EU will mehr Streß für "reisende Gewalttäter"

EU gegen "reisende Gewalttäter*innen"

Fußballfans und GipfeldemonstrantInnen bekommen es mit einer neuen EU-Institution zu tun: Die grenzüberschreitende polizeiliche Zusammenarbeit soll durch einen „Europäischen Koordinator für Großereignisse“ verbessert werden. So jedenfalls steht es in der Beschreibung des EU-Forschungsprojekts THE HOUSE, das innerhalb des 7. EU-Forschungsrahmenprogramm eingerichtet wurde. Das Vorhaben endet im Februar 2014, dann sollen Ergebnisse präsentiert werden. Beteiligt sind die Innenministerien nahezu aller 27 EU-Mitgliedstaaten, Deutschland wird durch die Hochschule der Polizei in Münster repräsentiert. Die Aufsicht obliegt dem italienischen Ableger des UN-Instituts UNICRI, das die internationale Zusammenarbeit zu allerlei Erscheinungsformen von Kriminalität und Terrorismus fördern will.

 

THE HOUSE zielt auf die Beherrschbarkeit von „Gewaltsituationen oder Eskalationen“. Bei früheren, ähnlichen Projekten definierte Standards sollen jetzt „auf Schlüsselbereiche übertragen“ werden. Nach den polizeilich kaum mehr zu kontrollierenden Protesten in Göteborg (EU-Gipfel 2001) und Genua (G8-Gipfel 2001) richtete die EU zunächst das Forschungsprogramm EU-SEC ein, um den Austausch von Informationen und die gegenseitige Entsendung von Polizeibehörden und Geheimdiensten zu verbessern. Ziel war die präventive Ausforschung internationaler Strukturen, die sich auf die Ereignisse vorbereiten und die Polizei womöglich in Bedrängnis bringen. Das Projekt war mit Beteiligten aus 22 EU-Mitgliedstaaten in eine zweite Phase verlängert worden. Vor zwei Jahren lag eine abschließende Studie vor, die bis heute unter Verschluss bleibt. Schon früh entstanden aber mehrfach aktualisierte Handbücher, in denen Datentausch, Reisesperren und eine offensive Medienstrategie vorgeschlagen werden.

 

Auch DemonstrantInnen ändern allerdings immer wieder ihre Aktionsformen. Markante Neuerungen waren die Nutzung des Internet, die „Clowns Armee“ oder die „Fünf-Finger-Taktik“ zum Umrunden von Polizeisperren. Die EU antwortete mit einem weiteren Forschunsgprogramm namens GODIAC, um die Interaktion von Polizei und Protest in mehreren Ländern zu analysieren. Die Polizeiforscher reisten zum Castor-Transport ins Wendland, zum NATO-Gipfel nach Portugal, zu Antifa-Protesten nach Wien oder einer Gewerkschaftsdemonstration nach Großbritannien. Auch der Rainbow Pride in Bratislava wurde beobachtet. Ergebnisse von GODIAC wurden schließlich auf einer Konferenz in Stockholm präsentiert, bleiben aber wie bei EU-SEC geheim. Auch innerhalb von THE HOUSE werden derartige Studien durchgeführt. In der Vergangenheit wurde die Sicherheitsarchitekturen des UEFA Euro Cup in Polen und der irischen EU-Präsidentschaft beforscht. Weiter geht es mit Gipfeltreffen des gegenwärtigen litauischen EU-Vorsitzes und der europäischen Volleyball-Meisterschaft in Polen. Vor dem Ende von THE HOUSE wird die polizeiliche Handhabung des Nuclear Safety Summit in Holland evaluiert.

 

Der „Europäische Koordinator für Großereignisse“ wäre für weitere, höchst zweifelhafte Maßnahmen verantwortlich: Die EU will den Informationsaustausch zu "reisenden Gewalttätern" effektivieren. Von Interesse sind etwa Anzahl erwarteter Personen, ihre bevorzugten Transportmittel und Routen sowie der Zeitpunkt ihrer Anreise. Bislang existieren derartige Datenbanken nur in Deutschland und Dänemark, sie werden im Hinblick auf anstehende Ereignisse an Polizeien anderer Länder "ausgeliehen".

 

Jetzt liegt eine neue EU-Studie vor, die alle bestehenden polizeilichen Zusammenarbeitsformen unter die Lupe nahm. 65% aller Gipfeltreffen würden demnach gestört. Gefordert wird eine einheitliche Definition von "reisenden Gewalttätern". Allerdings geht es nicht mehr nur um Gipfeltreffen und Fußballmeisterschaften: Die Studie benennt grenzüberschreitende Sport-, Freizeit-, Politik- oder umweltbezogene Veranstaltungen aller Art als Problem. Gefährlich seien überdies internationale Proteste gegen sinnlose Großprojekte, darunter gegen den Hochgeschwindigkeitszug TAV in Italien oder den Flughafen Notre-Dame-des-Landes in der französischen Bretagne. Als Ergebnis heißt es in der Studie, dass neben dem Ausbau von Datenbanken und neuen Kontrollmaßnahmen die Einführung einer "europäischen Reisesperre" folgen soll. Damit hätte sich der Herzenswunsch des früheren Innenministers Schäuble erfüllt, der seit dem G8-Gipfel 2007 die Einrichtung einer EU-weiten Datensammlung für unliebsame Fußballfans und Gipfeldemonstranten durchsetzen wollte.