Rechtsrock vor der Schachtanlage

Erstveröffentlicht: 
11.08.2014

Im thüringischen Sondershausen haben nach Polizeiangaben rund 730 Neonazis am Samstag das braune Event „In.Bewegung“ besucht, die Organisatoren sprechen von 1200 Teilnehmern. Kurz nach dem Konzert wurde der Jüdische Friedhof in der Kleinstadt geschändet.

 

In den zehn Tagen zuvor beschäftigte die Veranstaltung des Thüringer NPD-Funktionärs Patrick Weber aus Sondershausen auch die Gerichte im Freistaat und in Sachsen Anhalt. Das Verwaltungsgericht Halle hatte das Verbot des Rechtsrock-Konzertes auf dem ursprünglich angekündigten Parkplatz des Gewerbegebietes von Berga in Sachsen Anhalt gekippt und einen entsprechenden Bescheid der Polizei gegen den NPD-Kreisverband Kyffhäuserkreis als rechtswidrig eingestuft. Doch zu diesem Zeitpunkt war das Konzert mit bis zu 1000 Teilnehmern von Weber bereits unweit einer Schachtanlage am Rand seines Wohnortes Sondershausen angemeldet worden.

 

Zuerst erfolgte wieder ein behördliches Verbot, weil die Fläche seit Längerem verpachtet sei und daher nicht öffentlich genutzt werden dürfe. Auch hier widersprachen die Richter, gaben dem Einspruch der NPD teilweise statt und verfügten, dass die Veranstaltung auf dem ebenfalls von Weber anvisierten Marktplatz in Sondershausen stattfinden könne. Für den NPD-Politiker eine ideale Druckposition: Mit dem Szenario eines Rechtsrock-Konzerts in der Ortsmitte vor Augen überließen die Behörden Weber den umzäunten Platz im Industriegebiet unweit einer Schachtanlage.

 

Auf links gedrehte T-Shirts

 

Als 9. August um 12.00 Uhr der Einlass beginnt, warten bereits etwa 60 Personen am Eingang des weiträumigen Geländes. Auch die eingesetzten Beamten nehmen Stellung, kontrollieren die Neonazis und führen sie bei entsprechenden Funden zur Seite. Am Ende des Tages wird die Polizei 33 Anzeigen erstattet haben, unter den Straftaten sind Delikte wie das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, Körperverletzung und Verstöße gegen das Waffengesetz. Vor der Polizei kontrolliert der von der NPD eingesetzte Ordnerdienst im völkisch anmutenden Dress um den NPD-Kommunalpolitiker Alexander Lindemann und die „Aktionsgruppe Nordhausen“ die Besucher und klebt Symbole und Tätowierungen in großem Maßstab ab.

 

Auch die Zahl der Teilnehmer, die an dem Samstag  in umgedrehten T-Shirts umher laufen, wächst stetig. Dazu gehören ebenso Mitglieder der NPD Sachsen-Anhalt, die in einheitlichen roten T-Shirts mit Rückenaufdruck anreisen. Wegen des Uniformierungsverbotes müssen auch sie ihre Shirts auf links wenden.

 

Die Veranstaltung am 9. August ist eine von fünf Events in diesem Jahr, die von Thüringer Neonazis als „politische Versammlungen mit Musikdarbietungen“ angemeldet wurden, die Auftritte der Rechtsrock-Bands wechseln sich mit kurzen Redebeiträgen ab. Die behördlich schwer zu unterbindende Musikveranstaltung wird Umschlagplatz für Neuigkeiten, Rekrutierungsfeld und Kontaktbörse mit weitaus mehr Neonazis, als zu konspirativen Konzerten oder Parteiveranstaltungen zu mobilisieren wären. In Sondershausen zieht besonders die „Lunikoff -Verschwörung“ um den Sänger der verbotenen Band „Landser“ viele Neonazis auf das Gelände.

 

„Nach Frankreich fahren wir nur auf Ketten“

 

Die Kleidung der anreisenden Neonazis in Sondershausen wird zu einem Schaulaufen der modernisierten rechtsextremen Szene. Neben den obligatorischen Shirts, Pullovern und Jacken von „Thor Steinar“ und „Ansgar Aryan“, präsentieren die Neonazis auf ihren Shirts die von ihnen favorisierten Bands vom althergebrachten Skinhead-Rechtsrock bis hin zum braunen Hatecore. Oftmals verweisen die Bandnamen auf die Tradition, in der sich die extreme Rechte verortet: so steht beispielsweise „SKD“ für „Sonderkommando Dirlewanger“, eine SS-Sondereinheit, die im Zweiten Weltkrieg in großem Ausmaß Kriegsverbrechen beging, die Band „Sturm 18“ trägt gleich im Titel den Zahlencode für „Adolf Hitler“.

 

Auch die Band „Freiwild“ ist bei den anwesenden Neonazis beliebt, andere präsentieren ihr Shirt von „Screwdriver“, der britischen Pionierband des Rechtsrock, und die Aufschrift „28 – ich lass mich nicht verbieten“ zeigt die Sympathien mit dem in Deutschland verbotenen Neonazi-Netzwerk „Blood&Honour“. Andere Motive zeigen die unverhohlene Verehrung der Wehrmacht: „Nach Frankreich fahren wir nur auf Ketten“, der Verbrechen verherrlichende Spruch: „Opa war in Ordnung“ oder: „Wir holen uns zurück, was uns gehört“ mit Pfeilen auf einer Landkarte, die von Deutschland nach Polen hinein führen. Schon Kinder auf der Hüpfburg auf dem Gelände tragen T-Shirts mit dem Konterfei eines Wehrmachtssoldaten. Dazu passend spielt die sächsische Band „Heiliges Reich“ ihren Song „Reisegruppe Tolerant“ mit Zeilen wie: „Die Züge sind voll, die Stimmung ist toll, die Fahrt geht in Richtung Osten“, eine unmissverständliche Anspielung auf die Deportationszüge im Dritten Reich.

 

„Gaufeldzeichen“ der Hitlerjugend

 

Den anwesenden Neonazis in Shirts mit Sprüchen wie „Kein Bock auf Israel“ dürfte besonders die Rede des Niedersachsens Dieter Riefling gefallen haben, der immer wieder gegen „USrael“ hetzt und mit der von ihm herbei fabulierten „Überfremdung“ für die Kampagne „Tag der deutschen Zukunft“ wirbt, für die an einem Stand in Sondershausen mobilisiert wird. Unter Fahnen von NPD und dem historischen „Gaufeldzeichen“ der Hitlerjugend mit gekreuztem Hammer und Schwert eint die Redner aus den oft konkurrierenden Spektren der extrem Rechten an diesem Tag ihr strömungsübergreifender Appell an die anwesenden Neonazis, der NPD in Thüringen zu mehr Stimmen bei der anstehenden Landtagswahl zu verhelfen.

 

Sebastian Schmidtke von der NPD-Berlin mit dem T-Shirt „Ariogermanische Kampfgemeinschaft“ erklärt am Mikrofon, es gebe momentan in der „nationalen Freiheitsbewegung“ keine Alternative zu der nicht verbotenen NPD, deren Verband in Thüringen einer der stärksten Verbände bundesweit sei. Populistisch wettert auch er gegen die „Schwachmatenpolitiker“, führt in antisemitischer Manier Israel und die USA als „Strippenzieher“ ins Feld und straft die „Alternative für Deutschland“ (AfD) als billigen Abklatsch der NPD ab. Auch Patrick Schröder aus Bayern und der sächsische NPD-Funktionär Olaf Rose greifen auf der Bühne zum Mikrofon.

 

Unverhohlene Drohung auf dem Shirt eines Teilnehmers

 

An den Verkaufsständen und Informationstischen wie dem Stand des Holocaust-Leugnernetzwerks „Europäische Aktion“ tauschen sich unterdessen die Neonazis unterschiedlicher Couleur aus. Zu ihnen gehören auf den ersten Blick so unterschiedliche Personen wie beispielsweise der Bundesvorsitzende der „Schlesischen Jugend“, Fabian Rimbach, und Maik Eminger aus dem Umfeld des ehemaligen „Blood&Honour“-Netzwerks. Während der Reden unter der heißen Sonne in Sondershausen steigt mit voranschreitender Zeit bei manchen Besuchern auch der Alkoholpegel. Zwar wird auf dem Gelände nur alkoholfreies Bier ausgeschenkt, doch in den Kofferräumen ihrer um die Ecke geparkten Autos haben viele Neonazis offenbar für Vorrat gesorgt. Als Anmelder kündigt der Vorsitzende des NPD-Kyffhäuserkreisverbandes Patrick Weber an, alkoholisierte Besucher würden des Geländes verwiesen oder gar nicht erst eingelassen, gegenüber der Polizei schimpft Weber über das „asoziale Pack“.

 

Der NPD-Kommunalpolitiker Weber betreibt auch den Germania-Versand, der kurz vor dem „In.Bewegung“-Konzert eine DVD mit der Aufzeichnung des Events im vergangenen Jahr veröffentlichte. Unter „Neuigkeiten“ sind dort auch T-Shirts mit einem abgebildeten Schaf und der Aufschrift „Freiheit für Wolle“ erhältlich, die für die Freilassung des im Münchner NSU-Prozess angeklagten Neonazis Ralf Wohlleben werben.

 

Dass aus Sprüchen auf T-Shirts leicht traurige Realität werden kann, beweist nach dem Ende der Veranstaltung am 9. August die Schändung des jüdischen Friedhofs in Sondershausen in der Nacht zum Sonntag. Die Polizei ließ offen, ob es einen Zusammenhang zu dem Rechtsrock-Event gibt. Dort war auf dem T-Shirt eines Teilnehmers noch die unverhohlene Drohung zu lesen: „Eines Tages werden sie sich wünschen, wir werden nur Musik machen“.