Dieser Artikel betrachtet die Entwicklungen in der ukrainischen rechtsradikalen Szene nach der Revolution, die im Winter 2014 den damaligen Präsidenten Wiktor Janukowitsch aus dem Amt entfernte. Der Autor diskutiert die Gründe für die Wahlniederlage der beiden rechtsradikalen Parteien, die an den jüngsten Präsidentschafts- und Parlamentswahlen teilgenommen haben, und stellt fest, dass diese Niederlagen nicht das »Ende der Geschichte« der ukrainischen Rechtsradikalen markieren. Im Gegenteil: Einige andere rechtsradikale Organisationen, die in der Vergangenheit in großem Stil in illegale Aktivitäten und Korruption verwickelt waren, haben in ihrem Kampf gegen eine liberale Demokratie in der Ukraine möglicherweise eine bessere Strategie entdeckt.
Einleitung
Die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in der Ukraine, die im Mai bzw. Oktober 2014 stattgefunden haben, gingen für die beiden parteipolitisch organisierten rechtsradikalen Kräfte desaströs aus. Oleh Tjahnybok, der Anführer der Allukrainischen Union Freiheit (Swoboda), erhielt bei der Präsidentschaftswahl 1,16 Prozent der Stimmen, während seine Partei bei der Parlamentswahl nur 4,71 Prozent holte und damit an der Fünfprozenthürde scheiterte. Zum Vergleich: 2012 hatte Swoboda 10,44 Prozent der Stimmen erhalten und die erste parlamentarische Fraktion einer rechtsradikalen Gruppierung in der Geschichte der Ukraine gebildet.
Dmitro Jarosch, der Anführer des Rechten Sektors, schaffte es bei der Präsidentschaftswahl auf einen Stimmanteil von 0,70 Prozent. 1,80 Prozent der Wähler unterstützten seine Partei bei der Parlamentswahl. Der Rechte Sektor kann allerdings nur vorläufig als rechtsradikale Partei angesehen werden; nationalkonservativ wäre der vielleicht passendere und zugleich ein vorsichtigerer Begriff, denn anders als Swoboda fasst der Rechte Sektor die ukrainische Nation eher mit bürgerlichen als mit ethnischen Begriffen. So bestand Jaroschs Wahlprogramm sogar darauf, dass Menschenwürde und Menschenrechte die grundlegenden Werte einer neuen ukrainischen Verfassung sein sollten.
Schwäche rechtsradikaler Parteien
Tjahnyboks und Jaroschs Misserfolge bei der Präsidentschaftswahl hatten mit ihrer eigenen politischen Beliebtheit allerdings wenig zu tun. Nach der russischen Annexion der Krim und der Invasion in der Ostukraine war das Wahlverhalten der ukrainischen Bevölkerung bei der Präsidentenwahl in hohem Maße taktisch. Die Wähler haben den zum Zeitpunkt der Präsidentschaftswahlen beliebtesten Kandidaten, Petro Poroschenko, unterstützt, weil es ihnen wichtig war, schon im ersten Wahlgang einen neuen Präsidenten zu wählen, damit dieser sich auf die Antiterrorkampagne im Osten des Landes konzentrieren konnte. Diese Einstellung schadete allen anderen Kandidaten, auch Tjahnybok und Jarosch.
Das erfolglose Abschneiden von Swoboda und Rechtem Sektor bei der Parlamentswahl erfordert jedoch eine ausführlichere Erklärung. Natürlich spielte bei der Parlamentswahl auch die taktische Stimmabgabe eine Rolle: Aus den veröffentlichten Meinungsumfragen war nicht absehbar, ob Swoboda die Prozenthürde überwinden würde, und viele Wähler wollten ihre Stimme wohl nicht »verschwenden«. Gleichzeitig war die Beliebtheit des Rechten Sektors so gering, dass einige Meinungsforschungsinstitute ihn nicht einmal in ihrer Umfrage aufführten. Dennoch können taktische Stimmabgaben die Erfolglosigkeit der Rechtsradikalen nicht vollständig erklären.
Warum scheiterten die Rechtsradikalen, vor allem Swoboda, bei der Parlamentswahl? Erstens ist Swobodas Beliebtheit bereits seit Anfang 2013 zurückgegangen, als ihre bisherigen Unterstützer immer unzufriedener mit der parlamentarischen Arbeit der Partei wurden. Zweitens spaltete das Antreten von Swoboda und Rechtem Sektor die nationalistischen Stimmen; Swoboda schadete dies am stärksten, denn einige Unterstützer liefen zum Rechten Sektor über. Drittens war Swobodas Erfolg im Jahr 2012 der Erfolg derjenigen politischen Kraft, die als radikalste Opposition zum damaligen Präsidenten Janukowitsch gesehen wurde. Swoboda war zu weiten Teilen eine »Anti-Janukowitsch-Partei«; mit Janukowitschs Abgang verlor die Partei ihre größte negative Mobilisierungsquelle. Viertens galt Swoboda 2012 auch als fast die einzige patriotische Partei. Da aber die russische Invasion alle demokratischen ukrainischen Parteien zum Gebrauch patriotischer Rhetorik veranlasste, verlor Swoboda das »Monopol« auf Patriotismus. Zusätzlich vergraulten fragwürdiges Verhalten und dubiose Aktivitäten hochrangiger Swoboda-Vertreter im Frühjahr und Sommer 2014 (darunter Minister in Arsenij Jazenjuks provisorischem Kabinett) viele ehemalige Unterstützer.
Der Misserfolg von Swoboda und Rechtem Sektor bei den Wahlen markiert jedoch nicht »das Ende der Geschichte« der ukrainischen Rechtsradikalen. Einige andere Entwicklungen erwiesen sich als deutlich problematischer. Bevor sie diskutiert werden, ist es aber wichtig zu verstehen, wie einige rechtsradikale Gruppen in der Ukraine funktionieren.
Illegale Geschäfte
Seit den 1990er Jahren können rechtsradikale ukrainische Aktivisten – genauso wie Aktivisten anderer politischer Bewegungen – anhand zweier stark verallgemeinerter und sich dennoch mitunter überschneidender Kategorien unterschieden werden: »Romantiker« und »Pragmatiker«. »Romantiker« nehmen ihre politischen Überzeugungen ernst, sind bereit, Zeit und Energie für die Sache zu opfern, und arbeiten ehrenamtlich in Vollzeit für ihre politischen Organisationen. »Pragmatiker« können durchaus auch von echten Überzeugungen für ihre politische Sache motiviert sein, ihre oberste Priorität ist es aber immer, den eigenen Lebensunterhalt zu verdienen.
Der »Romantiker-Pragmatiker«-Doppelcharakter der rechtsradikalen Bewegung bestimmt häufig ihre verborgene Agenda: Werbung und Kampf für eine politische Sache gehen mit Aktivitäten einher, die Geld einbringen, für die Politik aber nicht unbedingt relevant sind. Meist führen »Pragmatiker« die rechtsradikalen Organisationen an und verwandeln sie in Unternehmen mit einer »romantischen « Basis aus niedrig oder überhaupt nicht bezahlten Angestellten oder Praktikanten. In dieser Hinsicht sind rechtsradikale Organisationen wirtschaftliche Projekte, die verschiedene Anstellungsverhältnisse anbieten.
Als politische Parteien bieten rechtsradikale Organisationen hauptsächlich drei Dienstleistungen an. Erstens können mächtigere politische Akteure (in der Regel Amtsinhaber) sie als »Vogelscheuchen« oder Beleg eines »größeren Übels« engagieren, um eine größere Zustimmung für sich zu erreichen, indem sie sich als »kleineres Übel« präsentieren. Zweitens sind rechtsradikale Parteien trotz ihrer sehr begrenzten Erfolgschancen auf jeder Ebene berechtigt, Vertreter in Wahlkommissionen zu entsenden. Dadurch können sie finanzielle Gewinne generieren: entweder indem sie ihren Sitz in der Wahlkommission an Vertreter anderer Parteien abtreten oder indem sie sich zugunsten beliebterer Kandidaten an Wahlbetrug beteiligen. Drittens können mächtigere politische Akteure rechtsradikale Parteien fördern, indem sie beispielsweise verdeckt in deren Kampagnen investieren, um Konkurrenten, vor allem innerhalb des rechten Mainstreams, zu schwächen oder zu unterminieren.
Ins Parlament gewählte oder als Minister an der Regierung beteiligte rechtsradikale Politiker können sich natürlich an den zahlreichen Korruptionsmodellen beteiligen, die auch Vertretern anderer politischer Kräfte zur Verfügung stehen.
Das Spektrum der Dienstleistungen, die die Rechtsradikalen über soziale Organisationen oder Kleinstgruppen anbieten können, ist sogar breiter als das der rechtsradikalen politischen Parteien, wobei ihr Ertrag niedriger ist als der der Parteien. Die meisten Dienstleistungen der Rechtsradikalen können in vier sich wiederum häufig überlappende Kategorien unterteilt werden: »illegale ökonomische Entwicklungen«, »Schutz und Sicherheit«, »Scheinproteste« und »Gewalt«.
Erstens werden rechtsradikale Aktivisten manchmal als starke Männer zur Unterstützung illegaler feindlicher Übernahmen von Unternehmen angeheuert. In der Ukraine finden bisweilen extralegale Neuverteilungen von Gewinn, Eigentum, Geschäften und Reichtümern statt und gesetzliche Regelungen werden vom Recht des Stärkeren verdrängt. Rechtsradikale Aktivisten praktizieren oft Kampfkünste und sind daher nützlich, wenn eingebrochen oder bestimmte Unternehmen bzw. Büros besetztwerden sollen. Meist sind solche Aktivitäten nicht ideologischer Natur. Ideologie kann jedoch durchaus auch ein Mobilisierungsfaktor sein, wenn etwa eine rechtsradikale Gruppe angeheuert wird, um ein Unternehmen von Menschen nichtslawischen Ursprungs vom Markt zu vertreiben. Zur Mobilisierung ihrer Basis für solche Operationen stellen die eine rechtsradikale Gruppe leitenden »Pragmatiker« die Operation etwa als Teil eines »heiligen Rassenkriegs« dar, obwohl die tatsächliche Ursache für die Vertreibung des Unternehmens vom Markt nichts mit Ethnien zu tun hat.
Zweitens können einige rechtsradikalle Gruppen als kriminelle Gangs bezeichnet werden, die Schutzgelderpressung betreiben. Zum einen bieten rechtsradikale Aktivisten an, ein Geschäft gegen eine reale Bedrohung zu schützen, etwa eine illegale Übernahme oder aggressive Wettbewerber. Zum anderen drohen die Rechtsradikalen bei der Schutzgelderpressung, ein Unternehmen anzugreifen, sollte es das Schutzgeld verweigern.
Drittens – dieser Punkt ähnelt der Schutzgelderpressung – organisieren Rechtsradikale zuweilen Proteste gegen politische, soziale oder kulturelle Entwicklungen oder Veranstaltungen oder drohen damit, um Geld für einen Verzicht auf solche Proteste zu erpressen. Immobilienentwickler berücksichtigen beispielsweise nicht immer die Ansichten benachbarter Hausbesitzer; diese organisieren dann schwache Proteste, die von einer rechtsradikalen Gruppe »gekapert« werden. Ein starker begründeter Protest hat durchaus das Potential, ein Bauprojekt zu stoppen und große finanzielle Verlustezu verursachen, so dass Bauunternehmen bereit sein können, rechtsradikalen Gruppen Abfindungen zu zahlen – als Gegenleistung für deren Rückzug aus Protesten. In In ähnlicher Manier kann eine rechtsradikale Gruppe drohen, ein Konzert oder einen »unpatriotischen« Sänger zu blockieren oder eine Veranstaltung sozialer oder kultureller Minderheiten zu stören, um von den Veranstaltern der Veranstaltung Geld zu erpressen.
Viertens können rechtsradikale Aktivisten für Gewaltakte gegen politische Gegner angeheuert werden, ohne dass die Verbindung zum Auftraggeber bekannt wird. Meist sind die Auftraggeber Amtsinhaber, die an der Beendigung von oppositionellen Protesten oder Demonstrationen interessiert sind, die das Potential haben, sie ernsthaft herauszufordern. Die Gewalt findet entweder direkt statt, in Form physischer Angriffe, oder vermittelt. Ist letzteres der Fall, infiltrieren rechtsradikale Aktivisten die Proteste, ohne ihre politische Anbindung und ihre Auftraggeber offenzulegen, und radikalisieren sie so weit, dass eine polizeiliche Aktion gegen den gesamten Protest legitim wird. In der Regel attackieren die rechtsradikalen Aktivisten die Polizei, um so den Einsatz von Gewalt gegen die eigentlichen Protestierenden zu provozieren. Es ist wichtig festzuhalten, dass sämtliche der beschriebenen Aktivitäten weder auf das rechtsradikale Milieu noch auf den ukrainischen Kontext begrenzt sind. Zudem sind nicht notwendig alle rechtsradikalen ukrainischen Parteien und Gruppen an den hier kurz beschriebenen hochgradig illegalen Aktivitäten beteiligt und die rechtsradikalen Aktivisten, die tatsächlich an ihnen beteiligt sind, repräsentieren nicht notwendigerweise Organisationen, die nicht auch genuine politische Ziele haben. Es stimmt, dass es einigen rechtsradikale Organisationen nur darum geht, Geld zu verdienen. In der Regel dient die Geldbeschaffung aber dem Kampf für eine politische Sache.
Rechtsextreme Netzwerke in die Politik
Die jüngsten Entwicklungen in der Ukraine, die vom Aufstieg der ehemals undurchsichtigen Neonaziorganisation Patrioten der Ukraine (PU) unter der Führung von Andriy Biletsky geprägt sind, können aus rein politischer Perspektive betrachtet werden. Sie können jedoch nicht zur Gänze verstanden werden, ohne die oben erwähnten Aktivitäten einiger rechtsextremer Organisationen in der Ukraine zu berücksichtigen.
Die politische Perspektive ist folgende: Wie auch einige andere Anführer der PU hat Biletsky nicht an der Revolution von 2014 teilgenommen, weil er seit Ende 2011 aufgrund einer Anklage wegen versuchten Mordes im Gefängnis saß. Biletsky und seine Verbündeten wurden kurz nach Janukowitschs Amtsenthebung als »politische Gefangene« freigelassen. Später wurde die PU das Herz des Asow-Bataillons, einer vom Innenministerium unter Arsen Awakow geführten Freiwilligenabteilung. Von Beginn an verwendete sie Symbole wie die »Wolfsangel« und die »Schwarze Sonne«, die im Nachkriegseuropa mit Neonazibewegungen assoziiert werden.
Innenminister Awakow, ein Mitglied von Jazenjuks Volksfront-Partei, beförderte seinen Kommandeur Biletsky im August 2014 in den Rang eines polizeilichen Oberstleutnants. Die Volksfront nahm Biletsky außerdem in ihren Rat für Militärfragen auf und plante anscheinend, seine Kandidatur bei der Parlamentswahl offiziell zu unterstützen. Widerstand von Vertretern nationaler Minderheiten und der ukrainischen Expertengemeinschaft zwang die Volksfront jedoch, ihre Entscheidung zu überdenken. Sie unterstützte Biletsky inoffiziell aber weiterhin – besonders Awakow und sein Berater Anton Geraschenko – und Biletsky wurde über ein Kiewer Direktmandat ins Parlament gewählt. Nach den Wahlen ernannte Awakow mit Wadim Trojan einen stellvertretenden Kommandeur des Asow-Bataillons und ein führendes PU-Mitglied zum Polizeichef der Region Kiew.
Die politische Perspektive wirft beunruhigende Fragen auf: Warum haben die Ukrainer einen Neonazi ins Parlament gewählt? Warum hat der Innenminister die Anführer der Neonaziorganisation befördert?
Die erste Frage kann noch innerhalb des politischen Kontexts beantwortet werden. Biletskys neonazistische Ansichten und seine Führungsrolle in der PU spielten keine Rolle für seinen Sieg. Er wurde vor allem aus drei Gründen ins Parlament gewählt: erstens weil er Kommandeur eines Freiwilligenbataillons war, das die Ukraine gegen (pro-)russische Extremisten in der Ostukraine verteidigt hat; zweitens weil er als fast der einzige Vertreter der siegreichen Maidan-Bewegung in diesem Wahlbezirk galt, obwohl er – was in der Öffentlichkeit nicht sehr bekannt war – an der Revolution gar nicht beteiligt war; und drittens weil sein größter Konkurrent ein Vertreter des alten Regimes unter Janukowitsch war.
Der politische Rahmen versagt allerdings, wenn es um eine Erklärung dafür geht, dass der Innenminister die Führung der Patrioten der Ukraine unterstützt hat, denn weder Awakow noch Geraschenko sind Neonazis. Die Erklärung scheint in der Vergangenheit und im düsteren Erbe einer Vetternwirtschaft zu liegen. Awakow, Biletsky und Trojan kommen alle aus der Region Charkiw und kennen sich mindestens seit 2009/10, als Awakow dort noch Gouverneur war. Die PU war in einige illegale Aktivitäten der oben beschriebenen Art verwickelt. 2010 besetzten PU-Aktivisten unter der Führung von Trojan vier Dutzend neue Kioske in Charkiw – laut Medienberichten zugunsten von Andriy Liphansky, der ein Geschäftspartner Awakows war und während Awakows Amtszeit den Medien- und Informationsrat der Region leitete. Aus Medienberichten geht weiterhin hervor, dass Liphansky eine Turnhalle für das Training von PU-Aktivisten anmietete. Diese stellten ihrerseits Personal sowohl für bezahlte Proteste als auch zum Schutz von Demonstrationen des Blocks Timoschenko in Charkiw zur Verfügung, dessen Regionalbüro Awakow leitete, nachdem er als Gouverneur der Region Charkiw entlassen worden war. Außerdem beteiligte sich ein Anführer der Charkiwer Fußball-Hooligans, der der PU nahe stand, an Awakows Wahlkampf um das Bürgermeisteramt.
Hinter der derzeitigen Verquickung führender PU-Politiker mit der ukrainischen Polizei scheint Awakows Vertrauen in die Organisation zu stehen, mit der er in der Vergangenheit zusammengearbeitet hat. Außerdem scheint Awakow an die persönliche Loyalität des PUgeführten Bataillons zu glauben, das er möglicherweise als »Privatarmee« einsetzt, um seine geschäftlichen und politischen Interessen zu schützen.
Die problematische Beziehung zwischen Innenministerium und Neonazis unterminiert die Glaubwürdigkeit der neugebildeten ukrainischen Regierung international wie auch im eigenen Land. Höchstwahrscheinlich hat Awakow Poroschenko vorgeschlagen, dem belarussischen Kämpfer des Asow-Bataillons Sergej Korotkich, der seit Ende der 1990er Jahre in Neonazibewegungen aktiv ist, die ukrainische Staatsbürgerschaft zu gewähren. Außerdem hat sich die Kiewer Polizei unter Awakow bereits als unfähig oder unwillig erwiesen, eine Anzahl faschistisch motivierter Verbrechen zu verfolgen. Im Juli haben rechtsextreme Schläger – die nicht unbedingt etwas mit der PU zu tun haben müssen – vier Schwarze in der U-Bahn, einen Schwulenclub und einen jüdischen Studenten in der Nähe einer Synagoge angegriffen. Die Polizei hat zwei Strafverfahren eröffnet, bislang allerdings noch niemanden angeklagt. Im September wurde Wasil Tscherepanin, der Leiter des Zentrums für Visuelle Kultur, zusammengeschlagen, allem Anschein nach von rechtsextremen Aktivisten. Auch bei der Untersuchung dieses Verbrechens versagte die Polizei. Ebenso wenig ist sie willens, die Folter politischer Oppositioneller durch die Neonazigruppe C14 während der Revolution im Winter 2013/2014 zu untersuchen. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass die Infiltrierung der Polizei durch die extreme Rechte zur Effizienz ihrer Untersuchungen beiträgt – weder im Allgemeinen noch im Speziellen bei Hass-Verbrechen.
Ausblick
Awakow mag das PU-geführte Bataillon als seine »Privatarmee « betrachten, doch weder für Asow noch für die gesamte PU ist die derzeitige Zusammenarbeit mit dem Innenministerium ein Selbstzweck. Die PU mag zwar von ihr profitieren, sie hat aber immer noch ihre eigene politische Agenda, die über diese Zusammenarbeit hinausgeht. Die PU hat außerdem begonnen auf ihrer Webseite Stellenangebote des ukrainischen Geheimdienstes anzuzeigen.
Eine fortschreitende Infiltrierung der ukrainischen Strafverfolgungsbehörden und anderer Staatsorgane durch die extreme Rechte wird wahrscheinlich zu folgenden Entwicklungen führen: Erstens erhöht die Verschmelzung von Polizei und Rechtsextremen, die unter anderem in illegale Aktivitäten verwickelt waren, die Korruptionsrisiken. Zweitens wird die Zunahme von Rechtsextremen in den Strafverfolgungsbehörden zu einer allmählichen Loslösung der PU aus dem persönlichen Schutz Awakows führen. Das wiederum wird es der PU erlauben unabhängig zu agieren.
Swoboda und der Rechte Sektor haben bei den Parlamentswahlen auf ganzer Linie verloren. Die Infiltrierung der Strafverfolgungsbehörden durch einige andere rechtsextreme Organisationen ist möglicherweise jedoch eine längerfristige und nachhaltigere Strategie im Kampf der rechtsextremen Kräfte gegen die nicht besonders stark etablierte liberale Demokratie in der Ukraine.
Über den Autor
Anton Shekhovtsov ist Doktorand am University College London und Herausgeber der Buchreihe »Explorations of the Far Right« beim ibidem-Verlag. Sein zentraler Forschungsgegenstand ist anti-demokratische Politik in Europa. Er war als Forscher an wissenschaftlichen Institutionen in Österreich, Polen und Großbritannien.
Übersetzung aus dem Englischen: Sophie Hellgardt
Link zum Originaltext: http://anton-shekhovtsov.blogspot.de/2015/01/whither-ukrainian-far-right.html
Lesetipps
• Anton Shekhovtsov, Andreas Umland: »Die ukrainische radikale Rechte, die europäische Integration und die neofaschistische Gefahr. Vergleichende Betrachtungen zum parteipolitischen Ultranationalismus in der Ukraine«, in: Ukraine-Analysen Nr. 133 (27.05.2014), S. 7–11 <. • Anton Shekhovtsov: »Der Rechte Sektor. Zwischen Polittechnologie, Politik und Straßenkampf«, in: Juri Andruchowytsch (Hrsg.): Euromaidan – Was in der Ukraine auf dem Spiel steht (Berlin: Suhrkamp Verlag, 2014), S. 159–172. • Anton Shekhovtsov: »Swoboda: Aufstieg und Fall einer Partei«, in: Transit: Europäische Revue, Nr. 45 (2014), S. 118–136. • Anton Shekhovtsov, Andreas Umland: »Ukraine’s Radical Right«, in: Journal of Democracy, Bd. 25, Nr. 3 (2014), S. 58–63.">http://www.laender-analysen.de/ukraine/pdf/UkraineAnalysen133.pdf>.
• Anton Shekhovtsov: »Der Rechte Sektor. Zwischen Polittechnologie, Politik und Straßenkampf«, in: Juri Andruchowytsch (Hrsg.): Euromaidan – Was in der Ukraine auf dem Spiel steht (Berlin: Suhrkamp Verlag, 2014), S. 159–172.
• Anton Shekhovtsov: »Swoboda: Aufstieg und Fall einer Partei«, in: Transit: Europäische Revue, Nr. 45 (2014), S. 118–136.
• Anton Shekhovtsov, Andreas Umland: »Ukraine’s Radical Right«, in: Journal of Democracy, Bd. 25, Nr. 3 (2014), S. 58–63.