Die Grünen im Sächsischen Landtag haben erneut die Abschiebepraxis im Freistaat kritisiert. Anlass ist der gescheiterte Versuch, eine in Stollberg untergebrachte syrische Flüchtlingsfamilie nach Bulgarien auszufliegen. Noch Anfang April hatte Innenminister Markus Ulbig persönlich die sechsköpfige Familie besucht und als Beispiel für gelebte Integration präsentiert. Der Vater, die schwangere Mutter und ihre vier Kinder waren in einer zuvor leer stehenden Wohnung im erzgebirgischen Stollberg untergebracht worden. Vater Ahmad Merjan erhielt einen Deutschkurs und äußerte bei Ulbigs öffentlichkeitswirksamem Besuch die Hoffnung, dass sich der Minister Ulbig für sein noch offenes Asylverfahren einsetzt.
Erster Abschiebeversuch gescheitert
Doch nach Informationen der sächsischen Grünen war diesem Zeitpunkt schon klar, dass der Antrag in Deutschland abgelehnt werden würde. Zum Grund sagte Martin Strunden, Sprecher des Innenministeriums, MDR SACHSEN, die Flüchtlingsfamilie hätte bereits in Bulgarien einen Asylantrag gestellt, der bewilligt worden sei. Deshalb versuchte die Ausländerbehörde mit Unterstützung der Polizei, die sechs kurdischstämmigen Syrer in der Nacht vom 18. zum 19. Mai abzuschieben. Die Familie wurde gegen ihren Widerstand zum Flughafen Berlin-Schönefeld gebracht und sollte in eine Maschine nach Bulgarien gesetzt werden. Die Aktion scheiterte demnach am Widerstand der Fluggesellschaft, die sich weigerte, die völlig aufgelösten Familienmitglieder an Bord zu lassen. Heiko Reinhold vom Grünen-Kreisverband Erzgebirge sagte MDR SACHSEN, die Flüchtlinge seien inzwischen wieder in Stollberg würden von den Kirchgemeinden betreut.
Darf man so mit Menschen umgehen?
Petra Zais, die migrationspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion,
sprach von einem Beispiel für die inhumane, völlig unangemessene und
inakzeptable Abschiebepolitik Sachsens: "Erneut sind Kinder aus dem
Schlaf gerissen und traumatisiert worden. Die Frau ist schwanger. Was
soll diese unnötige und unangemessene Härte?" Dass dem Vater der Familie
erst kürzlich ein Sprachkurs genehmigt wurde, zeige den chaotischen
Umgang mit Flüchtlingen in Sachsen, kritisierte Zais. Auf der einen
Seite werde ihnen vermittelt, dass sie die Möglichkeit zur Integration
bekommen. Anderntags würden sie in Handschellen aus dem Haus geführt.
Die Grünen-Poltikerin warf Ulbig persönlich vor, schöne Bilder mit der
Familie öffentlich zu verbreiten, die hässliche Seite dagegen einfach
auszublenden.
Zais' Parteikollege Reinhold ergänzte, die Flüchtlinge seien aufgrund der EU-Regelungen dazu gezwungen worden, im Ersteinreiseland Bulgarien einen Asylantrag zu stellen, obwohl sie nach Deutschland wollten, wo bereits Verwandte leben. Zudem gebe es ausreichend humanitäre Gründe, die Familie zu lassen, Alle Mitglieder seien durch ihre Erlebnisse schwer traumatisiert, auch sei bei der Mutter eine Risikoschwangerschaft festgestellt worden. Zudem lebe die Familie schein seit einem halben Jahr in Stollberg, habe soziale Kontakte geknüpft, die Kinder gingen hier zur Schule, alle hätten an einem von der Kirche angebotenen Deutschkurs teilgenommen. In diesem Zusammenhang kritisierte auch Reinhold chaotische Umgangsweisen mit den Flüchtlingen. So sei der Familie erst ein offizieller, bezahlter Sprachkurs genehmigt worden, zu dem sie ab dem 20. Mai in Aue erscheinenen sollte, dann würden einen Tag vorher Ausländerbehörde und Polizei erscheinen, um sie abzuschieben.
Inneministerium: Es ist alles rechtens
Zais forderte Minister Ulbig auf, diese menschenverachtende Abschiebepraxis sofort zu beenden. Dazu gehörten das Prüfen der Lebensumstände im Vorfeld einer Abschiebung, keine Abschiebungen in der Nacht sowie die Anwesenheit von Dolmetschern bei einer Abschiebung. Der Flüchtlingsfamilie aus Syrien hilft das allerdings wenig. Ihre Abschiebung soll weiter vollstreckt werden. Patricia Vehrenhold vom Pressereferat des Innenministeiums betonte auf Anfrage von MDR SACHSEN, die Entscheidung sei rechtens. Zugleich räumte sie ein, es sei "misslich" gewesen, dass Minister Ulbig ausgerechnet eine Familie besucht habe, die keine Chance auf Asyl in Deutschland habe. Zum Abschiebeversuch erklärte Ministeriumssprecher Strunden, der Zeitpunkt der Abschiebung richte sich nach den Abflugzeiten der Maschinen. Deshalb sei es häufig so, dass abgelehnte Asylbewerber am sehr frühen Morgen zu den Flughäfen gebracht würden. Zudem sei in diesem konkreten Fall die Familie vor der Abschiebung mehrfach zur Ausreise aufgefordert worden.