Koblenz: Neonazis, Waffen und Gewalt - Chronologie ausgewählter Vorfälle im nördlichen Rheinland-Pfalz seit 1990

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Eine Handreichung der Antifa Koblenz || Vorbemerkung

Schlagzeile vom 8. Oktober 2012: „Verbotene Neonazi-Vereine horteten 147 Waffen in NRW“. Kaum eine Hausdurchsuchung bei Neonazis ohne Waffenfund: Messer, Baseball-schläger, Schusswaffen. Erstaunt wird reagiert, wenn es ein gewalttätiger Vorfall in die Medien schafft. Für gewöhnlich wird dies dann als „Einzelfall“ dargestellt. Ebenso erstaunt reagierte die Öffentlichkeit nach dem Auffliegen der Zwickauer Terrorzelle „NSU“. Verdrängt wird, dass es in diesem Land seit Jahrzehnten rechtsterroristische Aktivitäten gibt und dass Neonazis immer wieder schwere Gewalttaten begehen – bis zum Mord. Dabei handelt es sich nicht um Einzelfälle, denn „Einzelfallbezogen“ lassen sich überall finden. So wurden seit 1990 über 180 Menschen zu Todesopfern rechter Gewalt.

 

Vorbereitungen für den „Tag X“


Das Sammeln von und das Üben mit Waffen kann bei Neonazis als Regel bewertet werden. Ihr mörderisches Weltbild ist auf Gewalt ausgelegt. Uneinig sind sich Neonazis aber darüber, wann losgeschlagen werden soll. Für den Neonazi, der in Koblenz Frank Bönisch erschoss, war der richtige Zeitpunkt ge-kommen, als sich in Rostock tausende Menschen an rassistischen Ausschreitungen beteiligten. Auch für die Terrorzelle „NSU“ war der richtige Zeitpunkt zum losschlagen schon gekommen. Andere werden bei ihren Planungen von der Polizei überrascht. So etwa die „Kameradschaft Westerwald“, die immer vom „Tag X“ redete. Mit „Tag X“ meinten sie den Tag, wenn sie mit der Hakenkreuzfahne in der Hand in Berlin einmarschieren würden. Einen anderen „Tag X“ setzten einige dieser Neonazis im Januar 2005 um: Angehörige der „Kameradschaft Westerwald“ wollten ein Konzert von Jugendlichen aus der Punk-Szene überfallen – als Parole zum losschlagen wurde ausgegeben: „Smash the Reds“ („Zerschlagt die Roten“). Auch die Neonazis vom „Aktionsbüro Mittelrhein“ planten für die Zukunft: Einige reisten nach Bulgarien, um an einem Schießtraining mit automatischen Schusswaffen teilzunehmen. Es stellt sich die Frage: Was geht in den Köpfen dieser Neonazis vor? Warum bereiten sie sich mit Waffen-training vor? Und auf was bereiten sie sich vor?

 

Für eine ehrliche Diskussion!


Das Herunterspielen von neonazistischen Taten und Strukturen muss aufhören. Es kann nicht erst gehandelt werden, wenn es zu Waffen-funden und schwersten Gewalttaten kommt. Wir fordern eine ehrliche und offene Diskussion über die Gefahren, die von Neonazis ausgehen, und den Umgang damit. Die aufgelisteten Vorfälle zeigen, dass es ein Problem mit Neonazis gibt und von ihnen Gefahren ausgehen.

 

Im nördlichen Rheinland-Pfalz versuchen Staatsanwaltschaft und Polizei, das Problem mit dem Strafrecht in den Griff zu bekommen. Neonazis stellen jedoch ein gesamt-gesellschaftliches Problem dar.

 

Alltagsrassismus und die Ausgrenzung von sozial Randständigen werden sowohl von Neonazis, als auch aus der Mitte der Gesellschaft praktiziert.

 

Das Problem wird nicht dadurch gelöst, wenn alle paar Jahre eine Kameradschaft von Behörden zerschlagen wird. Es muss eine ehrliche Diskussion darüber stattfinden, wo von Neonazis eine Gefahr ausgeht.

 

Dazu muss die Öffentlichkeit informiert werden. Das machen die Behörden aber nicht.

 

Beispiel Aktionsbüro Mittelrhein:


Jahrelang haben Behörden das Problem mit den Neonazis heruntergespielt und sich geradezu über diejenigen belustigt, die vor den Neonazis gewarnt haben. So sagte der SPD-Vorsitzende von Bad Neuen-ahr-Ahrweiler im Deutschlandradio am 8. April 2013 selbst-kritisch:

„Man kann … den kleinen Vorwurf machen, dass … bis zum Februar 2012 das Thema nicht so richtig ernst genommen wurde.“


Die Neonazis vom Aktionsbüro waren da schon seit fast 10 Jahren in der Region aktiv… Von antifaschistischer Seite wurde schon länger über das „Aktionsbüro Mittelrhein“ informiert, wie auch der hochrangige Polizeibeamte Wolfgang Bula, der die Razzia gegen das „Aktionsbüro Mittelrhein“ leitete, öffentlich bei einer Veranstaltung der Landeszentrale für politische Bildung zugab:

„Unsere Informationen über das Aktionsbüro Mittelrhein, das sich zunächst kämpferisch „Aktionsfront“ nennt und sich 2004/2005 gegründet hatte, war äußerst bescheiden, um das gelinde auszudrücken. Deutlich besser war hier die Antifa; deren Mitglieder haben sehr, sehr intensiv Aufklärung betrieben und das im Unterschied zu uns, auch dokumentiert.“
Quelle: Gedenkarbeit in Rheinland-Pfalz Nr. 9, herausgegeben von der Landeszentrale für politische Bildung RLP


Das „Aktionsbüro Mittelrhein“


Die Neonazis vom „Aktionsbüro Mittelrhein“ waren seit 2003 aktiv und hatten versucht, im Hinterland zwischen Bonn und Koblenz eine „national befreite Zone“ zu schaffen. Ein Schwerpunkt der Neonazis waren Übergriffe auf Menschen, die nicht in ihr Weltbild passten – vor allem Migranten und Linke. Dabei hatten die Neonazis ihre mörderische Gesinnung nicht versteckt: Auf einem Flyer für eine Sylvesterparty waren die Buchstaben NSU farblich hervorgehoben. Ein Auto, das die Neonazis bei Aufmärschen und im Wahlkampf für die NPD verwendeten, trug das Nummernschild AW-X-3107 – ein positiver Bezug auf das Todesdatum von Dieter Klaus Klein. Seit August 2012 stehen 26 Neonazis vor Gericht. Damit ist der Prozess gegen die Neonazis in Koblenz einer der größten Prozesse gegen Neonazis in der Bundes-republik.

 

Chronologie ausgewählter Vorfälle aus dem nördlichen RLP:


1990


Der 17-jährige Flüchtling Nihad Yusufoglu und seine beiden Brüder werden am 28. Dezember in Hachenburg (Westerwald) vor ihrem Elternhaus von einer Gruppe Neonazis angegriffen. Nihad wird durch einen gezielten Messerstich ins Herz getötet.

 

Ein Wohnhaus in der Nähe von Montabaur, das von Menschen aus der Punkszene bewohnt ist, wird mehrfach von Neonazis angegriffen, Scheiben werden durchschossen.

 

1992


Im Stadtpark von Bad Breisig schläft in der Nacht vom 31. Juli zum 1. August der Wohnungslose Dieter Klaus Klein. Er wird durch das „Sieg Heil“-Gebrüll einer Gruppe Neonazis wach und verbittet sich den Krach. Zwei der Neonazis treten daraufhin auf ihn ein und stechen ihn mit einem Kampfmesser nieder.


Am 24. August wird der Wohnungslose Frank Bönisch am Koblenzer Zentralplatz von einem 23-jährigen Neonazi erschossen, weitere Menschen werden angeschossen. Der Zeitpunkt der Tat ist kein Zufall: Der Neonazi nimmt Bezug auf die rassistischen Ausschreitungen in Rostock, die zeitgleich stattfinden und an denen sich auch Neonazis aus der Region beteiligten.

 

2001


In der Nacht auf den 6. Mai wird an einer Grillhütte bei Mühlheim-Kärlich ein 28-jähriger Punk von einem Neonazi nieder-geschossen. Die Kugel bleibt kurz vor dem Herz stecken, der 28-jährige überlebt schwer verletzt. Vorrausgegangen waren antisemitische Sprüche des Neonazis und eine verbale Auseinandersetzung.

 

2003


In Koblenz findet die Polizei am 22. Februar bei dem damaligen Berufssoldaten Sven Lobeck mehrere scharfe großkalibrige Handfeuerwaffen. Lobeck fliegt daraufhin aus der Bundeswehr. 2005 tritt er in die NPD ein, tritt als Bundestagskandidat an und wird Kreisvorsitzender der NPD Koblenz. Beim „Aktionsbüro Mittelrhein“ ist er eine der führenden Figuren. Aktuell sitzt Lobeck in Untersuchungshaft, er ist Angeklagter im Prozess gegen das Aktionsbüro.

 

 

2005


Neonazis der „Kameradschaft Westerwald“ versuchen, am 29. Januar ein Konzert an einer Grillhütte bei Daaden (Westerwald) anzugreifen. Mit Baseballschlägern bewaffnet werden mehrere anreisende Besucher_innen in ihren Autos angegriffen und teilweise mit dem Tode bedroht. Bei einer Razzia gegen die „Kameradschaft Westerwald“ im Mai werden bei Christian Steup Übungshandgranaten gefunden. Wegen diesen musste er sich vor Gericht verantworten. Steup war Mitglied der „Kameradschaft Westerwald“ und der NPD, sowie NPD-Kreisvorsitzender im Westerwald ist. Aktuell ist Steup im Vorstand der NPD-Abspaltung „Der III. Weg“.

 

2010


Neonazis locken einen „Verräter“ zu einer Grillhütte bei Höhr-Grenzhausen (Westerwald), dort findet am 23. Oktober eine größere Party statt. Der „Verräter“ wird brutal zu Boden geschlagen und zusammengetreten bis er sich nicht mehr bewegt. Die Neonazis lassen erst von ihm ab, als er sich schwer verletzt ohnmächtig stellt.

 

2012


Im Frühjahr reisen Neonazis vom Aktionsbüro Mittelrhein nach Bulgarien, um dort an einem Schießtraining teilzunehmen. Die Neonazis aus Bad Neuenahr trainieren dort auch mit vollautomatischen Schusswaffen.

 

Am 13. März findet eine große Razzia in mehreren Bundesländern gegen die Neonazis vom Aktionsbüro Mittelrhein und ihre Unterstützer statt. 26 Neonazis werden verhaftet. Bei den Hausdurchsuchungen werden Schusswaffen, Messer und Baseballschläger gefunden.

 

Am 19. Januar greift der 26-jährige Neonazi Benjamin Berger im Koblenzer Löhr-Center einen 16-jährigen Jugendlichen an, schlägt ihm die Nase blutig. Als der Jugendliche am Boden liegt, tritt der Neonazi mit seinen Springer-stiefeln auf ihn ein.

Der Neonazi ist stadtbekannt und vorbestraft, im Internet präsentiert er sich vor dem Übergriff mit seinen Hakenkreuztätowierungen und einer Axt, in die mehrere Hakenkreuze eingraviert wurden. Dazu schreib er:
„Antwort für meine Feinde … und ja ich will spielen“.

 

Am 5. September werden bei der Razzia gegen die Westerwälder Neonazi-Untergrundband „Kaltes Judenleder“ Schusswaffen und Munition gefunden. Einer der Neonazis war bereits Mitglied der „Kameradschaft Wester-wald“.


Über uns


In der Gruppe Antifa Koblenz arbeiten Menschen seit 2002 zu Themen wie Neonazis und (Alltags-)Rassismus. Aus Schutz vor Neonazis arbeiten wir anonym, sind aber zu einem persönlichen Treffen bereit.

 

Kontakt:


antifa-koblenz@riseup.net

www.antifakoblenz.noblogs.org