Noch vier Tage bis zur antifaschistischen / antirassistischen Demonstration "Pogrome verhindern, bevor sie entstehen" im ostthüringischen Greiz. Im Folgenden eine kurze Situationsbeschreibung...
Pogromstimmung breitet sich aus
im Herbst des Jahres 2013. An mehreren Orten Deutschlands versammeln sich
Rassist*Innen unter der Fassade besorgter Bürger*Innen, um gegen
Asylbewerber*Innen zu hetzen. Die propagandistische Ausschlachtung
rassistischer Vorurteile wird, wenn nicht schweigend hingenommen, durch die
Bevölkerung geteilt. Nicht umsonst gelang es im sächsischen Schneeberg Nazis
schon zwei Mal in Folge, mehr als tausend Menschen auf die Straße zu
mobilisieren. Auch in Greiz-Pohlitz marschierten Nazis und Anwohner*Innen mit
Fackeln vor einem provisorischen Wohnheim für Geflüchtete auf. Wenn auch in der
Dimension nicht mit Schneeberg vergleichbar, konnte auch hier bestehender
Alltagsrassismus durch organisierte Nazis aufgegriffen werden.
Wenn wir der um sich greifenden rassistischen
Pogromstimmung nicht Einhalt geboten wird, drohen Zustände wie in den 90er
Jahren in Rostock-Lichtenhagen, Mölln, Solingen oder Hoyerswerda. „Pogrome
verhindern, bevor sie entstehen!“, ist daher das Motto unserer Demonstration am
9.11. in Greiz.
Auslöser der selbsternannten „Proteste“ in Greiz war
die kurzfristige Unterbringung von etwa 50 Refugees in einem Plattenbau in
Greiz-Pohlitz, der bis vor kurzem als Lehrlingswohnheim diente. Als dies am
Freitag dem 13.09. bekannt wurde, versammelten sich spontan etwa 85 Nazis und
Sympathisant*innen vor dem Heim. Die Nazis wussten, sich zu organisieren und
gründeten eine „Bürgerinitiative gegen das Asylheim am Zaschberg“. In der
folgenden Woche wiederholte sich das Spektakel, diesmal jedoch besucht von über
120 Nazis und Bürgern. Ab diesem Zeitpunkt verringerte sich die
Teilnehmer*innenzahl der rassistischen Freitagskundgebungen wöchentlich – am 04.10.
waren nur noch etwa 80 Menschen anwesend. Gleichzeitig war zu beobachten, dass
sich auch auf Grund des negativen Medienechos wesentlich weniger Anwohner*innen
an den Veranstaltungen der „Bürgerinitative“ beteiligten. Am 11.10. folgte
schließlich der vorerst letzte Aufmarsch der Rassist*innen – trotz großer
Mobilisierung schafften es wieder nur 80 Nazis und Sympathisant*innen nach
Greiz, diesmal ins Stadtzentrum. Anwesend waren nicht nur Greizer Nazis,
sondern auch das Freie Netz Kahla und Saalfelder Nazis. Die Anmeldung für den
18.10. wurde kurzfristig zurückgezogen – jedoch gehen wir davon aus, dass Nazis
überregional zu einer Demonstration für den 23.11. nach Greiz mobilisieren! Die
Köpfe hinter der Bürgerinitiative sind schon jahrelang in der organisierten
Kameradschaftsszene Ostthüringens und Westsachsens aktiv. Wichtigste Personen
sind David Köckert aus Greiz (jahrelang im Blood&Honour-Umfeld zugange) und
Kevin Pahnke (Führungskader der Kameradschaft RNJ Vogtland). (für weitere Infos
zu beteiligten Nazis: http://agv.blogsport.de/2013/10/08/greiz-rassistische-buergerinitiative-hetzt-gegen-fluechtlinge/
Wir haben beschlossen, selbst aktiv zu werden. Von
den Statements der Politik ist nichts zu erwarten, außer Imagepflege für Stadt
und Landkreis Greiz. Natürlich unterstützen wir jegliche Solidarisierung,
jegliches Statement gegen Diskriminierung. Wenn die Politik an Menschlichkeit
und Toleranz appelliert, ist dies zweifellos zu begrüßen. Doch wie soll dies
ernstgenommen sein, wenn die Vertreter*Innen derselben Politik seit Jahren im
Landkreis Greiz ein Klima der Angst, der Ausgrenzung, der systematischen Diskriminierung,
Kontrolle, des psychischen Drucks auf Flüchtlinge schufen?
Lange Zeit bevor der Mob begann, sich auf den
Straßen von Greiz gegen all jene zu versammeln, die nicht Deutsch genug
erscheinen, waren Diskriminierung und Übergriffe gegenüber Migrant*innen bzw.
Asylbewerber*innen in Greiz bereits Alltag. Die Lebensbedingungen, denen
Flüchtlinge im Landkreis Greiz ausgesetzt sind, sprechen für sich. Das
zuständige Landratsamt hält trotz Protesten an einem System der Kontrolle und
Entmündigung fest. Noch immer werden Flüchtlinge in Greiz ausschließlich in
zwei sogenannten Gemeinschaftsunterkünften untergebracht. Thüringenweit ist das
System der Gutscheinvergabe abgeschafft, nur die Landkreise Greiz und Weimarer
Land halten nach wie vor daran fest. Gipfel des entwürdigenden Handelns der
Greizer Behörden stellt eine Begebenheit aus dem Jahre 2011 dar. Nach Weisung
der Landrätin Martina Schweinsburg (CDU) mussten die Bewohner*innen der Greizer
Flüchtlingsunterkünfte heruntergekommende Kleidung zu überteuerten Preisen bei
einer Verkaufsveranstaltung in der Greizer Turnhalle einkaufen. Die Liste der
staatlichen Diskriminierungen ließe sich noch weiter fortsetzen: Zum Beispiel
das Fehlen von Übersetzer*innen und die Reglementierung einfachster Bedürfnisse
wie z.B. des Duschens durch ein Duschmarkensystem – eine Duschmarke ermöglicht
drei Minuten Duschen, es werden offensichtlich nur fünf Marken pro Woche
ausgehändigt. (Vgl. http://jg-stadtmitte.de/2013/11/03/am-09-11-alle-nach-greiz-pogrome-verhindern-bevor-sie-beginnen/
). CDU-Landrätin Martina Schweinsburg bekam im vergangenen Jahr nicht ohne
Grund vom Flüchtlingsrat Thüringen den
Negativpreis für die größte Gemeinheit verliehen. In einem kürzlich bekannt
gewordenen Schreiben diffamierte sie den Thüringer Flüchtlingsrat, er würde
angeblich zusammen mit „auswärtigen Extremisten“ Unruhe in Greiz stiften - mehr
als nur eine groteske Verdrehung der derzeitigen Situation in Ostthüringen.
Dass das Schreiben sogar unkritisch in einer Kirche verlesen wurde, spricht
Bände über das tatsächliche lokale „Problembewusstsein“ – als Problem benannt
wird der/diejenige, wer Probleme öffentlich macht, sich gegen diskriminierende
und menschenverachtende Strukturen äußert.
Schon im Jahre 1991 und 2003 gab es Anschläge auf
Asylbewerberheime in Greiz. Die Gefahr, dass sich dies erneut wiederholt, ist
gegeben. Vor dem Hintergrund der rassistischen Zustände im Landkreis Greiz, die
von institutioneller Diskriminierung und Angriffen auf Migrant*innen geprägt
sind, rufen wir noch einmal alle aktiven Antifaschist*innen auf, sich am 9.11.
12 Uhr in Greiz (Bruno-Berger-Straße, am Arbeitsamt) an der Demonstration zu beteiligen.
Wir solidarisieren uns zudem mit den Demonstrationen, die morgen in Bitterfeld und Freitag in Erfurt stattfinden; sowie mit den Antifaschist*innen in Friedland und Duisburg, die am 9. November gegen rassistische und antisemitische Aufmärsche protestieren werden.
POGROME VERHINDERN, BEVOR SIE ENTSTEHEN!
GEGEN ALLTÄGLICHEN RASSISMUS & MENSCHENVERACHTENDE POLITIK!
die Antifaschistischen Gruppen des Vogtlandes (AGV)
Aufruf: http://agv.blogsport.de/2013/10/24/9-11-greiz-antirassistische-demonstration-pogrome-verhindern-bevor-sie-entstehen/
Jingle: https://soundcloud.com/agv-blogsport-de/09-11-greiz-mobi
Solitrack: https://soundcloud.com/agv-blogsport-de/solitrack-greiz