Etwa 750 Personen zogen am Samstag, dem 29. November, durch die erzgebirgische Stadt Schneeberg, um gegen die Unterbringung von Flüchtlingen in ihrer Stadt zu demonstrieren. Ein beträchtlicher Teil der Demonstrant_innen kam dabei aus dem Umfeld von NPD und regionalen Kameradschaften. In Schneeberg befindet sich in einer ehemaligen Kaserne eine Außenstelle der Chemnitzer Erstaufnahmeeinrichtung für Asylsuchende.
von Kevin Lamperti und Johannes Grunert
Der Aufmarsch war eine Neuauflage der im Vorjahr durchgeführten “Lichtelläufe” und stand abermals unter der Führung des NPD-Politikers Stefan Hartung, der dem NPD-Kreisverband Erzgebirge vorsitzt. Im vergangenen Herbst und Winter hatte seine Initiative “Schneeberg wehrt sich” fünf Demonstrationen durchgeführt.
Den hauptsächlich bei Facebook verbreiteten Aufrufen waren damals bis zu 1800 Personen auf die Straße gefolgt, am letzten Aufmarsch im Januar dieses Jahres beteiligten sich noch 300 Personen. Ein Novum der vergangen Jahre war dabei, dass zahlreiche Bürger_innen gemeinsam mit der NPD und militanten Kameradschaften auf die Straße gingen. Aufgrund ihrer Größe standen die Aufmärsche in Schneeberg exemplarisch für die neu aufgeflammten Anti-Asyl-Proteste in der Bundesrepublik.
Diesen und möglicherweise folgende Aufzüge organisiert eine neue Initiative mit dem Namen “Freigeist”, hinter der allem Anschein nach altbekannte Leute stehen. In seiner Auftaktrede forderte Stefan Hartung eine “grundlegende Änderung des deutschen Asylrechts”. Politisch Verfolgten aus Staaten wie “Nordkorea, Syrien und – in Anbetracht von Edward Snowden – auch den USA” sollen jedoch aufgenommen werden. Zudem bedankte Hartung sich für zahlreiche Spenden aus der Bevölkerung.
Im vergangenen Jahr war “Schneeberg wehrt sich” trotz einiger Zwischenfälle wie dem gewalttätigen Übergriff auf einen Fotografen sichtlich um ein bürgerliches Image bemüht. Ähnlich war es am Samstag – im Vordergrund sollte regionale Folklore stehen, unter anderem verkörpert durch das Demonstrationsmotto “Haamitland wach auf”. Durch das wiederholte Werfen von Böllern, durch Sprechchöre wie “Wir wollen keine Asylantenheime” und “Auf die Fresse der Lügenpresse” sowie durch das Tragen schwarzer Fahnen mutete der Aufzug teilweise jedoch wie ein klassischer Neonaziaufmarsch an, auch Pressevertreter wurden mehrfach verbal bedroht.
Die Teilnehmenden hatten zuvor von Hartung die Order erhalten, nicht mit der Presse zu sprechen. Ohne Gegenproteste zog der Aufmarsch durch ein Wohngebiet im Norden der Stadt – der Weg durch die Innenstadt blieb aufgrund des Weihnachtsmarkts verwehrt. Währenddessen wollten die selbsternannten “kritischen Bildungsbürger” Aufkleber mit Sprüchen wie “Bock auf (Sala)Fisten?” und “Wir sind Bunt(metalldiebe)” verteilen.
Es ist zu vermuten, dass weitere Aufmärsche unter dem Label “Freigeist” folgen und sich auch in diesem Winter als weiteres regelmäßiges Event in der Welle der Anti-Asyl-Proteste etablieren werden. Wie am Samstag hatte es auch vergangenes Jahr anfänglich keinerlei Gegenproteste gegebeben.
Doch durch eine bundesweite Mobiliserung konnte ein Bündnis aus antifaschistischen und antirassistischen Gruppen zwei Gegendemonstrationen organisieren, sodass das Thema Schneeberg auch in der bundesweiten Presse stark diskutiert wurde. Hierbei kam es auch zu zahlreichen Solidaritätsaktionen für die Flüchtlinge. Über den neuerlichen Aufzug berichteten bislang nur lokale Medien – die “Freie Presse” übernahm unkommentiert den rechten Kampfbegriff der “Überfremdung”, der Schneeberger Oberbürgermeister Frieder Stimpel (CDU) beklagte im MDR-Interview die “Störung des Weihnachtsfriedens”.
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Caruso Pinguin / Johannes Grunert