"Es ist nicht Aufgabe der Kirche, die Welt zu retten"

Erstveröffentlicht: 
22.08.2015

Neuer Landesbischof Carsten Rentzing über Umgang mit Flüchtlingen und Mitgliederschwund

 

Dresden. Am 29. August wird Carsten Rentzing (47) in der Dresdner Kreuzkirche als neuer Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens eingeführt. Im Interview spricht der promovierte Theologe über die Kontroverse um homosexuelle Pfarrer in Sachsen, den Umgang mit Flüchtlingen und darüber, wie er den Mitgliederschwund der Kirche stoppen möchte.

Einige Synodale hätten Ihre Wahl zum Landesbischof gern um jeden Preis verhindert. Wie wollen Sie diese Teile der Landeskirche jetzt gewinnen?

 
Ich werde das Gespräch mit ihnen suchen. Wir sind alle nicht unfehlbar. Deshalb sollten wir gemeinsam auf der Suche nach der Wahrheit bleiben. Dazu bin ich bereit.


Sie sind nicht zu beneiden. Gehen Sie zu sehr auf den liberalen Flügel der Kirche zu, drohen Sie die Teile zu verlieren, die Sie gewählt haben, etwa die Anhänger der Sächsischen Bekenntnisinitiative. Bleiben Sie bei Ihren theologisch konservativen Ansichten, könnte es schnell heißen: Also doch nur ein Bischof der einen Seite...

 
Ich werde von allen Seiten Schläge kriegen. Darauf bin ich emotional vorbereitet. Als Landesbischof kann man nicht nur die theologischen Interessen einzelner Gruppen vertreten. Ich trete nachdrücklich für den Gewissensschutz und die Gewissensfreiheit ein. Das habe ich während der Debatte um die Öffnung des Pfarrhauses für gleichgeschlechtliche Partnerschaften getan und das werde ich künftig tun.


Was ist verkehrt daran, wenn ein schwuler Pfarrer oder eine lesbische Pfarrerin mit ihrem Lebenspartner im Pfarrhaus zusammenleben möchten?

 
Zunächst möchte ich klarstellen, dass ich mich schützend vor alle homosexuell lebenden Menschen stellen werde, die für sich entscheiden, mit ihrem Partner zusammenzuleben und dies vor Gott verantworten. Auch hier gilt der evangelische Grundsatz der Gewissensfreiheit. Niemand hat das Recht, diese Menschen moralisch zu diskreditieren! Die theologischen Fragen, die die Kirche vor dem Hintergrund der Aussagen der Heiligen Schrift zu stellen hat, bleiben aber. Ein solches Zusammenleben in Pfarrhäusern könnte das Signal setzen, dass diese Partnerschaften aus Gottes Sicht in Ordnung sind. Meines Erachtens würde die Kirche damit die Grenze dessen, was sie zu diesem Thema sagen kann, weit überschreiten. Pfarrerinnen und Pfarrer sind keine reinen Privatpersonen. Sie stehen auch mit ihrem Leben für die Verkündigung der Kirche.


Sie bleiben also bei Ihrer Ablehnung...

 
Aus den genannten theologischen Gründen, ja! Wir haben in der Landeskirche aber eine Regelung gefunden, wonach ein Zusammenleben in seelsorgerlich begründeten Einzelfällen und in Rücksprache mit dem Kirchenvorstand und dem Superintendenten möglich ist. Dazu stehe ich.


Ist Kirche für Außenstehende attraktiver, wenn sie klare Kante zeigt?


Natürlich. Man kann anderen den christlichen Glauben nicht näherbringen, wenn man profillos bleibt. Wir müssen Zeugnis davon geben, wie uns der Glaube an den liebenden, auferstandenen Christus in unserem Leben trägt.


Aber vielen Nichtchristen fehlt ohne den Glauben gar nichts.


Es gibt eine Untersuchung, die im Vorfeld einer ProChrist-Evangelisation gemacht wurde. Die Macher hatten den Eindruck, es sei unangemessen, einfach nur zu fragen: Glauben Sie an Gott? Denn gerade hier im Osten würden die meisten darauf sofort mit Nein antworten. Also entschlossen sie sich, Passanten in der Stuttgarter und der Leipziger Innenstadt zu fragen, ob sie Zeit hätten für ein Gespräch über Gott und die Welt. Danach fragte man sie, ob sie sich in irgendeiner Weise als gläubig einschätzen würden. Das überraschende Ergebnis: In beiden Städten meinten 99 Prozent: An irgendetwas Höheres glauben wir auch. Das sollte uns nachdenklich stimmen.


Ein Thema, das gegenwärtig bewegt, ist der Umgang mit Flüchtlingen. Sachsen steht dabei durch Pegida, Proteste und Angriffe auf Asylbewerberheime stark im Blickpunkt.


In der Frage, wie wir mit Asylanten umgehen und Flüchtlingsströme kanalisieren, kann man unterschiedlicher Auffassung sein. Allerdings darf die Würde anderer nicht verletzt werden. Kirche muss nicht die Frage beantworten, ob es sich um "echte" oder "falsche" Flüchtlinge handelt, um Christen oder Muslime. Wie sollte ich meinem Herrn gegenübertreten, wenn er mich dereinst fragte: Warum hast du diesen aufgenommen und jenen nicht? In der Bibel sehe ich keine Stelle, die mir das erlaubte - wenngleich wir nicht vergessen dürfen, dass Christen die am meisten verfolgte Religionsgemeinschaft weltweit sind.


Zurück zur sächsischen Landeskirche: Hatte sie 1995 noch über eine Million Mitglieder, sind es gegenwärtig gerade noch gut 700000. Wie wollen Sie als Landesbischof diesen Trend stoppen?


Das kann nicht der Landesbischof. Das kann nur der Herr der Geschichte. Was wir erleben, ist eine dramatische Veränderung bei der Bevölkerungsentwicklung. Es gibt kein Patentrezept, diesen Trend zu stoppen. Glaube ist nichts, was man per Knopfdruck an- oder ausschalten könnte. Gott schenkt Zeiten, in denen Menschen zum Glauben kommen - einzelne, wie wir es heute erleben, manchmal auch ganze Gruppen und Völker. Das halte ich für möglich. Unsere Aufgabe als Kirche ist es nicht, die Welt zu retten, sondern das Evangelium zu verkünden mit den Mitteln, die wir haben.


Interview: Matthias Pankau