Lübeck/Escheburg – Der Brandanschlag auf eine noch nicht bewohnte Flüchtlingsunterkunft in Escheburg (Kreis Herzogtum Lauenburg) scheint aufgeklärt. Die Polizei hat einen 38-jährigenMann vorläufigfestgenommen.
Der mutmaßliche Täter soll heutedemHaftrichter vorgeführt werden. Er stehe unter „dringendem Verdacht“, den Anschlag verübt zu haben. Dasteilte die Lübecker Staatsanwaltschaft gestern mit. Bei dem Verdächtigen handelt es sich um einen unmittelbaren Nachbarn der Flüchtlingsunterkunft. NachAngaben der Ermittler zählt er zu den Personen, die sich kurz vor dem Anschlag am 9. Februar im Amt Hohe Elbgeest lautstark gegen die Unterbringung irakischer Flüchtlinge in ihrem Ort ausgesprochen haben. Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) zeigte sich einerseits erleichtert, dass der mutmaßliche Täter festgenommen sei. Auf der anderen Seite habe er „einen großen Kloß im Hals“, dass ein Mann aus unmittelbarer Nachbarschaft der Täter sein soll.
Kommentar von Curd Tönnemann
Escheburg, 3300-Seelen-Ort im Osten von Hamburg. Ländliche Idylle. GutbürgerlicheWohnviertel. Heile Welt, möchte man meinen. Und dann das: Ein Brandanschlag auf eine Flüchtlingsunterkunft. Geht es noch schlimmer? Ja, es geht: Der mutmaßliche Täter kommt aus den eigenen Reihen. Der Tatverdächtige wohnt Tür an Tür mit dem Haus, in das sechs Iraker einziehen sollten. Trotz allen naheliegenden Verdachts: Irgendwie hatten die Escheburger wohl darauf gehofft, dass der oder die Täter von außerhalb gekommensind. Neonazis vielleicht aus der Hamburger Szene. Undnun? Ein Nachbar! Einer aus ihrer Mitte. Ein Familienvater. Der Schock sitzt tief. Es könnte noch dramatischer werden, wenn sich bewahrheitet, dass der Täter Komplizen hatte – oder Mitwisser. Es hilft aber kein Jota, Escheburg und seine Bewohner zu verteufeln. Escheburg muss Anlass sein, nach den Ursachen für solchmenschenverachtendes Handeln zu suchen. Rechtzeitige Aufklärung der Bürger wäre ein Anfang gewesen. Aber auch nur ein Anfang der Ursachensuche.
Es war offenbar einer der Nachbarn
Brandanschlag auf Flüchtlingsunterkunft: Escheburg zeigt sich nach der Festnahme eines Verdächtigen erschüttert.
Lübeck/Escheburg – Alle haben darauf gewartet, dass die Ermittler die Hintergründe des Brandanschlags auf eine noch unbewohnte Flüchtlingsunterkunft in Escheburg (Kreis Herzogtum Lauenburg schnell aufklären. Doch gestern, als sich die Nachricht der Staatsanwaltschaft verbreitet, dass ein Escheburger als dringend tatverdächtig festgenommen ist, macht sich kaum Erleichterung breit. Zu groß ist das Entsetzen darüber, dass einer von ihnen, ein unmittelbarer Nachbar des hölzernen Flüchtlingshauses, den Brandsatz geworfen haben soll – wohl wissend, dass er damit sich und seine gesamte Nachbarschaft in Lebensgefahr Brachte.
Der 38-jährige Escheburger wird heute dem Haftrichter vorgeführt. Die Ermittler werfen dem Diplom- Finanzwirt (verheiratet, ein Kind) Brandstiftung vor, „ein gemeingefährliches Verbrechen“. Das Strafmaß beträgt bis zu zehn Jahre. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft war der Mann durch verdächtige Äußerungen ins Visier der Ermittler geraten. Bereits vergangene Woche war sein Wohnhaus durchsucht worden. Nach einem ersten Verhör war er zunächst auf freien Fuß gesetzt worden – nach LN-Recherchen, weil er für die Tatzeit ein Alibi geltend machte. Alle vorliegenden Indizien deuteten auf den Mann, teilte die Anklagebehörde gestern mit.
Bei dem Anschlag am 9. Februar war durch ein beschädigtes Fensterim Erdgeschoss des Flüchtlingshauses ein Kanister mit brennbarer Flüssigkeit geworfen worden. Vor dem Fenster lagen die Verschlusskappe des Kanisters und ein abgebranntes Streichholz. An beiden Gegenständen wurden bei kriminaltechnischen Untersuchungen DNA-Spuren gefunden, die von dem Beschuldigten stammen.
Ob der Verdächtige Anstifter oder Mitwisser hatte, ist offen. Die Staatsanwaltschaft gehe derzeit von einem Einzeltäter aus, sagte Behördenleiter Thomas- Michael Hoffmann. Die Ermittlungen dauerten an. Ein Geständnis habe der Verdächtige nicht abgelegt. Die ausgelobten 10 000 Euro für Hinweise auf den Täter müssen nicht ausgezahlt werden.
„Es ist schön, dass man jemanden gefasst hat“, kommentierte Escheburgs Bürgermeister Rainer Bork (EWG)die vorläufige Festnahme. Die Situation in seinem Ort bleibe aber bedrückend – „erst recht, wenn der mutmaßliche Täter Anstifter hatte“. Die Dorfbewohner müssten sich schließlich auch nach Aufklärung der Tat wieder in die Augen schauen können. Martina Falkenberg, Leiterin im Amt Hohem Elbgeest, sagte: „Ich bin erleichtert, aber gleichzeitig erschüttert.“ Es sei gut, dass es keine falschen Verdächtigungen mehr gibt. Sie sei jedoch fassungslos, dass es nach derzeitigem Stand tatsächlich ein Nachbar war und dass sich ein Protest in Escheburg derart hochschaukeln konnte.
Der Verdächtige war Mitglied der Escheburger Wählergemeinschaft (EWG). Diese hatte ihn bereits am Montag aus der Fraktion ausgeschlossen. Hintergrund seien unflätige Äußerungen in einem Brief des Mannes an den Bürgermeister gewesen, teilte EWG-Chef Erich Fuhrt mit. In dem Schreiben geht es um die Unterbringung der Flüchtlinge. „So etwas lassen wir uns nicht gefallen“, sagte Fuhrt. Fürden EWG-Vorsitzenden, Anlieger der Tatort-Straße, ist es „unglaublich erschreckend, dass sich ein bis dahin unbescholtener Bürger zu so einer Tat hinreißen lässt“.
Michael Bendixen, der schräg gegenüber dem Brandhaus wohnt, sagte: „Immerhin ist jetzt der Druck weg, der hier gegen die Nachbarn aufgebaut wurde.“ Olaf Schliekelmann, ebenfalls in der Siedlung zu Hause: „Da scheint sich ja eine entsetzliche Stimmung aufgebaut zu haben, wenn man zu solchen Methoden greift.“ Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) erklärte, der Täter stehe nicht für die Menschen in Escheburg. Landtagspräsident Klaus Schlie (CDU) forderte, Politik und Gesellschaft müssten sich aktiv mit der steigenden Zahl von Flüchtlingen und deren Folgen auseinandersetzen.