Landauf, landab ist derzeit von der "Willkommenskultur" die Rede. Doch beim neuen Gesetzentwurf zur Asylpolitik bleibt einem dieses Wort im Halse stecken. Er ist das Schärfste und Schäbigste, was einem deutschen Ministerium seit langem eingefallen ist.
Ein Kommentar von Heribert Prantl
So wie es bei den Vornamen Konjunkturen gibt, gibt es sie auch bei den politischen Begriffen. Bei den Vornamen stehen heute Maximilian und Sophie ganz oben; bei den politischen Begriffen ist es die "Willkommenskultur". Sie ist derzeit überall.
Die Willkommenskultur ist landauf und landab Thema von Tagungen, sie ist in Politikerreden ungeheuer beliebt; und als Zeichen der neuen Willkommenskultur werden überall Einbürgerungsfeiern veranstaltet. Willkommenskultur: Es ist, als solle mit dem möglichst häufigen, geradezu genießerischen Gebrauch dieses Worts das ganze Elend der Ausländer- und Asylpolitik der vergangenen Jahrzehnte weggelutscht werden.
Wenn man den aktuellen Referentenentwurf der Bundesministeriums des Inneren "zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung" liest, dann ist es mit dem Genuss vorbei, dann bleibt einem das Wort Willkommenskultur im Halse stecken. Dieser Gesetzentwurf ist das Schärfste und das Schäbigste, was einem deutschen Ministerium seit der Änderung des Asylgrundrechts vor 21 Jahren eingefallen ist. Er ist nicht nur eine Ansammlung von Nickeligkeiten, neuen Erschwernissen und Bürokratismen; im Kern ist er die Perfidie in Paragrafenform.
Dieser Gesetzentwurf verschärft die ohnehin scharfe EU-Aufenthaltsrichtlinie in einer Weise, die man nicht glauben möchte, wenn es nicht schwarz auf weiß da stünde. Das neue Recht (das nicht Recht werden darf) läuft darauf hinaus, dass künftig fast jeder Flüchtling, der nach Deutschland kommt, inhaftiert werden kann.
Abschiebehaft oder Aufnahmehaft
Das Ganze funktioniert über das Wort "Fluchtgefahr". Bei Fluchtgefahr kann künftig jeder Ausländer in Deutschland eingesperrt werden. Und bei der Definition dieser "Fluchtgefahr" (im neuen Absatz 14 des Paragrafen 2 Aufenthaltsgesetz) findet sich fast alles, was einen Flüchtling beschreibt und ausmacht: Wenn einer keine Personalpapiere hat; wenn einer seinen Einreiseweg nicht richtig nennt; wenn einer unter Umgehung der Grenzkontrolle eingereist ist - das alles begründet angeblich Fluchtgefahr und führt daher unmittelbar in die Zelle.
Wer also in einen Kühllastwagen gepfercht nach Deutschland kommt: Haft. Wer seinen Pass weggeworfen hat: Haft; mit Pass wäre er allerdings erst gar nicht herein- oder sofort in Abschiebehaft gekommen.
Ein Flüchtling, der nicht alles dafür tut, dass er sofort in Abschiebehaft genommen werden kann, kommt, wegen "Fluchtgefahr", in Aufnahmehaft. Der Flüchtling kann also künftig tun, was er will, er macht es falsch. Wenn er sich umfassend erklärt, kommt er in Abschiebehaft. Wenn er sich nicht umfassend erklärt, wenn er also versucht, auf diese Weise die Abschiebung vorerst zu verhindern, kommt er in Aufnahmehaft. Und wer im Verdacht steht, dass er kommt, um Sozialleistungen zu beziehen: Einreise- und Aufenthaltsverbot.
Das neue Gesetz will dafür sorgen, dass möglichst viele, am besten alle Asylanträge "offensichtlich unbegründet" sind. Das ist Willkommenskultur auf deutsch.