VS ♥ AfD: Der Fall Hendrik Seidel

Hendrik Seidel

Ein mittelsächsischer AfD-Rechtsaußen arbeitet „mit Schwerpunkt Extremismus“ für Sachsens Innenministerium, wohl als Geheimdienstler. Der Fall wirft viele Fragen auf.

 

Die Liste

 

Vor einem Jahr sind Mitgliederdaten der Alternative für Deutschland (AfD) im Internet aufgetaucht. Für die Partei kam das denkbar ungelegen, denn in ihren Reihen fanden sich einschlägige Neonazis. Bisher hatte man das ab sofort Unbestreitbare brüsk zurückgewiesen. Erbeutet wurden die augenscheinlich ebenso schlecht geschützten wie kompromittierenden Informationen durch österreichische „Anonymous“-AktivistInnen, verteilt per Twitter. Alle, die das nicht mitbekamen, konnten die Details der Tagespresse entnehmen.

 

In der Neuländer Straße in Dresden nahm man weder das eine, noch das andere genauer zur Kenntnis. Dort ist der Hauptsitz des Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) Sachsen, das der AfD über alle Niederungen und Gliederungen, vor allem den Rechtsaußenflügel „Patriotische Plattform“ hinweg bescheinigt, „nicht extremistisch“ zu sein.

 

Nach der Veröffentlichung der Mitgliederdaten schritt das LfV, immerhin Geheimdienst, dann doch ein, wenn auch auf eine Weise, die leicht befremdlich rüberkommt: Einer der Geheimen diktierte der rechten Wochenzeitung „Junge Freiheit“ in den Block, „die Antifa“ und „militante Anhänger der linken Szene“ würden nunmehr Hatz auf AfD-Mitglieder machen. Die Behauptung war schon damals dürftig.

 

Inzwischen hat man in der Neuländer Straße ganz die Übersicht verloren. Im aktuellen Verfassungsschutzbericht für 2014 steht zu lesen, dass die Veröffentlichung der Mitgliederdaten eine „linksextremistische“ Outing-Kampagne gewesen sei. Es bleibt vermutlich eine dieser berüchtigten Geheimsachen, ob im Amt jemals die bedeutsame Frage gestellt wurde, ob man das den MacherInnen von „Anonymous Austria“ nachsagen kann. Deren Twitter-Mitteilungen ließen es an Analysematerial ermangeln, sie bestanden überwiegend aus dem Wort „Penis“.

 

Überliefert ist nunmehr aber die schräge Schlussfolgerung des Amtes im eigenen Jahresbericht, man habe es bei der Veröffentlichung der Daten mit einem „Teil des Kampfes“ zu tun, „bei dem eine demokratisch gewählte Partei in ihrer politischen Betätigung behindert werden soll.“ Das ist eine falsche Tatsachenbehauptung.

 

Der Mann

 

So etwas soll Hendrik Seidel nicht unterstellt werden. Der 48-Jährige wäre im vergangenen Jahr gern für die AfD in den Sächsischen Landtag eingezogen und warb für sich unter Delegierten mit einem ausführlichen Lebenslauf. Demnach wurde er 1994, „nach einem langwierigen Auswahlverfahren“, ins sächsische Innenministerium geholt und war wenig später Verwaltungsbeamter. Als solcher habe er „mehrere Aufgaben in Bezug auf Innere Sicherheit mit Schwerpunkt Extremismus” und verfasse „entsprechende Analysen“.

 

Die dem Innenministerium nachgeordnete Behörde, die genau dafür zuständig ist, sitzt in der Neuländer Straße in Dresden. Es ist das LfV. Für diesen Schluss spricht auch die Originaldatei, in der Seidel seine parteiinternen Ambitionen erläutert. In den Metadaten ist als Urheber eingetragen: „lfv23011“. Seidels Selbst-Outing, sofern er das nicht bis in solche Details hinein fingiert hat, dürfte mit den Regularien einer vor allem in Personalfragen um strikte Abschottung bemühten Behörde schwer zu vereinbaren sein.

 

Seidel wäre demnach in den Dienst gekommen zu einer Zeit, in der man jeden und jede aufnahm, solange man nicht im Sold der vormaligen Konkurrenz, dem Ministerium für Staatssicherheit, stand. So und noch drastischer rapportierte es ein Zeuge, der das LfV mit aufgebaut hatte, im sächsischen NSU-Untersuchungsausschuss.

 

Seidel ist gelernter Instandhaltungsmechaniker. Bei der AfD-Basis warb er wörtlich mit seiner „Erfahrung im innerbehördlichen Ablauf“ und dass er „aussagefähig zur Sicherheitsarchitektur in Sachsen“ sei. Die Seidelsche Expertise floss dann tatsächlich ein in die „Arbeitsgemeinschaft innere Sicherheit“, die mit Vorarbeiten für das profiliert rechte Programm befasst war, mit dem die Partei später in den Landtagswahlkampf zog. Ein Ergebnis waren sogenannte Programm-Thesen, die für eine harte Law-and-Order-Linie plädieren. Seidel schrieb daran federführend mit.

 

Man weiß das, weil „Anonymous Österreich“ auch dieses Papier geleakt hat. Dem Material zufolge waren zwei Polizeibeamte an der Erarbeitung beteiligt, darunter Sebastian Wippel, der für die AfD in den Landtag einzog. Ein Wort mitreden mochten auch Anhänger der „Patriotischen Plattform“ – Wippel war bei deren Gründung dabei. Die Programm-Thesen erwiesen sich allerdings, einmal an der Öffentlichkeit, als wenig populär. Der Vorstand des Vereins Leipziger Strafverteidiger verwarf sie als „massiven Angriff auf den Rechtsstaat“.

 

Auch das LfV kommentierte den Vorgang. So zitierte Radio Mephisto einen Behördensprecher mit der Einschätzung, die vorliegenden Schriften seien in Teilen verfassungsfeindlich. Für die AfD hatte das keine erkennbaren Folgen. Schon vorher, bei ihrem vierten Landesparteitag im Zentralgasthof Weinböhla, war Seidel bei der Aufstellung der Listenplätze durchgerasselt.

 

Die Partei

 

Damals und heute ist der außerhalb der Parteiöffentlichkeit wenig präsente Seidel stellvertretender Vorsitzender des AfD-Kreisverbandes Mittelsachsen. Er lässt sich auf deren Website zitieren mit dem wuchtigen Satz: „Die Medien sind gleichgeschaltet und lassen keine objektive Betrachtung mehr zu“. Derselbe Satz stand in Seidels Bewerbungsschreiben als Landtagskandidat. Man weiß nicht, ob er den Begriff der Gleichschaltung erklären kann und insoweit wissen muss, dass der gewählte Anwendungsfall den Nationalsozialismus verharmlost. Man weiß nun immerhin, dass Leute, die das nicht auslassen, im Freistaat Sachsen über die „Innere Sicherheit mit Schwerpunkt Extremismus“ wachen. Bisher war das nur so eine Befürchtung.

 

Und damit wird die Personalie problematisch. Der Verband, dem Seidel vorsteht, war in der Vergangenheit nämlich aufgefallen durch Veranstaltungen, zu denen Referenten wie der „Junge Freiheit“-Autor Ronald Gläser und der „eigentümlich frei“-Schreiber Michael Klonovsky angekündigt wurden. Der zweite machte sich um die Verbreitung des extrem rechten Kampfbegriffs „political correctness“ verdient.

 

Anfang 2014 stand zudem eine Veranstaltung des Kreisverbandes mit Felix Menzel auf dem Plan. Der Chemnitzer, der inzwischen das „Identitäre Zentrum“ in Dresden hochzog und aktuell – als temporärer „Einwanderer“ von Irland aus – ein Portal namens „Einwanderungskritik“ betreibt, gilt als ein führender Kopf der Neuen Rechten. Menzel ist nicht wählerisch, er ließ sich auch schon von der NPD buchen und publiziert gemeinsam mit Neonazis. Seine „Pennale Burschenschaft Theodor Körner zu Chemnitz“ stand zwei Jahre lang unter diekter Beobachtung des LfV.

 

Das sagt über Seidel noch nicht viel, aber das kann er sowieso viel besser. Besonders aussagekräftig ist sein privates Facebook-Profil. Dort teilte er beispielsweise Inhalte der extrem rechten „Bürgerinitiative Gohlis sagt Nein“ und kommentierte sie mit Worten wie „Weiterso!“ (sic) und „sehr gut“. Jene „Bürgerinitiative“ ist aber nichts anderes als ein Tarn- und Vorfeldverein der NPD. Selbst das LfV Sachsen hat inzwischen darauf hingewiesen.

 

Seidel machte sich darüber hinaus Inhalte des österreichischen Rechtspopulisten Hans-Christian Strache zueigen. So teilte er einen „Leserbrief“, auf den der frühere Neonazi und heutige FPÖ-Politiker hingewiesen hatte. In dem Text werden Türkinnen und Türken herabgewürdigt: „Für unsere landschaftliche Schönheit habt ihr kein Auge, für unsere Kultur habt ihr keinen Sinn.“ Der Text endet mit folgender Frage: „Was für ein Volk seid ihr eigentlich?“ Seidel zitiert das und findet, der Schreiber habe das ganz gut „auf den Punkt gebracht.“

 

Dem Augustusburger haben es auch Beiträge des verschwörungsideologischen und nationalistischen Compact-Magazins angetan. Anlässlich der Proteste gegen eine Compact-Konferenz Ende 2013 in Schkeuditz behauptete er ganz freihändig, die Linksjugend agiere „extremistisch“. So weit geht nicht einmal das LfV.

 

Das Amt

 

Seidel hat bei der AfD die Mitgliedsnummer 12352. Das steht in den Datensätzen, die seit einem Jahr bekannt sind und deren Veröffentlichung das LfV mithilfe einer falschen Tatsachenbehauptung den üblichen „Linksextremen“ in die Schuhe schieben will. Das ist peinlich, unter Umständen aber auch verständlich: Einem Nachrichtendienst müsste es besonders unangenehm sein, wenn absehbar wäre, dass sich unter den Mitgliederdaten anderer auch eigene Mitarbeiter finden könnten. Und dann ausgerechnet so einer wie Seidel.

 

Zu solchen bisweilen spekulativen Zusammenhängen mochte sich das Innenministerium nicht äußern. Anlässlich einer Landtagsanfrage wurde bereits vor einiger Zeit ganz allgemein mitgeteilt, dass keine dahingehende „Gefährdungsanalyse“ erstellt wurde. Das heißt nicht, dass man ein Risiko nicht kommen sah – und deswegen an der extremismustheoretisch gesättigten Kriminalisierung der Leaks ein ebenso großes Interesse entwickelte wie die AfD.

 

Dass Seidel der AfD angehört und welche Rolle er dort spielt, ist dem Amt so oder so bekannt – trotz dass es die Partei nicht beobachtet und die Veröffentlichung der Mitgliederlisten im engsten Sinne nicht versteht. Denn aus der Neuländer Straße heraus hat man die obskuren Programmthesen kommentiert, an denen Seidel mitgewirkt hatte. Sein Name steht auf dem Deckblatt. Überbewerten muss man das nicht: In Sachsen schießt sich das LfV seit Jahren selbst sturmreif. Ein Hendrik Seidel mehr oder weniger fällt nicht mehr ins Gewicht.


Text zugesandt von: AG Innere Unruhe.