Labitzke-Areal geräumt
Am Donnerstagvormittag hat die Stadtpolizei Zürich das besetzte Labitzke-Areal gestürmt. Die Abbrucharbeiten begannen, noch während die letzten Besetzer von der Polizei verhaftet wurden.
Katrin Schregenberger
«Jetzt kommt der Wolf aber wirklich», schrieben die Besetzer des Labitzke-Areals am Donnerstagmorgen um 7 Uhr 30. Anders als in den Tagen zuvor war es dieses Mal kein Fehlalarm. Polizeivorsteher Richard Wolff kam, wenn auch nicht in eigener Person. Ein Grossaufgebot der Stadtpolizei Zürich sperrte das Gelände rund um das besetzte Areal ab, Kastenwagen und ein Wasserwerfer fuhren vor. Einige Sympathisanten, die sich bereits vor dem Eintreffen der Polizei vor dem Eingang des Areals versammelt hatten, johlten; auch ihr Warten hatte endlich ein Ende.
Der harte Kern
Polizisten in Schutzuniform brachten sich darauf in Formation und drängten die Demonstranten zur Seite. Dann wurden die ersten Mauern der Festung abgetragen: Gitter und Absperrungen wurden entfernt. Eine Gruppe Polizisten drang auf das Gelände vor, das Ziel klar im Auge: Auf dem Turm des Gebäudekomplexes hatte sich der harte Kern der Besetzer verschanzt, fünf Männer. Wie ein Kapitän, der sein Schiff als Letzter verlässt, entschieden auch sie sich – ein Bier in der Hand –, dem Fall ihrer Festung bis zum bitteren Ende zuzusehen. Dieses Ende gestaltete sich zäh. Die Polizei musste sich stundenlang mühsam den Weg durch das verbarrikadierte Gelände bahnen und suchte alles nach gefährlichen Gegenständen und Besetzern ab, eingedeckt mit Schmährufen aus dem Turm. Genüsslich betrieben die Aktivisten ein Katz-und-Maus-Spiel mit den Einsatzkräften. Vereinzelt flogen Farbbeutel durch die Luft. Ein Besetzer wurde mit Hilfe einer Drehleiter von Schutz und Rettung Zürich von einem Holzgerüst geholt, ein zweiter von einem Hausdach, auf dem er rittlings sitzend, singend und tanzend der Polizei möglichst viele Schwierigkeiten bereitete.
Auch die Demonstranten, die sich vor dem abgesperrten Gebiet zusammengerottet hatten, hielten die Einsatzkräfte auf Trab. Sie skandierten Sprüche und hielten ein Transparent hoch. Nach einer Vorwarnung löste die Polizei die unbewilligte Demonstration auf. Sechs Personen wurden vorläufig zur Überprüfung festgenommen, wie die Polizei in einer Mitteilung festhielt.
Das Ende kam langsam, aber es kam. Gegen Mittag konnte die Polizei das zentrale Gebäude des Areals sichern und die letzten Besetzer vom Turm holen. Fast schmächtig wirkten die jungen Männer, als sie sich widerstandslos von der Polizei an den zahlreichen Medienvertretern vorbei abführen liessen. Kurz nach 13 Uhr 30 war das von Abfall übersäte Areal geräumt.
Aus Sicht der Polizei ist die Räumung problemlos und gewaltfrei verlaufen, wenn man von den lauthals schreienden Demonstranten und Besetzern absieht. Auf dem Areal wurden insgesamt 13 Personen verhaftet. 10 davon werden wegen Gewalt und Drohung gegen Behörden sowie wegen Hausfriedensbruchs angezeigt, wie die Polizei mitteilte. Ob die Kosten für die Räumung auf die Besetzer überwälzt werden, wird derzeit geprüft, wie Mediensprecher Michael Wirz der NZZ sagte.
Anzeige am Morgen
Noch während die Räumung im Gange war, begannen Arbeiter bereits mit dem Abbruch. Dieses Vorgehen hatte die Eigentümerin des Geländes, die Mobimo AG, gegenüber der NZZ bereits im Vorfeld angekündigt. Man sei froh, dass die Räumung weitgehend problemlos verlaufen sei, sagte Sprecherin Christine Hug auf Anfrage. Die Immobilienfirma hatte am Donnerstagmorgen Anzeige eingereicht. Auf eine nochmalige Verlängerung der Frist für die Besetzer wollte sich die Firma nicht einlassen. Um zu verhindern, dass die Gebäude gleich wieder besetzt werden, lässt die Firma das Gelände ab sofort rund um die Uhr bewachen. Mit dem Baustart rechne sie Anfang 2015, sagt Hug.
Das Areal war im September 2011 besetzt worden. Über längere Zeit wurden zwischen der Stadt, dem Eigentümer und den Besetzern Verhandlungen geführt. Diese wurden aber abgebrochen. Am Montag hatten die letzten verbliebenen Mieter ihre Schlüssel nach einer verlängerten Auszugsfrist abgegeben. Die Besetzer kündigten jedoch an, das Gelände nicht widerstandslos aufzugeben. Am Dienstag legten sie den Verkehr auf der Hohlstrasse mit einem Sitzstreik lahm. 16 Personen wurden bei der Protestaktion verhaftet. Sie befinden sich mittlerweile alle wieder auf freiem Fuss. Am Schluss blieb die Aktion nicht mehr als ein Strohfeuer: Die Festung ist gefallen.
Kritik am Stadtrat von links und rechts
jhu. ⋅ «Es wird enger und kälter in der Stadt.» So fasst die AL ihr Bedauern über die Räumung des Labitzke-Areals zusammen, die ihr eigener Stadtrat Richard Wolff durchführen musste. Der Stadtrat und die von ihm eingesetzte Task-Force hätten kaum wirksam Gegensteuer gegen die Eigentümerin Mobimo gegeben, die von Anfang an eine apodiktische Herr-im-Haus-Position eingenommen habe. So sei nun eine Zwischennutzung vorzeitig beendet worden, lange bevor der eigentliche Neubau in Angriff genommen werden könne. Erneut entstehe damit in der Stadt eine ungenutzte Brache.
Kritik am Stadtrat übt auch die SVP, freilich unter anderen Vorzeichen: Viel zu lange habe die Stadt mit der Räumung zugewartet, sagt Gemeinderat Mauro Tuena. Dank der guten Leistung der Polizeikräfte hätten immerhin grössere Ausschreitungen verhindert werden können. Die Laissez-faire-Politik des Stadtrates müsse aber endlich aufhören. Den Chaoten lasse man alles durchgehen, während der normale Bürger schon bei der geringsten Überschreitung gebüsst werde.