Mit Blick auf die Demonstration am 15.02.2014 in Magdeburg, zum Prozess gegen neun Neonazis die einen Menschen schwer verletzten und misshandelt haben, blicken wir zurück auf Fälle in der Vergangenheit, die sich in der Landeshauptstadt von Sachsen-Anhalt ereignet haben.
In Magdeburg sind Angriffe auf Migrant_innen, Linke, oder Menschen die nicht in das Weltbild der Neonazis passen an der Tagesordnung. Von der Politik und den Medien werden die Taten der Neonazis oft verharmlost, heruntergespielt oder verschwiegen. Seid 1990 gab es in Magdeburg mindestens 4 Tote durch rechte Gewalt:
1992: Thorsten Lamprecht
Am 9. Mai 1992 brachen 50–60 bewaffnete Neonazis vom Jugendclub "Alexis Kivi" in Magdeburg-Nord mit ca. 20 Fahrzeugen in Richtung der Cracauer Gaststätte "Elbterrassen" auf, wo zu diesem Zeitpunkt etwa 30 Punks eine Geburtstagsfeier veranstalteten.
Gegen 23.00 Uhr wurde die Polizei durch einen offenbar fingierten Anruf an eine weiter entfernte Straße gerufen, weil „Jugendliche Autos demolierten“. Wenig später wurde die Feier von den Neonazis, die sich trotz massiver Gegenwehr Zugang in die Gaststätte verschaffen konnten, mit Baseballschlägern, Stahlrohren und Leuchtkugeln angegriffen. Während des Überfalls riefen die Angreifer wiederholt „Heil Hitler“ und „Sieg Heil“.
In der Zeit von 23:10 Uhr bis 23:20 Uhr erhielt die Polizei mehrere Anrufe von Anwohnern, die auf den Überfall aufmerksam machten. Die daraufhin abgestellten Polizeikräfte forderten weder Verstärkung an noch griffen sie ein, sondern beobachteten lediglich aus einiger Entfernung die Vorgänge. Erst gegen 23:45 Uhr, als die Angreifer sich bereits zurückgezogen und die Krankenwagen die Verletzten abtransportiert hatten, entschlossen sich die Polizeikräfte "einzugreifen". Sie stellten die Personalien der Angegriffenen fest und führten Waffenkontrollen durch.
Infolge der Auseinandersetzungen wurden acht Punks schwer verletzt ins Krankenhaus eingeliefert. Thorsten Lamprecht erlitt lebensgefährliche Kopfverletzungen und erlag zwei Tage später seinen Verletzungen.
Videos:
"Punker-Mord in Magdeburg"
http://www.spiegel.de/video/vor-20-jahren-punker-mord-in-magdeburg-video-1189605.html
"Die Skinheads von Magdeburg "
http://www.spiegel.de/video/skinhead-ueberfall-1992-in-magdeburg-video-1236933.html
1994: Farid Boukhit / "Himmelfahrtskrawalle"
Am 12. Mai 1994 zog ein Mob betrunkener Neonazis anlässlich des Vatertages durch die Magdeburger Innenstadt mit dem bewussten Vorsatz, Jagd auf MigrantInnen zu machen. Mehrere Stunden lang entwickelten sich Hetzjagden und Schlägereien in der Innenstadt, ohne dass die anwesende Polizei direkt eingriff. Retten konnten sich die verfolgten MigrantInnen nur durch die Flucht in die "Marietta-Bar", wo sie von den türkischen Inhabern beschützt wurden. Die darauf einsetzenden Prügelszenen und Messerstechereien zwischen Neonazis und MigrantInnen, bei denen auch Schüsse fielen, brachte die Polizei erst am späten Abend unter Kontrolle.
Schon nach wenigen Stunden ließen die Beamten 49
Festgenommene wieder laufen - ohne die übliche Rücksprache mit
Staatsanwälten. Haftbefehle wurden gar nicht erst beantragt, obwohl
sich Richter dafür bereit hielten. Opferberichten zufolge hatten die
angerückten Polizisten die MigrantInnen zum Teil beschimpft und
durch ordinäre Handzeichen zusätzlich provoziert. Als die Polizei
dann endlich eingriff, nahm diese unverständlicherweise insbesondere
MigrantInnen fest, welche sich gegen die Neonazis zur Wehr gesetzt
hatten. Und ermutigten damit noch den rechten Mob weiter zu machen.
Von den betroffenen Opfern gab es Klagen, sie seien von Beamten bei
der Festnahme schwer misshandelt worden. Bis 18 Uhr nahm die Polizei
13 MigrantInnen und lediglich 10 Deutsche fest. Derweil randalierten
die Neonazis ungehindert auf offener Straße.
Polizisten
beobachten, wie Jugendliche gegen 20.10 Uhr einen Behinderten aus
einer vollbesetzten Straßenbahn werfen. Danach springt einer der
Täter raus und traktiert den am Boden Liegenden zusätzlich mit
Fußtritten.
Nach Ansicht von Zeugen, welche die Szenen beobachteten, war der hauptsächliche Skandal das ignorante Verhalten der Polizei, welche erst spät und zurückhaltend gegen die Neonazis eingriff. Mehrere Augenzeugen bestätigten, dass einzelne Beamte offen ihre Sympathie für die Angreifer bekundeten. Was hingegen nicht so bekannt scheint, ist, dass dieser Tag im nachhinein ein Todesopfer forderte.
Im September 1994 erliegt der 30-jährige Algerier Farid Boukhit seinen schweren Verletzungen, die er am 12. Mai durch prügelnde Rassisten am "Vatertag" erlitten hatte. Die Täter waren während der Krawalle aus der Straßenbahn auf Farid Boukhit zugestürzt und hatten ihn mit Holzknüppeln zusammen geschlagen. Dieser Vorgang spielte sich, laut einem Interview welches er noch kurz nach dem 12. Mai einem Pro7 Fernsehteam aus dem Krankenbett heraus gab, gegen 20 Uhr ab.
Am
27. September 1994 starb Farid Boukhit an den Folgen des Überfalls
vom 12. Mai 1994.
Doch der Tod Farids scheint damals wie heute
vergessen. Zu groß war das internationale Medieninteresse an den
rassistischen Angriffen und dem politischen Skandal um das Verhalten
der Polizei, jedoch nicht die Folgen bei denen von den Übergriffen
Betroffenen. Der damalige Polizeipräsident Antonius Stockmann
erklärte die Ausschreitungen öffentlich schlicht mit einem
unglücklichen Zusammentreffen von "Sonne und Alkohol".
Eine der Ursachen für die Übergriffe sei seiner Meinung nach, dass
die bedrohten MigrantInnen nicht sofort vor den Rassisten die Flucht
ergriffen hätten, "wie man es hätte erwarten können".
Zusätzlich bagatellisierte er die Hetzjagd als "ausgeufertes
Brauchtum".
Auch Äußerungen des damaligen Magdeburger Oberbürgermeister Willi Polte (SPD) kippten noch Öl ins Feuer. Er fand die Ereignisse "außerordentlich bedauerlich", fügte jedoch hinzu, sie sollten "nicht überbewertet" werden. Nach Ansicht des Ordnungsamtsleiters Peter Thomaser war die systematische Hetze auf MigrantInnen nur eine "bessere Wirtshausschlägerei".
Bereits fünf Tage nach den Krawallen hielt Sachsen-Anhalts Innen- und Justizminister Walter Remmers Lob für angebracht. "Die gesamte Leistung der Polizei", verkündete er, "ist für mich beeindruckend." Worauf er sich mit seiner Aussage bezog, blieb vielen ein Rätsel. So hätte sehr früh von Ignoranz und unterlassener Hilfe der verantwortlichen Beamten gesprochen werden müssen. Hinzu kommt, dass der Verfassungsschutz am Vorabend die Beamten vor geplanten rechten Übergriffen gewarnt hatte.
Nazis und Hooligans hatten bereits an früheren Herrentagen randaliert, bevorzugtes Ziel war stets die "Marietta-Bar". Doch die Reaktion des Polizeipräsidenten Stockmann war sehr eindeutig: er verabschiedete sich in einen Kurzurlaub, aus dem er erst nach Ausbruch der Krawalle zurückkehrte. Auf bundesweiter Ebene schien man sich schon eher der politischen Brisanz der Situation bewusst. So äußerte die damalige Frauen- und Jugendministerin Angela Merkel, dass es auch innerhalb der Polizei rassistische Geisteshaltungen geben würde. Eine Erkenntnis, die offensichtlich folgenlos blieb.
Nach den Krawallen wurden insgesamt 15 Ermittlungsverfahren gegen Polizisten wegen Körperverletzung im Amt eingeleitet, es wurden jedoch alle freigesprochen. Ein Beamter, der zunächst suspendiert worden war, wurde 1995 freigesprochen. Insgesamt wurden 86 mutmaßliche Täter der so genannten "Himmelfahrtskrawalle" ermittelt. Am Ende kam es zu acht Verurteilungen. Dem "Imageschaden", welchen die Polizei durch ihr offen rassistisches Verhalten verursachte, versucht die Magdeburger Polizei seit 1996 jährlich mit der Organisation des "Festes der Kulturen" entgegen zu wirken. Eine Veranstaltung, mit keiner ernsthaften Auseinandersetzung mit Rassismus. Wäre dies so, wäre Farid Boukhit in diesem Zusammenhang dort zumindest thematisiert worden. Dies blieb jedoch bis heute aus.
Video:
"Rassistische Hetzjagdten in Magdeburg - 20.05.1994"
http://www.youtube.com/watch?v=kiSNI8jfR0I
1997: Frank Böttcher
Frank Böttcher, der seit kurzer Zeit der Punk-Szene angehörte, war am Nachmittag des 7. Februars 1997 mit einer Straßenbahn zum im Magdeburger Stadtteil Neu Olvenstedt gelegenen Krankenhaus gefahren, um sich dort eine Handverletzung behandeln zu lassen. Den Krankenschwestern berichtete er von einer Gruppe rechter Skinheads, die ihn auf dem Weg angepöbelt hatten. Auf dem Rückweg traf er am späten Abend des 7. Februar an der Endhaltestelle der Straßenbahn erneut auf die Neonazis, die ihn aufgrund seines Aussehens als Punker angriffen. Die Täter rissen ihn zu Boden und traten auf ihn ein. Kurze Zeit später wurden Böttcher mit sieben Messerstichen und Tritten gegen den Kopf tödlich verletzt.
Die Polizei suchte zunächst in "verschiedene Richtungen" (Raubdelikt oder ein Streit unter Linken). Nach Hinweisen wurde nach elf Tagen der gleichaltrige Marcus J. als Täter ermittelt. Er gab vor der Jugendkammer des Landgerichts Magdeburg an, sich von der „äußeren Erscheinung“ des Punks „provoziert gefühlt“ zu haben. Marcus J., der während der Tat stark alkoholisiert war, wurde wegen Totschlags zu einer Jugendstrafe von sieben Jahren verurteilt. Weitere Mittäter wurden durch Polizei und Staatsanwaltschaft nicht ermittelt. Die Darstellung, dass es einen einzelnen Täter gegeben habe, ist mehrfach bezweifelt worden.
Nach der Tat wurde am 3. Januar 1998 auch die Wohnung von Franks älterem Bruder Peter Böttcher von Neonazis überfallen. Dabei wurde Peters Bekannter Gordon G. schwer verletzt.
Keine offizielle Anerkennung
Frank Böttcher wurde bis heute nicht in die offizielle Statistik der Todesopfer rechter Gewalt aufgenommen. Ein Antrag der damaligen PDS, zur "Einstufung des in der Nacht vom 7. zum 8. Februar 1997 verübten Mordes an Frank Böttcher", wurde am 4. September 1997 vom Landtag mehrheitlich abgelehnt und führte im Landtag zu Aussagen wie:
"... Meine Antwort auf den vorliegenden Antrag ist eindeutig...: Die Einordnung des Tötungsdelikts an Frank Böttcher wird in der kriminalpolizeilichen Statistik nicht korrigiert werden. Und damit verleugne und vertusche ich nichts..."
"...Bei dem Tötungsdelikt an Frank Böttcher in der Nacht zum 8. Februar waren diese Merkmale nicht erfüllt..."
"...Wer in Anbetracht der Ermittlungen und der Ermittlungserfolge bei dem Tötungsdelikt an Frank Böttcher glaubt, er könne weitreichende Kritik an Polizei und Landesregierung hinsichtlich der statistischen Einstufung dieser Tat üben und diesbezüglich einen Antrag im Landtag stellen, der irrt sich, meine Damen und Herren. - Danke."
(Minister des Innern Püchel, SPD)
"Sie sollten damit aufhören, zu versuchen, diese Jugendstraftaten unbedingt in politische Kästchen zu quetschen."
(Remmers, CDU)
"Für Frank Böttcher gibt es keinen Gedenkort. Nachdem sein Grab mehrfach geschändet und beschädigt wurde, konnten die Eltern die Kosten der Wiederherstellung nicht aufbringen und ließen das Grab einebnen. An der Endhaltsestelle in Magdeburg-Olvenstedt erinnert ein leerer, beschmierter Gedenkstein an ihn. Die Bronzetafel wurde mehrfach, zuletzt 2009, gestohlen." (AK NR. 569)
Der Mord an Frank Böttcher ist ein weiteres Beispiel dafür wie rechte Morde verschleiert werden und die Statistik "geschönt" wird.
Links:
Protokoll der Landtagsdebatte 1997 zur Frank Böttcher (ab Seite 50)
http://www.landtag.sachsen-anhalt.de/intra/landtag3/ltpapier/plenum/2/067stzg_2.pdf
Interview von Heike Kleffner mit Peter Böttcher (Franks Bruder)
Video:
"Die verschwiegenen Toten" (ab 02:55)
http://www.youtube.com/watch?v=pcL7McRriKw
2008: Rick Langenstein
In der Nacht zum 17. August 2008 wird der 20-jährige Rick Langenstein nach dem Besuch einer Diskothek in Magdeburg getötet. Wie so oft wurde die Tat zuerst von der lokalen Presse verharmlost und die Hintergründe nicht beleuchtet. Der Täter, Bastian O., ist ein Neonazi der bereits wegen Volksverhetzung und rassistischen Angriffen auffiel. Der Neonazi tötete sein Opfer durch unzähligen Schlägen und Tritten.
Zum
Tathergang: Bastian O. fraget Rick Langenstein nach einer Zigarette,
dieser antwortete dass ein „Hobby-Nazi“ von ihm keine Zigarette
bekäme. Der Neonazi, der laut Staatsanwaltschaft auf dem
Oberschenkel ein Hakenkreuz tätowiert hat, schlug danach mit der
Faust, verstärkt gegen den Kopf seines Opfers. Als dieser zu Boden
ging trat Bastian O. mit seinen Springerstiefeln gegen Kopf, Bauch
und Genitalbereich. Als sich das Opfer nicht mehr regte, hat Bastian
O. die Wertsachen des Opfers an sich genommen. Rick Langenstein
erstickte an seinem Blut. Das Landgericht verurteilte den 20-jährigen
Neonazi im Mai 2009 zu einer Jugendhaftstrafe von acht Jahren wegen
Totschlags.
Im Juni 2009 wurde ein Gedenkstein für Rick
Langenstein wenige Meter vom Tatort entfernt aufgestellt.
Rick Langenstein wurde offiziell als Opfer rechter Gewalt anerkannd.
Video:
"Neue braune Welle - Die Jugend im Visier der Rechtsextremen" (ab 07:13)
http://www.youtube.com/watch?v=e4crrQFtMek
(Texte zum Teil von anderen Berichten und Artikeln übernommen)
Kommt zum Prozess gegen die Täter vom Übergriff in Bernburg und zur Demonstration:
Vorläufige Prozesstermine in Magdeburg:
(jeweils ab 09:00 Uhr, Saal A23 Landgericht Magdeburg)
18.02.2014 - Prozessauftakt, 20.02., 21.02., 03.03., 07.03., 10.03., 13.03., 14.03., 17.03., 21.03. (evtl. 24.03., 26.03., 28.03.)
Demonstration zum Prozess:
15.02.2014, 15 Uhr, Hauptbahnhof, Magdeburg
Kein Freispruch für Nazis und Justiz!