Bomben made in Baden

Laut Experten der badischen Polizei hätte das bei einem Lörracher Neonazi gefundene Chemikalienarsenal binnen Stunden zu einem Sprengkörper verarbeitet werden können
Erstveröffentlicht: 
28.08.2009

28.08.2009 / Titel / Seite 1


Bomben made in Baden

 

Von Rainer BalcerowiakAuch der Donnerstag verging nicht ohne das öffentliche Mantra von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU). Die Gefahr eines Terroranschlags sei »unverändert hoch«, da sich Deutschland nach wie vor »im Fadenkreuz des internationalen Terrorismus« befinde, erklärte er im Hamburger Abendblatt. »Erkenntnisse über konkrete Anschlagsplanungen« habe man allerdings nicht, so Schäuble.


Da irrt der Minister. Seit Mittwoch gibt es sehr wohl entsprechende Erkenntnisse. Diese betreffen jedoch nicht den »internationalen Terrorismus«, sondern die Neonaziszene in Schäubles Heimatland Baden-Württemberg. Doch vielleicht rangiert das, was Ermittlungsbehörden beim »Stützpunktleiter« der NPD-Jugendorganisation Junge Nationaldemokraten im badischen Lörrach zutage förderten, bei Schäuble eher unter der Rubrik »Jugend forscht«. Laut einer am Donnerstag veröffentlichten gemeinsamen Erklärung der Staatsanwaltschaft und der Politzei in Lörrach und nach Informationen der Badischen Zeitung hat der 22jährige Thomas B. seit Ende 2008 in erheblichen Mengen Chemikalien wie Kalkammonsalpeter, Wasserstoffperoxid, Schwefelsäure, Nitromethan und Calciumkarbid bei verschiedenen Versandfirmen gekauft. Um kein Aufsehen zu erregen, seien die Bestellungen auch über die Adressen anderer »Kameraden« abgewickelt worden, zu denen auch der Lörracher NPD-Chef Christopf B. gehören soll. Gefunden wurden auch Bauteile für Fernzünder und Rohrbomben. Sprengstoffexperten der Polizei sind zu der Einschätzung gekommen, daß die aufgefundenen Materialien dazu geeignet gewesen seien, »innerhalb weniger Stunden explosionsgefährliches Material herzustellen«, hieß es in der Erklärung. Ferner habe der Mann sowohl über legale Waffen – er war im Schützenverein – als auch über laut Kriegswaffengesetz verbotene Sturmgewehre verfügt. Gegen ihn wurde am Nachmittag Haftbefehl erlassen.

Über konkrete Anschlagsziele liegen den Ermittlern zwar noch keine Erkenntnisse vor, doch B. hat in den vergangenen Jahren als bekannter Skinhead und Aktivist der neofaschistischen »Freien Kräfte« nie einen Hehl aus seiner militanten Gesinnung gemacht. Antifaschisten aus der Region vermuten, daß Neonazis eine Aktion in Freiburg planten. Dort war es bislang stets gelungen, öffentliche Aufmärsche von Neofaschisten und die Gründung von Ortsgruppen zu verhindern. Im Visier der NPD und anderer Gruppierungen der Szene ist vor allem das alternative Stadtteilzentrum KTS, welches nach Informa­tion der Antifa, die offenbar Teile der E-Mail-Kommunikation der militanten Neonazis abgefangen hat, auch gezielt ausgespäht werden sollte. Nach eigenen Angaben habe die Antifa bereits im März 2008 auf Chemikalienkäufe durch Neonazis hingewiesen. Ob und wie die Behörden seinerzeit reagierten, ist nicht bekannt.

Angesichts der spätestens seit dem gescheiterten Verbotsverfahren gegen die NPD vor dem Bundesverfassungsgericht aktenkundigen Durchsetzung der Partei und ihres Umfeldes mit Geheimdienstmitarbeitern ist allerdings davon auszugehen, daß der Chemikalienkauf unter den Augen des Verfassungsschutzes stattfand. Das ist nicht die einzige Parallele zur sogenannten »Sauerlandgruppe«, die seit einiger Zeit als Beleg für die vermeintliche Bedrohung durch den »islamischen Terrorismus« herhalten muß und deren Zünderkäufer für mehrere Dienste tätig war. Wie Thomas B. hatte die Gruppe für den Bombenbau ebenfalls auf Wasserstoffperoxid gesetzt.