Die Bundesrepublik Deutschland gegen Faruk Ereren – Prozessbericht vom 31.1.2014

Freiheit für Faruk Ereren
Erstveröffentlicht: 
03.02.2014

Zeugenaussage auf Grund doppelten Hörensagens Grundlage für Verurteilung wegen Mordes ?

Im §129-Prozeß gegen Faruk Ereren nähert sich die Beweisaufnahme ihrem Ende, ohne daß irgendwelche Beweise vorliegen für die Anklage, Faruk habe 1993 von Deutschland aus telefonisch die Anweisung zur Ermordung zweier Polizisten erteilt. Wie schon im ersten Prozeß spitzt sich alles auf die Aussage des Kronzeugen Genc zu. Dieser hatte im ersten Verfahren ausgesagt, er sei Zeuge der behaupteten Telefonanweisung gewesen. Der Staatsicherheitssenat hatte seine Verurteilung Faruks zu lebenslänglicher Haft hauptsächlich auf diese Aussage gestützt.


Seit Wochen bemühen sich nun Gericht und Bundesanwaltschaft über „Verbindungsleute“ des BKA und die deutsche Botschaft die türkischen Behörden dazu zu bewegen eine erneute Videobefragung von Genc zu ermöglichen. Bislang ohne jeden Erfolg.

Ehedem kam es eher zufällig zur Befragung von Genc in der Türkei. Richter waren zusammen mit Faruks Anwälten in die Türkei zur Befragung eines ganz anderen Zeugen gereist. Unerwartet und für Richter und Anwälte gänzlich unvorbereitet präsentierten die türkischen Behörden ihnen dann Genc als Zeugen. Nach einem Tag Vorbereitung kam es dann zu seiner Befragung. Bei selbiger kam die Verteidigung nicht dazu, selber ausreichend Fragen zu stellen, weil es 16 Uhr wurde und die türkischen Behörden Feierabend hatten.
Trotz solch grober Beschneidung der Rechte der Verteidigung wurde Faruk verurteilt.

Bei Genc handelt es sich um ein langjähriges Mitglied von Dev-Sol, einen militanten Kämpfer, welcher zum Verräter wurde, zu einem sogenannten „Geständigen“. Zeugen haben im Prozeß ausgesagt, daß Genc von der Polizei gefoltert wurde. Insofern sollte eigentlich klar sein, daß jedweder Aussage von ihm nicht geglaubt werden kann. „Geständige“ kommen in der Türkei ins Zeugenschutzprogramm und von ihnen wird verlangt, aktiv gegen ehemalige Genossen auszusagen. Dazu gehören, wie man aus vielen entsprechenden Beispielen weiß, insbesondere Falschaussagen. Jeder weiß, daß Gefolterte bereit sind, wirklich Alles zu unterschreiben und auszusagen. Sie werden zu einem beliebig einsetzbaren Werkzeug der Polizei. Bei Nichtkooperation droht ihnen nicht nur weitere Folter sondern wahlweise auch die Aufhebung des Zeugenschutzes.
Trotz aller Bereitschaft des „geständigen“ Genc traut sich die Türkei nicht, ihn dem Kreuzverhör der Verteidigung auszusetzen, weil die Gefahr besteht, daß er sich in Widersprüche verwickelt. Zur Neuverhandlung der Sache kam es, weil der Bundesgerichtshof das erste Urteil wegen Widersprüchen und Ungereimtheiten aufhob.

In Ermangelung des Kronzeugen Genc nahm das Gericht am letzten Freitag dann Zuflucht zu einer Art indirekten Zeugenbefragung. Man befragte einen der ehedem in die Türkei gereisten Richter und einen der Anwälte Faruks betreffs ihrer damaligen Befragung von Genc. Dabei traten ganz erstaunliche Umstände zutage:

1. Es gibt kein genaues Protokoll der Befragung, sondern nur Zusammenfassungen des anwesenden türkischen Richters.

2. Genc war keinesfalls Zeuge der angeblichen telefonischen Mordanweisung Faruks. Er befand sich damals zusammen mit einem anderen Genossen auf der Flucht in einer konspirativen Wohnung. Anwesend war auch G., der als einziger die Wohnung verlassen konnte da er nicht gesucht wurde. G. selber konnte vom Gericht nicht befragt werden, weil er eine Befragung abgelehnt hatte mit der Erklärung, er werde sich allein gegenüber dem türkischen Volk verantworten, nicht aber gegenüber einem deutschen Gericht.
Genc sagte nun aus, G. sei nach draußen zum Telefonieren gegangen und habe ihnen danach berichtet, er habe mit Faruk telefoniert und von seiner Anweisung zum Angriff auf die Polizisten erfahren.

3. Es gehört zu den Grundregeln der Konspiration, daß man unbeteiligten Dritten gegenüber vom Inhalt solcher Telefonate nichts erzählt. Auf entsprechende Vorhaltungen hatte Genc erklärt, G. sei völlig aufgelöst gewesen wegen der in dem Telefonat übermittelten Nachricht, daß bei dem Angriff 3 Genossen erschossen wurden und habe seelischen Beistand bei den beiden Genossen in der Wohnung gesucht und darum diese Regel missachtet. Doch dies bedeutet gleichzeitig, daß G. im Nachhinein von diesem Angriff erfuhr und es gar nicht um eine telefonische Anweisung zu einem Anschlag ging.

4. Angeblich hatte Genc bei der Befragung ein Foto von sich und Faruk im Gefängnis dabei. Damit wollte er belegen, daß sie beide sich gut kannten. Jetzt stellte sich heraus, daß während der Befragung ein türkischer Polizist Genc das Foto zugesteckt hatte.

5. Zur Frage seiner Folter und der damit verbundenen Unglaubwürdigkeit seiner Aussage hatte Genc erklärt, er habe von Folter nur reden müssen, um seine Aussagen bei der Polizei der Organisation gegenüber zu rechtfertigen. Er sei in Wirklichkeit gar nicht gefoltert worden und habe freiwillig gegenüber der Polizei ausgesagt. Natürlich ist auch diese Aussage unglaubwürdig, denn nichts liegt näher als daß die Foltermeister ihr Opfer zu einer genau solchen Erklärung gezwungen haben.

Am Ende des Verhandlungstages sieht sich das Gericht vor einem Scherbenhaufen. Will es die Aussage des Kronzeugen Genc verwerten mittels der gerade erfolgten indirekten Befragung, würde es sich um eine Aussage auf Grund doppelten Hörensagens handeln.
Genc kann nicht direkt von den Verfahrensbeteiligten befragt werden, sondern nur von Zeugen, die gehört haben, daß Genc etwas gesagt hat und Genc sagt aus, er habe von G. gehört, daß Faruk etwas am Telefon gesagt habe.

Ein abenteuerliches Konstrukt, das grundlegendsten Normen des Strafrechts hohnlacht. Das ist dem Gericht durchaus bewusst, von der Möglichkeit „indirekter Beweise“ ist die Rede. Es hob den nächsten Verhandlungstermin auf, damit die Kammer Zeit hat, die entstandene Lage intensiv zu beraten. Wenn es Faruk auf Grund von Zeugenaussagen vom doppelten Hörensagen wegen Mordes verurteilen will, ist eine dritte Verhandlung nach erfolgter Revision sogut wie sicher.

Die Bundesanwaltschaft plagen solche Bedenken nicht. In einem sogenannten „Zwischenbericht nach §257“ erklärt sie nassforsch, die Schuld Faruks sei durch vielfältige Zeugenaussagen zweifelsfrei bewiesen und selbstverständlich könne Gencs Aussage auch ohne seine persönliche Befragung verwertet werden. Er sei offensichtlich glaubwürdig, Faruk sei in der Leitung der Dev-Sol gewesen und habe die telefonische Mordanweisung von Deutschland aus erteilt. Alle vom Bundesgerichtshof angemahnten Widersprüche seinen geklärt worden und man fordere nun ein beschleunigtes Ende der Beweisaufnahme.

Demgegenüber wies die Verteidigung auf die rekordverdächtitge Länge von Faruks Untersuchungshaft hin. Ohne eine persönliche Befragung von Genc sei die Verwertung seiner ehemaligen Aussagen nicht möglich und Faruks Verurteilung ausgeschlossen.

 

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