Die Nachricht trifft den 37 Jahre alten Juristen aus Göttingen wie ein Schlag: "Ich bin fassungslos", sagt Sven Adam, als ihn NDR Info am Wochenende mit den Rechercheergebnissen konfrontiert. Bei Niedersachsens Verfassungsschutz wurde in der Fachabteilung Linksextremismus offenbar über Jahre eine Datei mit Informationen über den Rechtsanwalt angelegt. Was genau darin gespeichert wurde, ist ebenso unbekannt wie der Zeitraum, in dem Informationen gesammelt wurden.
Fakt aber ist: Niedersachsens Nachrichtendienst hat in der Vergangenheit ein weiteres Mal Informationen über einen Menschen gesammelt, der Angehöriger einer vom Gesetz besonders geschützten Berufsgruppe ist. Denn wie Journalisten gehören auch Rechtsanwälte zu den sogenannten Berufsgeheimnisträgern.
"Ich habe mir nichts vorzuwerfen"
Herausgekommen ist die Angelegenheit am Freitag in Hannover während einer Sitzung des hinter verschlossenen Türen tagenden Landtagsausschusses für Verfassungsschutzfragen.
Sven Adam ist unklar, wie er in die Akten hineingeraten konnte. "Ich habe mir nichts vorzuwerfen", sagte er auf Nachfrage von NDR Info und fügt hinzu: "Ich bin empört darüber, mit welcher Selbstverständlichkeit diese Behörde rechtsstaatliches Terrain verlassen hat."
Sven Adam ist Experte für Fragen des Versammlungsrechts. Er hat Mandanten bei Demonstrationen vor Ort vertreten, etwa bei den Demonstrationen gegen Castor-Transporte oder gegen die rechtsextremen Aufmärsche in Bad Nenndorf. "Vielleicht war ich deshalb für den Verfassungsschutz unter Uwe Schünemann interessant."
Adam vertritt auch Journalisten
Die Beobachtung von Rechtsanwalt Adam durch Niedersachsens Verfassungsschutz ist besonders pikant: Denn er vertritt auch den Göttinger Journalisten Kai Budler vor den Verwaltungsgerichten in Göttingen und Hannover. Der Journalist war ebenfalls in die Dateien des Verfassungsschutzes geraten und hat sich dagegen vor Gericht gewehrt. Adam wurde also von genau jenem Nachrichtendienst beobachtet, gegen den er vor Gericht streitet.
"Unglaublicher Vorgang"
Auch die bundesweit renommierte Journalistin und Rechtsextremismus-Expertin Andrea Röpke ist Adams Mandantin. Ihre Beobachtung durch den Verfassungsschutz Niedersachsens und die offenkundig rechtswidrige Löschung ihrer Dateien hatte vor wenigen Tagen bundesweit Schlagzeilen gemacht. Über ihren Anwalt Adam hat sie mittlerweile Strafanzeige gegen Mitarbeiter des Nachrichtendienstes wegen Urkundenunterdrückung erstattet.
Dass auch ihr Anwalt im Visier des Verfassungsschutzes gestanden hat, bezeichnet sie auf Nachfrage von NDR Info als "einen unglaublichen Vorgang."
Rechtsanwälte sind durch Verfassung besonders geschützt
Scharfe Kritik an der nachrichtendienstlichen Erfassung kommt auch von Adams Berufsverband, dem Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein: Rechtsanwälte seien ebenso wie Journalisten durch die Verfassung besonders geschützt. Diesen Schutz müssten besonders die Kollegen in Anspruch nehmen können, die sich engagiert mit gesellschaftlichen Fehlentwicklungen auseinandersetzen, sagte der Bundesvorsitzende des Verbandes, Rechtsanwalt Martin Heiming.
Sieben weitere Journalisten beobachtet
Doch dieser Schutz wurde anscheinend bei weiteren Personen nicht beachtet, wie ein Bericht im "Spiegel" zeigt. Der niedersächsische Verfassungsschutz hat offenbar mehr Journalisten beobachtet als bisher bekannt. Bei einer Recherche in der Datenbank des Amtes seien Mitarbeiter auf sieben weitere Journalisten gestoßen. Einige von ihnen sollen der autonomen Szene angehören. Sie würden als "Zweifelsfälle" gelten. Das Amt prüfe derzeit, ob es überhaupt eine rechtliche Grundlage für die Erfassung gibt.
Bereits Mitte September waren sieben Fälle bekannt geworden. Die Präsidentin des Amtes, Maren Brandenburger, gehe von einem Organisationsversagen ihrer Behörde aus. Anscheinend seien nicht einmal Referatsleiter informiert worden, welche Namen in die Datenbank eingepflegt wurden.