Eine Verabredung mit zwei Linksautonomen

Erstveröffentlicht: 
16.06.2015

Mehrere hundert Menschen ziehen durch Leipzig, schlagen Scheiben ein und randalieren. Dieses Bild stellte die Polizei schon fünf Mal in diesem Jahr vor Herausforderungen. Eine Soko soll sich nun mit der linksautonomen Szene beschäftigen. Aber was sind das eigentlich für Menschen, die dieser Szene angehören, und was wollen sie? Unsere Reporterin hatte die Gelegenheit, mit zwei Anhängern der linken Szene zu sprechen.

von Marie-Sophie Rudolph, MDR INFO

 

Wir treffen uns an einem neutralen Ort im Leipziger Osten, so schlagen sie es vor. Auf mich warten zwei Jungs, Mitte und Ende Zwanzig, Studenten. Sie tragen legere Kleidung, Rucksack, begrüßen mich freundlich. Trotzdem wollen sie unerkannt bleiben, denken sich falsche Namen aus. Denn wir reden über ihre politische Einstellung, sie sind linksradikal. "Unser großes Ziel ist die befreite Gesellschaft. Das bedeutet, dass eigentlich alle Herrschaftsformen, die es gibt, dass man arbeiten gehen muss - dass das alles abgeschlossen ist, dass Leute sich einfach frei entfalten können", erklärt Emile seine Überzeugung.

 

Eine Lebenseinstellung


Für das Interview haben die beiden sich gründlich vorbereitet, theoretische Standpunkte aufgeschrieben, die ihnen wichtig sind. Links sein, das ist für sie mehr als irgendwas Politisches: Es ist eine Lebenseinstellung. Das bestehende System lehnen sie ab, das ist Kern ihrer Ideologie, erzählt Hans: "Wir haben jetzt keinen Masterplan und brauchen jetzt nur noch die Revolution und dann setzen wir das um. Das ist ein Prozess. Aber das heißt auch nicht, dass das immer nur friedlich ablaufen kann. Das zeigt auch die Geschichte von Gesellschaftstransformation."

 

Gewalt führt zu Aufschrei, aber Theorie bleibt ungehört


Hans und Emile zählen auf, wogegen sie kämpfen wollen: steigende Mieten, Verschwendung von Essen, Polizeigewalt. Diese werde in der Gesellschaft wenig hinterfragt. Anders, wenn Linke die Polizei angreifen: Dann gebe es einen Aufschrei. Aber manchmal, sagt Hans, sei negative Aufmerksamkeit eben auch eine Form, gehört zu werden. "Mir fällt schon auf, dass Gewalt in der linken Szene immer zu einer großen Publicity führt. Wenn wir vorher große Theorie-Diskussionen führen, dass das dann ungehört bleibt. Das ist traurig. Das ist jetzt keine Aufforderung, aber das ist eine Feststellung." Mitgefühl zeigen sie nicht.

 

Klare Abgrenzung von Gewalt


Wenn Emile und Hans über Gewalt in der linken Szene sprechen, dann vor allem über eingeschmissene Scheiben, zerstörte Bushaltestellen, Farbschmierereien an Gebäuden. Aber auch Angriffe auf Polizisten gab es schon. Emile und Hans sehen für sich eine klare Grenze: "Ein Großteil der Sachen, die gemacht werden, sind keine Gewalt. Das unterscheidet die linke Szene auch ausdrücklich von der rechten, wo der Großteil der Taten Gewalttaten sind, Körperverletzung oder sogar Mord. Da gibt es eine Grenze und die meisten Leute haben einfach keine Lust, diese Grenze zu übertreten."

 

"Es gibt keine Anführer"


Die linke Szene in Leipzig: Sie gilt als eine der aktivsten in ganz Deutschland, sagt der Verfassungsschutz. Charismatische Anführer seien einer der Gründe für den Zulauf. Alles Quatsch, sagt Emile. "Ich glaube, der Verfassungsschutz hat überhaupt keine Ahnung, wie so eine Szene funktioniert. Immer wenn man sich deren Berichte durchliest, denkt man, die verstehen überhaupt nichts. Es gibt keine Führer in der linken Szene. Das sind halt alles Leute, die kritisch denken können und die auch keine Führer haben wollen." Auch den typisch gewaltbereiten Linken gebe es nicht. Es seien nicht immer nur die Studenten, die nach Steinen greifen. Aber manche tun es eben doch. "Ich glaube, dass Gewalt oder Sachbeschädigung immer das letzte Mittel sein sollten. Deswegen gibt es bei jeder gewalttätigen Aktion oder auch Sachbeschädigung in der linken Szene Diskussionen, das ist immer so." Hans sitzt mir im Schneidersitz gegenüber und erklärt: "Für Fortschritt bedarf es immer Kämpfe und die müssen wir halt weiterführen, um die Gesellschaft noch irgendwie zu einem Besseren zu führen." Er sagt das nicht aggressiv, sondern ganz selbstverständlich.