Kann ein Wagen Sünde sein?

Erstveröffentlicht: 
23.04.2014
Er trägt Iro, in Gelb, seine Hosen sind löchrig, auf einem Hosenbein prangt ein Aufnäher: "Freedom lives when the state dies" – Die Freiheit lebt, wenn der Staat stirbt. Wenn man Thomas fragt, was er sonst so macht, dann sagt er: "Leben." Thomas gehört zum Freiburger Wagenburg-Kollektiv "Sand im Getriebe". Und das ist momentan wagenlos.

 

Sie waschen in Eimern, kochen mit Gas und betreiben ihre Laptops mit Autobatterien oder Solarpanels. Für die einen sind sie versiffte Habenichtse, die nicht mal eine eigene Wohnung stemmen können. Für die Wagenburgler ist es das schönste Leben der Welt. Ein gemeinsames, auf das Wesentliche reduziertes, bewusstes Dasein. Wie Dauercampen alternativ. Nur ein bisschen bunter.

 

Seit 2011 tingelt die Truppe in und um Freiburg durch die Landschaft auf der Suche nach einem Platz, an dem sie bleiben kann. Mit 13 Wagen und zwölf Menschen, die lieber das Leben, das Wetter, das Licht und das Freisein genießen, als sich in das enge Korsett des gesellschaftlich Gewünschten pressen zu lassen. Sie leben Konsum-Minimalismus, benötigen keine Shoppingmalls, nicht einmal Wohnungen, die sie mieten könnten. Das macht sie entbehrlich, weil sie kaum einem nützlich sind außer sich selbst und kaum etwas haben wollen außer der eigenen Zufriedenheit und einer Wiese. Deshalb sind sie eigentlich dauernd im Weg.

 

Rund 100 Wagenburgen soll es in Deutschland geben. In Karlsruhe gibt es welche, in Tübingen sind sie etabliert, in Darmstadt, Kassel und Lübeck gehören sie dazu, in Kiel hat die Stadt sogar ein 70 000-Quadratmeter-Areal zur Wagenburg-Zone erklärt. In andere Städten sind sie oft nur befristet geduldet, manchmal illegal, ab und zu gänzlich unerwünscht, wie in Stuttgart, da gibt es seit den Achtzigern keine mehr.

 

Die Uni-Stadt Freiburg, mit Dieter Salomon, dem ehemals ersten grünen Bürgermeister einer deutschen Großstadt und dem Bio-Vorzeige-Viertel Vauban, ist die "Hochburg des Lebens auf Rädern", wie die "Badische Zeitung" einmal schrieb. Dort gibt es drei Wagenstellplätzen mit 20, 31 und 45 Stellplätzen, sie wurden über einige Jahrzehnte hart erkämpft und sind voll. Wie die meisten der wenigen etablierten in Deutschland. Und neue in Freiburg, beschloss der Gemeinderat, brauche es keine.

 

Die Wagen von "Sand im Getriebe" sind nun abgeschleppt worden. Wegen Wildparkens an diversen Straßenrändern und "weil eine weitere illegale Besetzung von Flächen in der Stadt drohte", teilt das Ordnungsamt mit. Jetzt stehen die rollenden Zuhause beschlagnahmt auf einer traurigen städtischen Wiese hinter einem polizeibewachten Zaun. Ihre Besitzer leben bei Bekannten und Freunden – in richtigen, festen vier Wänden. Sogar Kater Adorno. Zumindest solange, bis die Gruppe eine "legale Standfläche" vorweisen kann, die auch allen Seiten passt. Aber das kann dauern.

 

Und so wird die Wagenburg-Gruppe "Sand im Getriebe" im toleranten, grünen Freiburg wohl erst mal eine Ohne-Wagen-Gruppe bleiben.

Kontext hat die Bewohner gefragt, was sie in ihrem neuen, sesshaften Leben am meisten vermissen. "Das morgens einer mit einer Tasse Kaffee an der Wagentür klopft", sagt Thomas mit dem gelben Iro.