Landes- und Bundespolizeien trainieren europaweit gegen linke Proteste. Sie arbeiten dabei auch mit quasi-militärischen Gendarmerien zusammen
Mindestens 300 Polizisten aus Deutschland und Frankreich haben in einer gemeinsamen Übung die Kontrolle einer Demonstration des "Blockupy"-Bündnisses geübt. Dies geht aus einer Antwort[1] des Bundesinnenministeriums auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion hervor. Die Übung fand demnach am 10. Oktober 2013 im Dörfchen Quierschied-Göttelbom in der Nähe von Saarbrücken statt. Für die Vorbereitung und Durchführung war die Landespolizei Saarland verantwortlich, für das Bundesland nahm eine ganze Hundertschaft der Bereitschaftspolizei teil. Auch andere Bundesländer hatten Interesse. Sie waren durch den Inspekteur der Bereitschaftspolizeien der Länder vertreten.
Seitens französischer Behörden reisten eine Hundertschaft der Bereitschaftspolizei sowie eine Hundertschaft der "Gendarmerie mobile" ins Saarland. Die "Gendarmerie mobile" ist eine auf die Niederschlagung von Aufständen spezialisierte Einheit, die in Frankreich historisch für Einsätze in ländlichen Umgebungen zuständig war.
Als "Übungslage" wurde ein "Aufzug mit Zwischen- und Abschlusskundgebung" simuliert. Zugrunde lag ein "Demonstrationsgeschehen", wie es sich vorher in Frankfurt abgespielt hatte: Ein Bündnis mehrerer Gruppen[2] führte zum zweiten Mal die "Blockupy"-Aktionstage durch, um gegen die Krisenpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) zu demonstrieren. Letztes Jahr hatte die Polizei die Demonstration brutal angegriffen, vorzeitig gestoppt und über viele Stunden eingekesselt. Die jetzige Übung diente aber den erwarteten Blockaden anlässlich der bevorstehenden Eröffnung des EZB-Neubaus: Geprobt wurden der "Objektschutz" und das "Lösen von Blockadesituationen".
"Bohrhammer, Trennschleifer, Schienentrenngerät und Kernbohrgerät"
Es ist unklar, inwieweit französische Polizisten in Frankfurt eingesetzt werden sollen. Bereits beim Castor-Transport 2010 waren Polizisten aus Frankreich zugegen - allerdings nur drei, die kaum einsatzentscheidend gewesen sind. Obwohl sie auch prügelten und an Demonstranten herumgezerrt hatten, stand die gegenseitige Einsatzbeobachtung im Mittelpunkt (Ausleihe prügelnder Polizisten bald "gängige Praxis"?[3]). Für die grenzüberschreitende Ausleihe oder Ausbildung existieren mehrere Regelungen, darunter das bilaterale "Mondorfer Abkommen" zwischen Frankreich und Deutschland. Derartige Absprachen wurden mit dem "Vertrag von Prüm" auf die Ebene der Europäischen Union gehievt.
Auch mit Polizeibehörden aus Belgien und Luxemburg wurde die "Beseitigung" von bei Atomtransporten beliebten Blockaden geprobt. Laut der Antwort hat hierzu eine Übung in Bad Bergzabern stattgefunden, wo der "Einsatz von technischen Geräten zur Beseitigung von Betonblockaden" trainiert wurde. Hierzu gehören Röhren, die unter der Schiene angebracht werden und in denen sich Aktivisten die Arme zusammenketten. Zertrümmert wurden auch ein in das Gleisbett eingelassener Betonblock sowie ein freistehender Betonblock "mit eingelassener Armröhre". Die Polizisten rückten mit schwerstem Gerät an: Bohrhammer, Trennschleifer, Schienentrenngerät und Kernbohrgerät.
Im Sommer 2012 fand in Bayreuth eine Übung statt, bei der unter anderem "Hausbesetzung, Wohnungsdurchsuchung, Schießen" auf dem Programm stand. 90 Polizeibeamte Bundes und der Länder sowie aus Österreich übten das Vorgehen gegen Personen, die vermeintlich "Straftaten begangen hatten". Ganz dem Klischee von Hausbesetzern entsprechend hätten sie sich "den polizeilichen Maßnahmen in leerstehenden Häusern entziehen" wollen. Wie bereits zur Übung gegen "Blockupy" behauptet habe "deeskalierendes und kommunikatives Verhalten" zwar nicht im Mittelpunkt gestanden, sei aber wenigstens "berücksichtigt" worden.
"Motorsäge, Trennschleifer, Ramme und Leitern"
Seit 2010 nahm allein die Bundespolizei an 73 grenzüberschreitenden Übungen[4]. Für die Länderpolizeibehörden existieren keine belastbaren Zahlen. Bekannt ist beispielsweise, dass Hamburg die Polizei aus Istanbul unterstützt. Weitere Übungen befassten sich mit "Hooliganismus" (gemeinsam mit Polen) oder der "Bewältigung unfriedlicher demonstrativer Aktionen" (mit der Tschechischen Republik). Auch hier standen Blockaden im Fokus: Zu den genutzten "technischen Einsatzmitteln" gehörten "Motorsäge, Trennschleifer, Ramme und Leitern" sowie der Einsatz von Hunden. Als Ausgangslage galt eine "zeitgleiche Demonstration links- und rechtsextremer Gruppierungen".
Während die Europäische Union seit 2011 keine grenzüberschreitenden Trainings mehr anbietet, scheinen diese nun vermehrt auf bilateraler Ebene stattzufinden (Terroralarm in Rauhberg[5]). Gleichzeitig baut die EU aber ein Netzwerk polizeilicher Spezialkräfte auf, das unter dem Namen ATLAS firmiert. Dort organisieren sich auch Gendarmerien, die teilweise dem Militär unterstehen. Derzeit hat Deutschland den Vorsitz dieses europaweiten Verbundes inne, Koordinator ist der GSG-9-Kommandeur Olaf Lindner.
Auch die ATLAS-Spezialtruppen trainieren regelmäßig. Zuletzt fand im April 2013 die "bislang komplexeste Krisenreaktionssimulation"[6] auf europäischer Ebene statt. Die Leitung oblag der Bundespolizei bzw. der GSG 9, geprobt wurden "terroristische Angriffssimulationen". Der ATLAS-Verbund soll auch zuständig sein, um Missionen nach der sogenannten "Solidaritätsklausel" auszuführen. Diese im Artikel 222 des Vertrages zur Arbeitsweise der EU angelegte Bestimmung soll den Einsatz von Polizei, Geheimdiensten oder Militär in einem anderen EU-Mitgliedstaat regeln. Voraussetzung ist, dass dieser zuvor den Notstand ausruft und um Hilfe bittet (Bald EU-Aufstandsbekämpfung bei Generalstreiks und Schweinegrippe?[7]).
[1] http://dokumente.linksfraktion.net/mdb/KA_18_404_%C3%9Cbungen_Bundespoli...
[3] http://www.heise.de/tp/artikel/33/33684/
[4] http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/000/1800051.pdf
[5] http://www.heise.de/tp/artikel/33/33008/
[6] http://ec.europa.eu/deutschland/press/pr_releases/11316_de.htm
[7] http://www.heise.de/tp/artikel/38/38500