Der jährliche “Gedenkmarsch” wurde durch die taktische und gewaltvolle Durchsetzung von 3300 Polizeikräften ermöglicht. Die Proteste, Blockaden und direkten Aktionen erreichten, dass der Aufmarsch mit drei Stunden Verspätung startete und etwa 150 Nazis den “Gedenkmarsch” nicht erreichten. An den direkten Gegenaktivitäten beteiligten sich zwischen 1500 und 2000 Antifaschist_innen.
Der “Gedenkmarsch”
Die Organisatoren der “Initiative gegen das
Vergessen” hatten im Vorfeld acht Routen im ganzen Stadtgebiet
angemeldet und konnten sich in Absprache mit der Polizeidirektion Nord
zum richtigen Zeitpunkt für die erfolgversprechendste Variante
entscheiden. Nachdem der erste Aufmarschversuch östlich der Elbe an
antifaschistischen Blockaden und Interventionen scheiterte, wurde der
größte Teil der Nazis mit einem Sonderzug der Deutschen Bahn zum
S-Bahnhof SKET im Südosten der Stadt gefahren. Von dort aus marschierten
750 Nazis auf einer 6km langen Route durch die Stadtteile Reform und
Lemsdorf. Weitere 120 Nazis saßen östlich der Elbe im Stadtteil
Herrenkrug fest und meldeten dort einen Ersatzspaziergang an. Auch
weitere, kleinere Gruppen von Nazis schafften es nicht zum Startpunkt
des Aufmarsches, da sie durch die mehrfache Verlegung der Route und
massive Polizeiabsperrungen aufgehalten wurden. Insgesamt gehen wir von
etwa 900 Nazis am 18. Januar in Magdeburg aus.
Zusätzlich kreiste ein, von Nazis bezahltes, Propellerflugzeug samt
Banner mit der Aufschrift “16.000 Tote! unvergessen” stundenlang über
der Stadt.
Der Polizeieinsatz: “Viel hilft viel.”
Der Naziaufmarsch wurde von insgesamt 3300 Bullen abgesichert, die
sich im gesamten Stadtgebiet sowie auf den angrenzenden Zufahrtsstraßen
verteilt hatten. Antifaschist_innen wurden von Seiten der Bullen zum
Teil mit massiver Gewalt konfrontiert, was laut Sani-Bericht zu mehreren
schweren und vielen leichten Verletzungen führte. So fuhren die Cops im
Laufe des Tages die ganze Palette “technischer Zwangsmittel” vom
Schlagstock bis zur Gasgranate auf, um die Gegenproteste
zurückzudrängen. Entgegen vorheriger Polizeiankündigungen wurden auch
passive Sitzblockaden unter Schlagstockeinsatz geräumt, was unsere
Skepsis gegenüber dieser Art des Protests nochmals bekräftigt.
Im Laufe des Tages stellten die Bullen 140 Strafanzeigen und nahmen 33
Menschen vorübergehend in Gewahrsam. Dies stellt alle beteiligten
Bündnisse und Gruppen vor die Aufgabe direkter Solidarität mit den
Betroffenen.
Trotz des martialischen Einsatzes und des Großaufgebots scheiterte die
Polizeiführung letztlich an ihrem Ziel, die Stadt unter ihre Kontrolle
zu bringen.
Diversität des Widerstands
Im Ganzen betrachtet war der 18. Januar 2014 ein dynamischer
Antifa-Aktionstag mit vielen Möglichkeiten antifaschistischer
Intervention.
Die Aktionsformen waren vielfältig, ebenso die inhaltlichen Akzente am
Tag. Auf der Nazi-Route selbst gab es mehrere Sitzblockaden und der
DB-Sonderzug der Nazis wurde durch eine Schienenblockade aufgehalten.
Durch Sabotage auf mehreren Bahnstrecken wurde die Anreise der Nazis
beeinträchtigt. Laut Presse kam es bei Ausschreitungen zu 12
beschädigten Polizeifahrzeugen und augenscheinlich wurde auch die
„Agentur für Arbeit“ Ziel von Angriffen. An vielen weiteren Stellen in
der Stadt kam es zu Glasbruch und Barrikadenbau, viele
Antifaschist_innen verteidigten die Protesträume offensiv gegenüber den
Bullen und hielten diese in Schach. Zudem hatten einige Nazi-Gruppen
handfeste Probleme bei ihrer An- und Abreise.
Für uns ist der 18. Januar 2014 ein deutlicher Beweis dafür, dass eine
Vielzahl verschiedener, parallel stattfindender Aktions- und
Widerstandsformen nötig sind, um dem Naziaufmarsch tatsächlich stören
oder verhindern zu können.
Bündnisse und Infrastruktur
Die beiden Blockadebündnisse Magdeburg Nazifrei und
Block MD standen, trotz vorheriger Differenzen, am 18. Januar im
konstruktiven Austausch untereinander. Die Informationsstrukturen
ergänzten sich gegenseitig und auf der Straße gab es zum Teil gemeinsame
Dynamiken. Wo in bestimmten Situationen das Beharren auf friedliche
Sitzblockaden und die Anmeldung von Kundgebungen nicht ausreichten,
sorgten offensive Schienenblockaden und Barrikaden für die notwendigen
unkontrollierbaren Räume. Wir schätzen die Infra- und Infostruktur am
18.01.14 insgesamt als gelungenen ein, da die Fehler und Versäumnisse
des letzten Jahres zu einer effektiveren, zielgerichteteren Arbeit
führten.
Im Kontrast zu der meist pragmatischen Zusammenarbeit am Tag selbst
stehen die Monate vor dem Aufmarsch, die durch unsolidarisches
Verhalten, üble Nachrede und Ignoranz zwischen den beiden Bündnissen
geprägt waren. Für zukünftige Erfolge im Sinne einer produktiven
Zusammenarbeit müssen sich zumindest die Formen von Kritik und
politischer Auseinandersetzung zwischen den einzelnen Akteur_innen
ändern.
Erfolge und Herausforderungen
Die Proteste verursachten die seit Jahren größten Einschränkungen im Ablauf des “Gedenkarsches” und störten diesen erheblich. Zum Einen konnte der Aufmarsch erst mit erheblicher Verspätung starten, zum Anderen wurde die Teilnahme am “Gedenkmarsch” für etwa 150 Nazis komplett verhindert. Mit einer Intensivierung der Proteste ist im Januar 2015 eine Verhinderung des “Gedenkmarsches” entgegen aller polizeilichen Bemühungen möglich.
Die bundesweite antifaschistische Beteiligung war mit ca. 1500-2000
Antifaschist_innen geringer als 2013, was auf verschiedene Ursachen
zurück zu führen ist. So zum Beispiel die relativ späte und geringe
Anzahl von Mobiveranstaltungen, frustriedene Erfahrungen aus dem Vorjahr
oder zeitgleich statt findende Ereignisse wie die drohende Räumung der
Oranienplatzbesetzung in Berlin.
Für die Verhinderung des “Gedenkmarsches” ist eine signifikant höhere
Beteiligung nötig, um im gesamten Stadtgebiet unkontrollierbare Räume
zu schaffen und aufrecht zu erhalten.
Am 18. Januar 2014 kam es zu mehreren direkten
Nazi-Angriffen auf Antifaschist_innen, sowohl am Rande der Proteste als
auch auf der Heimreise von Magdeburg. In manchen Fällen konnten die
Betroffenen sofort unterstützt werden, in anderen Fällen gab es keine
Strukturen dafür. Paradoxerweise führen erfolgreiche Blockaden des
“Gedenkmarsches” dazu, dass die unmittelbare Gefahr durch angereiste
Nazis am Tag des Aufmarsches größer wird. Wenn sich die Nazis nicht mehr
in Reih und Glied durch die Stadt schieben, stellen sie in kleineren
und größeren Gruppen ein akutes Risiko für viele Menschen dar. Für diese
Situation braucht es handlungsfähige Antifa-Strukturen, die am Tag ein
grundlegendes Selbstschutzkonzept für die Proteste und Blockaden
gewährleisten können.
Sowohl 2013 als auch 2014 bildete das S-Bahn-Netz das
infrastrukturelle Rückgrat des Naziaufmarsches. Solange dies so bleibt,
benötigen die Proteste ein dezentrales Aktionskonzept, bei dem in
vielen Stadtteilen und vor allem auf beiden Seiten der Elbe
Antifaschist_innen in handlungsfähiger Zahl unterwegs sind.
Fazit
Wir ziehen aus den Protesten vom 18. Januar 2014 zwei wesentliche Schlussfolgerungen für kommende antifaschistische Proteste in Magdeburg.
Zum Einen ist die Verhinderung des “Gedenkmarsches” durch ein
Zusammenspiel von vielen unterschiedlichen Aktionsformen durchaus
möglich. Trotz der martialischen und massiven Polizeipräsenz zeigte uns
der Tag das Potential, welches in antifaschistischen
Widerstandsdynamiken bei Großereignissen liegt. Dieses Potential weiter
auszubauen und die enorme Aufmerksamkeit für politische Inhalte zu
nutzen – darin besteht die Herausforderung für den “Gedenkmarsch” im
Januar 2015.
Zum Anderen sehen wir eine große Chance in der Etablierung bürgerlicher
Blockadebündnisse. Wenn diese selbständig die Organisation der
“friedlichen Massenblockaden” übernehmen, können sich antifaschistische
Gruppen anderen Aufgaben stellen und eine Rolle in der Verhinderung des
Naziaufmarsches einnehmen, die einer antagonistischen linken Politik
angemessen ist. Die Protestdynamiken im Umfeld der Blockaden bieten Raum
für zahlreiche Inhalte und Aktionsformen, um eine Kritik jenseits des
Anti-Nazi-Konsens auszudrücken. Wir sehen die neue Aufgabe autonomer und
kommunistischer Antifa-Gruppen am Tag des „Gedenkmarsches“ darin, durch
vielfältige, direkte Aktionen den Nazis den Tag zu vermiesen und
zugleich eine handfeste linke Kritik an den bestehenden Verhältnissen
auf die Straße zu tragen.
AK Antifa Magdeburg im Januar 2014
www.akantifa.blogsport.eu