Leipzig. Insgesamt 265 Stolpersteine erinnern bereits in der Messestadt an Menschen, die in der Zeit des Nationalsozialismus ermordet, verfolgt, deportiert oder aus Leipzig vertrieben wurden. Am Samstag kommen 22 weitere dieser Mahnmale hinzu – unter anderem vor einem Haus in der Eutritzscher Straße 45. Den dortigen Stolperstein haben 39 Kleinspender, darunter auch die U40 Mannschaft des Vereins Roter Stern Leipzig in Gedenken an eine sportbegeisterte Familie gestiftet, die auch im Leipziger Fußball ihre Spuren hinterlassen hat.
Von 1931 bis 1938 lebte in einem Haus an dieser Stelle die Familie Teutsch. Die beiden Eltern Elisabeth Babette und Friedrich Wilhelm waren 1943 in Auschwitz von den Nazis ermordet worden, ihre Kindern Hans und Kurt konnten nach England flüchten. Hans Teutsch, alias John Toyne, lebt heute noch in London, so die Recherchen des Stifter-Vereins. Sein Bruder ist mittlerweile verstorben. Hans Teutsch sei in seiner Leipziger Zeit auch Kicker beim Olympia Germania F.C. gewesen – dem Vorgänger der heutigen SG Olympia. Zudem habe Teutsch nach Erlassen der antisemitischen Gesetze der Nazis, die gemeinsamen Sport von Juden und Nicht-Juden untersagten, auch beim jüdischen Fußballclub Schild Leipzig gespielt, so die Recherchen.
Neben der Verlegung des Stolpersteins wollen Teams von Roter Stern
Leipzig und SG Olympia in der Sommerpause mit mehreren
Freundschaftsspielen auch auf dem Rasen das Gedenken fortsetzen. „Beide
Vereine wollen an Leipziger Fußballspieler erinnern, die von Nazis
verfolgt oder so, wie die Eheleute Teutsch, ermordert wurden.
Gleichzeitig wollen wir mit Freundschaftsspielen für die eigentlichen
Werte des Fußballs eintreten. Freiheit, Gleichheit und Teamgeist.“
erklärte Achim Beier, Teamchef der Ü40 von Roter Stern.
Die
Stolpersteine waren ursprünglich ein Projekt des Künstlers Gunter
Demnig. Mit diesen in Fußwege eingelassenen, kleinen Gedenktafeln soll
an das Schicksal der Menschen erinnert werden, die einstmals an dieser
Stelle wohnten. Insgesamt 18 europäische Länder beteiligten sich
inzwischen am Projekt, mehr als 50.000 solcher Steine wurden verlegt.
Internet:
www.stolpersteine-leipzig.de
,
www.rotersternleipzig.de
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Geschichte der Familie Teutsch, zusammengetragen von Cordula Schröder und Roter Stern Leipzig
Friedrich
Wilhelm Teutsch wurde am 21.10.1882 in Venningen (Pfalz) geboren, wo
seine Familie seit Jahrhunderten ansässig war. Im Frühjahr 1914 kam
Friedrich Wilhelm Teutsch nach Leipzig und eröffnete in der Ritterstraße
eine Textilwaren-Großhandlung. Am 6. Mai 1920 heiratete er in
Venningen, die ebenfalls dort geborene Elisabeth Babette Teutsch
(*05.08.1898).
In Leipzig gründeten die Eheleute eine Familie. Kurt wurde am
06.02.1921 und Hans am 04.05.1923 geboren. Seit 1931 wohnte die Familie
in der Eutritzscher Straße 45. Die beiden Kinder waren begeisterte
Sportler. Hans trat 1932 in die Fußballmannschaft von Olympia Germania
Leipzig ein.
Die Machtübergabe an die Nationalsozialisten 1933
änderte das Schicksal der Familie auf dramatische Weise, denn jetzt
wurden sie plötzlich als Juden stigmatisiert. Bereits 1934 entließ man
aus allen Sportvereinen die jüdischen Mitglieder, so mussten auch die
Kinder Teutsch Olympia verlassen. In diesem Jahr wurde in Leipzig der
jüdische Sportverein „Schild“ durch den „Reichsbund jüdischer
Frontsoldaten“ (R.j.F.) gegründet. Der Reichsbund war die größte
jüdische Vereinigung in der Weimarer Republik und wollte eine Antwort
auf den sich vehement ausbreitenden Antisemitismus geben. Ziel der
Mitglieder war es zu zeigen, dass sie integraler Bestandteil der
deutschen Gesellschaft sind. Den Zionismus lehnten sie ab.
Kurt
und Hans Teutsch wurden nun Mitglied von „Schild“. Die erste Spielstätte
von „Schild“ war ein schlecht bespielbarer Platz an der Pferderennbahn,
der im Volksmund „Sauweide“ hieß. Die Schikanen ließen nicht lange auf
sich warten. Bereits im September 1934 war es den „Schild“-Mannschaften
verboten, auf der „Sauweide“ zu trainieren. Der Platz war zu nah an der
Innenstadt. „Schild“ bekam daraufhin weit draußen ein Stück Feld an der
Theklaer Straße zugewiesen. Hier musste man sich immer wieder gegen
Überfälle wehren. Erst im Vorfeld der Olympischen Spiele 1936 in Berlin
lenkte die Polizei ein. Gespielt werden konnte nur gegen
Schild-Mannschaften aus anderen Städten. Auch gegen andere jüdische
Sportvereine (Bar Kochba, Hakoah) konnte nicht gespielt werden. Die
zionistischen bzw. orthodoxen Gruppen akzeptierten „Schild“ nicht.
John
Toyne alias Hans Teutsch schreibt später dazu: „Für ‚Bar Kochba‘ waren
wir nicht jüdisch genug, denn wir spielten wie christliche Mannschaften
ohne Kopfbedeckung. Dann gab es einen zweiten Verein namens ‚Hakoah‘.
Die haben gesagt, wir seien Nazis. ‚Wie kann man Jude sein, ohne den
Kopf zu bedecken?‘ – Ganz verrückt. Wie kann so etwas geschehen?“ Nach
der Pogromnacht am 10. November 1938 wurden „Schild“ und alle anderen
jüdischen Sportvereine verboten.
Kurt Teutsch besuchte das König
Albert Gymnasium (heute: Gelände des Parkhauses des Zoos Leipzig).
Dieses musste er jedoch 1935 verlassen. Er erlernte den Beruf eines
Schmelzers und ging im September 1937 zum Studium an die Städtische
Technische Lehranstalt Bodenbach im böhmischen Sudetenland. Nach dessen
Besetzung 1938 konnte Kurt nach Prag fliehen. Kurz vor dem deutschen
Einmarsch in die Tschechoslowakei im März 1939 gelang ihm die Flucht
nach England und weiter in die USA. Dort arbeitete er später als
Psychiater. Kurt Teutsch starb 2005.
Hans Teutsch musste im Mai
1938 als letzter jüdischer Schüler die Wirtschaftsoberschule ohne
Abschluss verlassen. Wenig später, im August 1938, gelang es seinem
Vater in die USA zu kommen. Von dort versuchte er, Visa für seine
Familie zu erhalten. Es gelang ihm jedoch lediglich, dass seine Söhne
eine Nummer auf der Warteliste für ein Visum erhielten. Auf der
Rückreise nach Leipzig erreichte ihn die Nachricht, dass die Gestapo am
11. November 1938 versucht hatte, ihn in seiner Wohnung in der
Eutritzscher Straße zu verhaften. Er blieb deshalb in Rotterdam.
Im
Zuge der Pogromnacht wurden vom 10. bis 17. November 1938 über 500
männliche Juden meist mit deutscher Staatsangehörigkeit durch die
Gestapo verhaftet. Sie wurden im Parthebecken am Zoo zusammengetrieben
und in die Konzentrationslager Buchenwald oder Sachsenhausen
verschleppt. Ziel war es, diese Menschen mit Freiheitsberaubung zu
erpressen, damit sie mit ihren Familien das Land verlassen und auf ihren
gesamten Besitz verzichten. In diesem Sinne hatte es die Gestapo auch
auf Friedrich Wilhelm Teutsch abgesehen. Hans wurde bei diesem
Gestapo-Besuch am Morgen nach der Pogromnacht mitgeteilt, wenn er an
seinem 16. Geburtstag noch in Leipzig wäre, würde er verhaftet und ins
KZ Sachsenhausen gebracht. Es blieben noch sechs Monate. Es gelang ihm
tatsächlich, alles Erforderliche zu organisieren und mit einem der
sogenannten Kindertransporte per Zug nach England auszureisen. Am 17.
Mai 1939 brachte seine Mutter ihn weinend zum Hauptbahnhof. Sie ahnte,
dass es kein Wiedersehen geben würde.
In England änderte Hans
Teutsch seinen Namen in John Toyne. Er machte eine technische
Lehrausbildung in einer Fabrik und heiratete. Seine Frau ist ebenfalls
eine deutsche Jüdin aus Berlin. Später hat er in einem
Lebensmittelimport-Unternehmen im kaufmännischen Bereich gearbeitet.
Heute (2015) leben er und seine Frau in Bournemouth, Südengland.
Die
Eltern konnten sich nicht retten. Im April 1940 musste Elisabeth
Teutsch in eines der sogenannten „Judenhäuser“ in die Funkenburgstr. 15
ziehen. Im Dezember 1940 wurde sie zu ihrem Mann nach Assen in den
Niederlanden abgeschoben. Nachdem die Nazis beschlossen hatten, die
europäischen Juden zu ermorden, kamen die Eheleute am 03.10.1942 in das
Lager Westerbork. Von hier aus gingen die Züge in die Vernichtungslager
im Osten. Bis Auschwitz brauchten sie drei Tage. Am 31.08.1943 wurden
Elisabeth (45 Jahre) und Friedrich Wilhelm Teutsch (60 Jahre) nach
Auschwitz deportiert. Nach Ankunft des Zuges am 03.09.1943 wurden sie
sofort ermordet.