Die Kurden sind im Kampf gegen die Terrormiliz IS im Irak zur Speerspitze des Westens geworden. In den befreiten Gebieten kommt es nun aber offenbar zu Racheakten an der sunnitisch-arabischen Bevölkerung.
Zwei Tage nachdem kurdische Peschmerga die irakische Ortschaft Shekhan von Kämpfern des Islamischen Staates (IS) zurückerobert haben, steht das Dorf in Flammen. «Wir zündeten die Häuser der Araber an, weil sie den Islamischen Staat unterstützten», sagt ein am Rande des Dorfes stationierter kurdischer Kämpfer, während er auf die dicken Rauchsäulen zeigt.
Bild der Zerstörung
Im menschenleeren Dorf bietet sich ein Bild der Zerstörung. Ausgebrannte Häuser, schwelende Dachbalken und russgeschwärzte Fassaden säumen die Gassen. Die Mehrheit der Gebäude fiel den Flammen zum Opfer. In äusserlich unversehrten Häusern wurden die Fensterscheiben eingeschlagen, in ihrem Innern liegen zertrümmerte Möbel, es herrscht gespenstische Stille. Shekhan umfasst rund 120 Häuser und war ausschliesslich von sunnitischen Arabern bewohnt. Kämpfer des Islamischen Staates hatten die Ortschaft im Rahmen einer grossangelegten Blitzoffensive im August erobert, die Hunderttausende von Zivilisten in die Flucht trieb.
Obwohl die Siedlung innerhalb eines Monats zweimal den Besitzer wechselte, waren es aber nicht die Kampfhandlungen, die das Dorf zerstörten. Die militärische Bedrohung durch den IS stellt derzeit das friedliche Zusammenleben von Arabern und Kurden in der Autonomen Region Kurdistan auf die Probe. Als im August in Erbil Tausende von Demonstranten die Ausschaffung von Arabern forderten, stellte die Regierung jegliche Hetze gegen Araber unter Strafe. Dennoch nehmen Berichte von Diskriminierung und Rassismus gegen Araber in den letzten Monaten zu.
Seit dem Vorstoss des Islamischen Staats in kurdisch dominierte Gebiete im Irak werden Stimmen laut, die ein neuerliches Zusammenleben von Kurden und Arabern in durchmischten Regionen ausschliessen. Zahlreiche kurdische Flüchtlinge werfen ihren ehemaligen arabischen Nachbarn vor, mit dem Islamischen Staat kooperiert zu haben und an Massakern und Plünderungen beteiligt gewesen zu sein.
In Omar Khaled, einem Nachbardorf von Shekhan, schiebt Vager vor seinem Haus Wache. Wie viele in der Region ist auch er überzeugt, dass die Bewohner von Shekhan den Kämpfern des Islamischen Staats geholfen haben. «Natürlich sind nicht alle Araber Terroristen», relativiert der kurdische Bauer seine Aussage, «aber wir können ihnen nicht mehr trauen. Ich fühle mich viel sicherer, seit sie nicht mehr hier sind.» Sein Haus verlässt er dennoch nicht ohne seine Kalaschnikow in der Hand.
Im wenige Kilometer entfernten Barzanki bereitet Brigadegeneral Najib mit seinen Truppen den weiteren Vorstoss in Richtung Zummar vor. Seinen Kommandoposten haben die Peschmerga erst vor kurzem zurückerobert; das notdürftig durchgestrichene Emblem des Islamischen Staates prangt nach wie vor an der Mauer des Gebäudes. Najib ist sich sicher, dass viele Araber in den Dörfern mit dem Islamischen Staat kooperiert haben, und bestätigt die gezielte Zerstörung von Häusern in Shekhan. «Ein arabischer Hirte hat uns berichtet, welche Familien den Islamischen Staat unterstützt haben. Darum haben haben wir ihre Häuser angezündet.»
Nicht alle Peschmerga-Einheiten in der Region wollen jedoch mit der Brandstiftung in Verbindung gebracht werden. «Kurdische Zivilisten und jesidische Milizen haben die Häuser in Shekhan in Brand gesteckt. Unsere Truppen waren an diesen Übergriffen jedoch nicht beteiligt», sagt ein Peschmerga-Kommandant in Omar Khaled, der nicht genannt werden will. Laut dem Kommandanten sind nach der Rückeroberung viele Zivilisten nach Shekhan gekommen, um Feuer zu legen und die Häuser zu plündern. Manche hätten an den Kontrollposten gesagt, sie wollten ihr Hab und Gut in Sicherheit bringen, andere hätten sich als freiwillige Kämpfer ausgegeben. Sie von ihrem Tun abzuhalten, hätten die Peschmerga freilich nicht versucht.
Keine Gnade für Terroristen
In Erbil, der Hauptstadt der Autonomen Region Kurdistan, will man von Übergriffen auf Zivilisten nichts wissen. «Die Peschmerga brennen keine Häuser nieder. Ein solcher Vorfall hat nie stattgefunden und wird auch nie vorkommen», sagt Brigadegeneral Halgurd Hikmet, ein Sprecher des Peschmerga-Ministeriums. Laut Hikmet gibt es keine Weisungen für kurdische Truppen, die das Niederbrennen von Häusern erlauben. Er betont jedoch, dass klar zwischen Sympathisanten und direkten Unterstützern des IS unterschieden werden muss. «Leute, die den Islamischen Staat unterstützten, bekennen sich zum Terrorismus. Wir dürfen dem Terrorismus nicht vergeben und mit dem Terrorismus nicht menschlich umgehen.»
Die vertriebenen Bewohner von Shekhan bestreiten, mit den Terroristen unter einer Decke zu stecken. «Wie sollen wir mit dem Islamischen Staat kooperiert haben? Wir waren gar nicht mehr im Dorf, als die Bewaffneten ankamen», sagt Khaled Nimr. Der 52-jährige Bauer und seine Familie flüchteten bereits, bevor der Islamische Staat in Shekhan einmarschierte. Dennoch wurde sein Haus in Brand gesteckt. Nimr hat nichts gegen einen harten Umgang mit Unterstützern von Terroristen einzuwenden. Dass die Mehrheit der Bewohner von Shekhan den IS aktiv unterstützten, bestreitet er aber vehement: «Die Kurden sind unsere Freunde. Wir sind ein Teil von Kurdistan. Warum sollten wir die Kurden bekämpfen? Ohne die Kurden können wir nicht leben.» Für die Zerstörung des Dorfes macht Nimr die Peschmerga und die kurdischen Sicherheitskräfte verantwortlich. «Ich weiss nicht genau, wer mein Haus niedergebrannt hat. Aber ich weiss, dass sie es zugelassen haben.»
Begrenzte Anzahl von Fällen
Donatella Rovera von der Menschenrechtsorganisation Amnesty International überraschen die Ereignisse in Shekhan nicht. Sie hat bereits viele Meldungen über ähnliche Vorfälle aus den Regionen um Makhmur, Zummar und Amerli erhalten. Nach der Vertreibung des Islamischen Staats aus nicht sunnitischen Städten sei es in deren Umgebung zu Vergeltungsmassnahmen gegen von sunnitischen Arabern bewohnte Dörfer gekommen. Oft sei dabei nicht klar, ob diese von schiitischen Milizen, kurdischen Truppen oder beiden gemeinsam verübt worden seien, da eine gründliche Untersuchung der Fälle noch aussteht.
Laut Rovera ist es schwierig einschätzbar, ob sich die Behörden der Autonomen Region Kurdistan genug für den Schutz von Minderheiten einsetzen. «Wir wissen bisher nur von einer beschränkten Anzahl Vorfälle. Aber es könnte auch nicht mehr Fälle geben, da der IS nur in wenigen Regionen vertrieben wurde.» Von einem Muster will sie nicht sprechen. Dennoch befürchtet sie weitere solche Vergeltungsschläge.
Martin Bader ist Islamwissenschafter und Journalist.