Niedersachsen: Verfassungsschutz speichert Daten von Journalisten

Erstveröffentlicht: 
19.09.2013

Der niedersächsische Innenminister Pistorius spricht von einem ernsten Vorgang und bewusster Vertuschung: In sieben Fällen sind unzulässigerweise Daten von Journalisten vom Verfassungsschutz gespeichert worden. Bei einer Autorin wurden die Einträge erst auf Nachfrage gelöscht.

 

Hamburg/Hannover - Der Verfassungsschutz in Niedersachsen hat in der Vergangenheit verbotenerweise Journalisten ins Visier genommen. In mindestens sieben Fällen seien Publizisten in der Datei des Verfassungsschutzes gelandet, obwohl es keinen Extremismusbezug gegeben habe, sagte Innenminister Boris Pistorius (SPD) am Mittwoch in Hannover.

 

Ein solches Vorgehen sei nur dann erlaubt, wenn es Hinweise auf einen extremistischen Hintergrund gebe, sagte der Minister laut NDR. "Es handelt sich um einen ernsten Vorgang. Die Pressefreiheit ist ein hohes Gut, das vom Grundgesetz geschützt ist."

 

Eine der Betroffenen ist die Rechtsextremismus-Expertin und Autorin Andrea Röpke, teilte ihr Anwalt mit. Auf Röpkes Anfrage hin habe der Verfassungsschutz 2012 mitgeteilt, dass keine Daten gespeichert seien. Tatsächlich wurden die Einträge in dem Moment gelöscht. Röpkes Anwalt prüft nun eine verwaltungsgerichtliche Klage gegen die falsche Auskunft. Minister Pistorius wertete den Fall am Mittwoch als bewusste Vertuschung.

 

Gegen Uwe Schünemann (CDU), Vorgänger von Pistorius im Innenministeramt, werden damit indirekt Bespitzelungsvorwürfe erhoben. Er war bis zum Regierungswechsel im Februar im Amt. Schünemann tritt als Kandidat für den Landratsposten im Landkreis Hameln-Pyrmont an.

 

Für den Verfassungsschutz im Land, aber auch im Bund ist das Bekanntwerden der Fälle äußerst unangenehm. Seit dem Auffliegen der rechtsterroristischen Mordserie sind die Verfehlungen der Behörden im Fokus der Sicherheitsdebatte.

 

Journalisten seien vom Verfassungsschutz nicht abgehört und auch nicht observiert worden, betonte die niedersächsische Verfassungsschutzpräsidentin Maren Brandenburger. Alle Speicherungen der Behörde zu rund 9000 Personen würden derzeit überprüft. "Ich gehe davon aus, dass es weitere Fälle geben wird", sagte sie. Brandenburger war im Zuge des Regierungswechsels erst kürzlich zur Präsidentin berufen worden. Sie sei auf die Fälle gestoßen, nachdem sie eine Prüfung der personenbezogenen Daten veranlasst hatte, hieß es im Hannoveraner Innenministerium zu SPIEGEL ONLINE.

 

"Rechtswidrige Überwachung sollte vertuscht werden"


Der Fall der Autorin Röpke scheint besonders. Röpke hatte sich im Februar 2012 beim Verfassungsschutz, nach gespeicherten Informationen über sie erkundigt. Im Antwortschreiben zwei Monate später betonte der Verfassungsschutz dass zu ihr "weder eine Akte geführt wird noch Angaben in Dateien gespeichert sind". Diese Angabe entsprach offenbar nicht der vollen Wahrheit. Verfassungsschutzpräsidentin Brandenburger teilte Röpke nach Angaben ihres Anwalts an diesem Mittwoch mit, dass über sie zwischen 2006 und 2012 Daten gesammelt worden seien.

 

"Zum Zeitpunkt der Anfrage wurde meine Mandantin noch überwacht", sagte ihr Anwalt. Offensichtlich sollte mit dem falschen Antwortschreiben "die sechsjährige rechtswidrige Überwachung vertuscht werden", kritisiert Röpkes Anwalt. Es werde nun um die vollständige Rekonstruktion der gesammelten Daten gehen, kündigte er an.

 

Erst kürzlich war in einem anderen Zusammenhang der Fall des NDR-Journalisten Stefan Buchen bekannt geworden. Der Reporter war im Jahr 2010 in den Fokus eines geheimen Projekts zwischen dem Bundesamt für Verfassungsschutz, dem Bundesnachrichtendienst sowie der US-amerikanischen CIA geraten. Buchen war in US-Dokumenten mit seiner Pass- und Mobilfunknummer sowie seinem Geburtsdatum aufgetaucht. Über den deutschen Reporter wollten die US-Dienste gern mehr erfahren, nachdem er der CIA offenkundig durch Telefonate mit Islamisten aus dem Jemen aufgefallen war.

 

Der Präsident des Bundesverfassungsschutzes, Hans-Georg Maaßen, bestritt jedoch, dass sein Amt Buchen beobachtet habe. Das BfV bewege sich stets "im Rahmen der gesetzlichen Regelungen", sagte er. "Dazu gehört, dass wir keine Journalisten beobachten."

 

vme/heb/dpa