Zerreißprobe in Tröglitz: Umgang mit Flüchtlingen spaltet den Ort

Erstveröffentlicht: 
02.04.2015

500 Anwohner informieren sich über Asyl-Pläne / Landrat räumt Kommunikationspannen ein

 

Von Romy richter


Tröglitz. "Herzlich willkommen": Mit knallig-bunten Schildern wirbt das Bistro Istanbul gleich hinter dem Ortseingang für Döner, Pasta und Pizza. Doch die Tröglitzer, die an diesem Abend direkt nebenan in das Kultur- und Kongresszentrum strömen, lassen den Imbiss erst mal rechts liegen. Sie wollen jetzt vor allem Informationen. Es geht um die geplante Unterbringung von 40 Asylbewerbern, die im Mai mehrere Wohnungen im Ortskern beziehen sollen. Die Szenerie am Dienstagabend: 500 Anwohner drängen sich in den großen Saal, auch das Medieninteresse ist enorm. Auf dem Podium rund um Landrat Götz Ulrich (CDU, Burgenlandkreis) hat ein Dutzend weiterer Vertreter aus Kommunal- und Landespolitik, Polizei und Kirche Platz genommen.


Markus Nierth sitzt nicht in der ersten Reihe, sondern mittendrin, als Bürger. Noch vor drei Wochen war der 46-jährige Theologe ehrenamtlicher Ortsbürgermeister des 2700 Einwohner zählenden Tröglitz im Süden von Sachsen-Anhalt. Doch im Zusammenhang mit der Asylproblematik und massiven Anfeindungen von Rechtsextremisten zog der Parteilose schließlich die Reißleine und legte sein Amt nieder. Ein Schritt, den er bis heute nicht bereut: "Meine Familie und ich wurden nicht geschützt." Ohne diesen Rücktritt, der bis zur Bundespolitik hohe Wellen schlug, wäre wohl auch diese Einwohnerversammlung eine Randnotiz geblieben, wie in vielen anderen Orten.


Landrat Ulrich moderiert die Veranstaltung souverän, antwortet auf jede Wortmeldung, trägt Unmengen an Zahlen und Statistiken vor, aber auch Details zur Unterbringung: "Wir gehen davon aus, dass wir überwiegend Familien in Tröglitz unterbringen werden. Es werden auch Kinder dabei sein." Ulrich fügt hinzu, es solle extra ein Sozialpädagoge für die Asylbewerber und ein Wachdienst angestellt werden, der rund um die Uhr für Sicherheit zuständig ist.


Zugleich räumt der Politiker auch Fehler in der Kommunikation ein: "Ich kann nicht ausschließen, dass wir im Vorfeld in Tröglitz nicht richtig hingehört haben." Ulrich erklärt sich, warum er erst jetzt öffentlich über die Pläne spreche. Für viele zu spät - denn schon längst hatte die rechtsextreme NPD das Thema für sich besetzt. Regelmäßig marschierten Demonstranten durch den kleinen Ort, organisiert von NPD-Funktionär Steffen Thiel, der sich auch in der Fragerunde mehrfach zu Wort meldet. Diese sogenannten Lichterspaziergänge fielen mehr auf als die leisen Friedensgebete in der Kirche. So tritt auch an diesem Abend ein Tröglitzer auf der Empore an das Mikrofon, um die erste Frage zu stellen. Für einen kurzen Augenblick ist er der Mann da oben: "Was soll'n die Scheiße hier?" ruft er bockig nach unten. "Die kriegen die Wohnungen hergerichtet von A bis Z. Und wir kriegen nichts." Der Applaus, der ihm gilt, kommt aus einer offensichtlich der rechten Gesinnung zugewandten Abteilung. Es ist im Saal nicht die Mehrheit. Die Mehrheit klatscht laut und zugleich höflich an anderen Stellen. Zum Beispiel für die Antwort des Landrates, der sachlich bleibt: "Es ist richtig, die Unterbringung kostet Geld." Mehr als sechs Millionen Euro seien für dieses Jahr im Haushalt des Burgenlandkreises dafür eingeplant. Dem gegenüber stünden aber 173 Millionen Euro, die für die Betreuung von Hartz IV-Empfängern ausgegeben würden, ergänzt er.


Schief gerät die Wortmeldung eines 38-jährigen Franzosen, der seit vier Jahren in Tröglitz wohnt, wie er sagt. "Ich bin auch Ausländer," beginnt Jey Lacour, um dann von seinem französischen Heimatviertel zu berichten, in dem mittlerweile kein Franzose mehr lebe. So will er die Motivation der Demonstranten gegen die Flüchtlinge verstehen und seine neue Heimat verteidigen. Aus seiner Sicht sind das keine Nazis, Rassismus lässt er aber gelten, ohne negative Bewertung.


Zugleich wächst die Zahl derer, die sich für die Flüchtlinge engagieren wollen. 20 konkrete Hilfszusagen sammelt eine neue Bürgerinitiative "miteinander füreinander" noch bis zum Schluss der Veranstaltung. Rund 100 Einwohner unterschreiben zudem eine Erklärung für ein weltoffenes Tröglitz. "Das ist ein wichtiges Signal," sagt Pfarrer Matthias Keilholz. Auch der frühere Bürgermeister Nierth weiß: "Die große Mehrheit der Tröglitzer ist gutherzig." Der Theologe will sich gemeinsam mit seiner Frau Susanna weiter privat engagieren. "Der Ort ist zerrissen, aber ich habe schon den Eindruck, dass sich die Leute jetzt mehr positionieren und mutiger werden." Nierths wollen ein Begegnungs- café eröffnen. "Wir haben Spendenangebote aus ganz Deutschland bekommen," berichtet Susanna Nierth. "Das sollte für uns alle eine Ermutigung sein, hier kann Integration gelingen."


Auch Landrat Ulrich will weiter versuchen, die Ängste der Bürger abzubauen. Ein Tag der offenen Tür ist eine weitere Möglichkeit, "damit die Kritiker sehen, dass wir keine goldenen Klinken anschrauben". Am Ende des Abends kehrt vorerst wieder Ruhe ein, der Parkplatz leert sich. Nur das Bistro Istanbul leuchtet noch in der Nacht.