Kolumbien: Schritt zum Frieden

Erstveröffentlicht: 
07.11.2013

Kolumbien: FARC-EP und Regierung schließen bei Verhandlungen in Havanna Abkommen über politische Beteiligung der Guerilla. Nestlé-Arbeiter beginnen Hungerstreik Von André Scheer

 

In den vergangenen Tagen hatte es so ausgesehen, als stünden die Friedensverhandlungen zwischen der kolumbianischen Guerillaorganisation FARC-EP und der Regierung von Präsident Juan Manuel Santos vor dem Scheitern. Der öffentlich angeschlagene Ton zwischen beiden Seiten, die seit mehr als einem Jahr in Havanna über ein Ende des jahrzehntelangen bewaffneten Konflikts verhandeln, war zunehmend schärfer geworden. In kolumbianischen Blättern kursierte ein Foto, das Mitglieder der FARC-Delegation bei einer Erholungspause auf einer Yacht zeigte. Santos gab sich unzufrieden über die langsamen Fortschritte bei den Gesprächen. Die Guerilla ihrerseits warf den Regierungstruppen wiederholt Verstöße gegen vereinbarte Protokolle vor. Am Mittwoch überraschten dann jedoch die Unterhändler beider Seiten einmal mehr die Öffentlichkeit. Die Repräsentanten Kubas, Rodolfo Benítez, und Norwegens, Dag Halvor, deren Regierungen als Garanten für den Dialog gelten, ließen sie die frohe Botschaft verkünden: Man sei zu einem Grundsatzabkommen über Fragen der politischen Beteiligung in Kolumbien gekommen.

Es ist das zweite Einzeldokument, das die Verhandlungsdelegationen unterzeichnen. Im Mai war bereits eine Einigung in der Agrarfrage erreicht worden. Allerdings betonten beide Seiten auch am Mittwoch den Vorbehalt, daß »nichts vereinbart ist, bevor alles vereinbart ist«. Ohne ein abschließendes Gesamtabkommen sind alle bis dahin erreichten Absprachen null und nichtig. Und bis dahin ist es ein weiter Weg, denn noch sind mehrere Themenbereiche zu diskutieren: der konkrete Weg zur Beendigung des Konfliktes, eine Lösung des Drogenproblems und der Umgang mit den Opfern des Krieges. Als sechster und letzter Punkt steht auf der Agenda das Verfahren der Inkraftsetzung des Friedensvertrages nach der Unterzeichnung, und auch hier lauern noch manche Fallstricke.

Trotzdem ist das jetzt erreichte Abkommen ein Durchbruch, denn behandelt wurde, wie der Opposition in Kolumbien künftig garantiert werden soll, daß sie gefahrlos ihre Meinung kundtun kann. Ende der 80er Jahre war ein damals unterzeichnetes Friedensabkommen blutig gescheitert, als Tausende Mitglieder der von den FARC gegründeten legalen Partei Unión Patriótica (UP) von Todesschwadronen ermordet wurden. Jetzt wird in dem Papier ausdrücklich eine »Stärkung und Vertiefung der Demokratie« gefordert, um ein »Klima des Zusammenlebens und der Toleranz« zu schaffen, in dem die »neue Bewegung, die aus den FARC-EP hervorgeht«, legal politisch arbeiten kann. Die Diskussion über deren konkreten Charakter ist im nun bevorstehenden dritten Themenblock vorgesehen.

Leicht wird es nicht, das Gemenge aus ultrarechten Paramilitärs, Drogenbanden sowie Hardlinern in Militär und Staatsapparat zur Aufgabe des schmutzigen Krieges zu bewegen. Bis heute gilt Kolumbien als eines der gefährlichsten Länder der Welt für Gewerkschafter und andere soziale Aktivisten. Erst am Dienstag waren Arbeiter des Lebensmittelmultis Nestlé in einen Hungerstreik getreten. Hintergrund der Protestaktion ist die Forderung der Gewerkschaft Sinaltrainal, einen bereits im Juni 2012 unterzeichneten Tarifvertrag einzuhalten. Die Geschäftsleitung weigert sich jedoch, mit der Gewerkschaft zu verhandeln und übt Druck auf die Beschäftigten aus, sich einer unternehmensnahen Konkurrenzorganisation anzuschließen. Ende Oktober spitzte das Unternehmen die Lage zu, als der Präsident von Nestlé Kolumbien, Manuel Andrés, den Gewerkschaften unterstellte, zu Gewalt und Sabotage aufgerufen zu haben. Die in der Schweiz ansässige Nichtregierungsorganisation MultiWatch warnt: »Solche Bezichtigungen machen die Gewerkschafter zu einer Zielscheibe für Paramilitärs. Gewerkschafter in Nestlé-Fabriken wurden in der Vergangenheit wiederholt mit dem Tod bedroht, dabei waren immer Gewerkschafter betroffen, welche in einen Arbeitskonflikt mit Nestlé involviert waren. Nestlé hat sich dazu nicht geäußert und unternimmt keine Anstrengungen, um die Sicherheit der Gewerkschafter zu garantieren.«