutenlang über dem Stadtteil, Beamte richten Kontrollen an den Zufahrtsstraßen ein. Immer mehr Menschen strömen zu jener Straße, die die Zufahrt zum einstigen Pionierlager bildet. Innerhalb kurzer Zeit sind es mehrere Hundert, die sich dort versammelt haben. Das Ziel der meisten: Gemeinsam verhindern, dass eine geplante Notunterkunft für knapp 550 Asylbewerber in Betrieb geht.
Wie ein Lauffeuer hatte sich in den Stunden zuvor im Internet die Nachricht verbreitet, Busse mit Flüchtlingen seien bereits auf dem Weg nach Einsiedel. In die Welt gesetzt am Nachmittag unter anderem auf der Facebook-Seite von Pegida Chemnitz-Erzgebirge. "So wie wir gerade erfahren haben sind die Busse mit den Invasoren jetzt unterwegs nach Einsiedel", hieß es dort im Pegida-Jargon - wie üblich ohne jede Quellenangabe.
Die Meldung blieb nicht ohne Wirkung: Wie eine Polizeisprecherin am Abend bestätigte, wurde die Straße zum Pionierlager schon wenig später mit mehreren Lastwagen für einige Zeit blockiert. Auch ein Einsatzfahrzeug der Polizei sei nicht durchgelassen worden. Später wurde die Straße wieder freigemacht, Autofahrer durften sich ungehindert einen Weg durch die Menschenmenge bahnen.
"Bleibt friedlich", appellierte eine führende Pegida-Aktivistin übers Megafon an die Versammelten - darunter Eltern mit Kindern, junge Männer in Hooligan-Shirts, ältere Einwohner. Derweil zog die Polizei immer mehr Einsatzkräfte zusammen. Zeitweilig wurde erwogen, die Räumung des Platzes anzuordnen. Die Versammlung sei nicht angemeldet, hieß es; zudem bestehe Gefahr, dass Rettungsfahrzeuge nicht durchkommen. Gespräche mit Vertretern des Ortschaftsrates blieben jedoch ohne Ergebnis. Dem Vernehmen nach hatten sie es abgelehnt, die Versammelten aufzufordern, nach Hause zu gehen. Gegen 22 Uhr, als sich der Platz mehr und mehr leerte, zog auch die Polizei ihre Einsatzkräfte ab. Nach erster Bilanz ohne eine einzige Anzeige. Alles sei friedlich geblieben, hieß es.
Das Gerücht, das den Auflauf ausgelöst hatte, war nicht das erste dieser Art. Bereits für vergangenen Freitag hatten Heimgegner die bevorstehende Ankunft erster Flüchtlinge vorausgesagt. Ein Sprecher der für die Unterbringung zuständigen Landesdirektion nannte dies gestern "sehr unwahrscheinlich". Bislang gebe es noch gar keinen Betreiber für die Anlage.
Pegida marschiert nicht -Zwei weitere Notunterkünfte geplant
Die Sympathisanten der Pegida-Bewegung mussten gestern auf ihren Marsch durch die Innenstadt verzichten. Grund dafür war, dass zu viele Polizeikräfte in Einsiedel gebraucht wurden, sagte ein Polizeisprecher. Die Entscheidung sei in Absprache mit den Pegida-Organisatoren, den Veranstaltern der Gegendemonstration vom Bündnis Chemnitz Nazifrei und der Versammlungsbehörde getroffen worden. So blieb es bei einer Kundgebung neben dem Marx-Monument mit mehreren Hundert Teilnehmern. Hauptredner war der Münchner Rechtspopulist Michael Stürzenberger. Er sagte, mit Flüchtlingen kämen Massenvergewaltigungen und "Terroranschläge im Minutentakt" ins Land. Nach der Kundgebung standen sich beide Lager gegenüber. Laut Polizei gab es Provokationen, aber die Lage blieb ruhig.
Zwei weitere Notunterkünfte für Flüchtlinge will der Freistaat in den Stadtteilen Kaßberg und Bernsdorf einrichten. Am Stephanplatz soll ein Gebäude Wohnheim für Asylbewerber werden, in Bernsdorf ein ehemaliges Studentenwohnheim am Thüringer Weg. Derzeit installiere man in beiden Gebäuden noch die Duschen, hieß es gestern aus der Landesdirektion Sachsen.